Lesung mit dem Autor Olaf Baale in Wismar …
Eine Lesung zum Mitdenken und Mitdiskutieren präsentiert das Filmbüro M-V in Wismar am 14.Mai um 19.30 Uhr. Der Journalist und Autor Olaf Baale wird dann in der Hansestadt sein neues Buch „Abbau Ost – Lügen, Vorurteile und sozialistische Schulden“ vorstellen.
Baale, der schon in „Die Verwaltungsarmee. Wie Beamte den Staat ruinieren.“, den „selbst ernannten Herrschern im Demokratismus“ (also den öffentlich Bediensteten) die „Leviten las“, geht auch in seinem neuen Werk nicht zimperlich, aber faktenreich mit den Verantwortlichen an der Entwicklung im östlichen Teil Deutschlands seit 1990, und schon vorher, um.
Treffend zitiert er die „Elite“ aus Westdeutschland, wenn es um deren „ehrliche“ Meinung über die Ostdeutschen geht.
Eine Kostprobe ist dabei die Aussage des habilitierten Arnulf Baring aus dem Jahr 1991 in einem Gespräch mit Dirk Rumberg und Wolf Jobst Siedler, als er sich folgendermaßen äußerte:
“ … Das (DDR-)Regime hat fast ein halbes Jahrhundert die Menschen verzwergt, ihre Erziehung, ihre Ausbildung verhunzt. Jeder sollte nur ein hirnloses Rädchen im Getriebe sein, ein willenloser Gehilfe. Ob sich heute einer dort Jurist nennt oder Ökonom, Pädagoge, Psychologe, Soziologe, selbst Arzt oder Ingenieur, das ist völlig egal: Sein Wissen ist über weite Strecken völlig unbrauchbar. … Sie (die DDR-Bürger) haben einfach nichts gelernt, was sie in eine freie Marktwirtschaft einbringen könnten …“.
Dass ein Prof.Baring aber wohlfeil vergisst, dass es sich bei der Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik kaum um eine wirklich „freie Marktwirtschaft“ handelt, sei ja noch außer Acht gelassen, aber – und das ist eine „geistlose Verbal-Attacke unterhalb der Gürtellinie“ – ist das vernichtende Pauschal-Urteil über die Ostdeutschen an sich.
Waren es doch die Ostdeutschen im sogenannten „Ostblock“ nach 1945, die als Erste und anfangs am entschiedensten Widerstand leisteten, als sich ungemein viele Sozial-, Christ- und Liberaldemokraten eher in den von den Stalinisten in der KPD/SED und der sowjetischen Militäradministration weiter genutzten Konzentrationslager inhaftieren und ermorden ließen, als eine Parteien-Vereinigung oder Gleichschaltung mit den bzw. durch die Kommunisten mitzumachen.
Gerade in den Jahren 1945 bis 1948 wurden Tausende Ostdeutsche verhaftet, drangsaliert und ermordet, mußten viele in die Bundesrepublik flüchten. Das setzte sich 1953 („Arbeiteraufstand“), 1968 (Politische Aktionen von DDR-Oppositionsgruppen aus Anlaß des „Prager Frühlings“) bis hin zum Jahre 1989 mit der friedlichen Revolution gegen das „Block-Regime“ in der DDR fort.
Nicht die ehemaligen DDR-Bürger, die mit ihrem Mut, ihrem Freiheitswillen und ihrem Intellekt ein Terror-Regime, gestützt auf die Bajonette der Roten Armee, hinwegfegten, sind „verzwergt“, sondern wohl eher die Urheber solcher Äußerungen.
Glücklicherweise – sonst wäre die „deutsche Einheit“ wohl ein Desaster – gab und gibt es auch die anderen (West-)Deutschen …
Wie meinte Willy Brandt, lange vor der deutschen Einheit, die er mit seiner „Ostpolitik“ maßgeblich beförderte: „Unsere Landsleute in der Zone erfüllen durch ihre Haltung, durch ihr Ausharren, durch alle Zeichen, die sie dafür geben, sich nicht zu beugen und dieses (SED-)Regime nicht zu unterstützen, eine Aufgabe, die im Interesse unseres gesamten Volkes liegt. Gemessen an unserer Geschichte ist dies eine Leistung, für die wir in der Bundesrepublik nur dankbar sein können …“.
Auch Olaf Baale differenziert in seinem Buch, ist weder ein „gnadenloser Kritiker“ der Verhältnisse 1990 ff. noch ein „Ostalgiker“.
Für ihn beginnt die letzte Phase der deutschen Einheit: das Jahrzehnt der Schuldzuweisungen und der Schadensbegrenzung.
Er weist auf Lebensschicksale der ehemaligen DDR-Bürgerrechtler, insbesondere jenes von Heiko Lietz, vor und nach der Einheit hin. Zeigt auf, wie die mutigen Frauen und Männer von einst, schnell wieder an den Rand der Gesellschaft gedrängt wurden.
Gehasst und verfolgt von einem menschenverachtenden, stalinistischen Regime vor 1990, ignoriert und belächelt nach 1990 von selbstgefälligen Demokratisten.
Ja, ein westdeutscher „Möchte-gern-groß“ koaliert eben lieber mit ostdeutschen Ex-SED-Apparatschikis und Blockflöten, die das „Schleimen“, „Kriechen“ und „Katzbuckeln“ von der „Pike auf“ lernten …
Olaf Baale untersucht die ökonomische Entwicklung in der ehemaligen DDR, stellt die dubiose Rolle von Banken, Treuhand und Politik heraus – eine „Troika“ der gegenseitigen „stillen Hilfe“.
Doch Baale hat auch den Blick für die desolaten Zustände in der DDR bis 1990, er verwechselt keinesfalls „Ursache“ und „Folgen“. Er skizziert aber und das sehr treffend, das Versagen, den Zynismus und die Verlogenheit der deutsch-deutschen „Eliten“ gerade in den Nach-Wende-Jahren.
Auch, wenn man nicht in allen Punkten mit Olaf Baale übereinstimmt, das Buch provoziert, bewegt und regt zum Nachdenken an !
Die Lesung am 14.Mai 2008 im Filmbüro M-V in Wismar (Bürgermeister-Haupt-Strasse 51-53) dürfte sich lohnen …
Marko Michels
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NACHTRAG
Rege Diskussionen, interessante Fragen und ein zahlreiches Publikum fand die Lesung mit Olaf Baale im Filmbüro M-V in Wismar am 14.Mai 2008. Rund zweieinhalb Stunden wurde gelesen, Meinungen gebildet und Erfahrungen ausgetauscht.
Fazit des Abends: Baale gelang mit seinem Buch ein hervorragender Diskussions-Beitrag zur deutsch-deutschen Entwicklung seit 1990 ! mm