Anmerkungen zum 17.Juni 1953

Die Regierung löst das Volk auf und wählt ein anderes …

17.Juni 1953Im Jahr der deutschen Jubiläen dürfte der einstige Feiertag in Deutschland-West, der an das Aufbegehren in der damaligen DDR für Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit am 17.Juni 1953 erinnert, wohl medial ziemlich untergehen- wahrscheinlich jedenfalls.

Man jubelt über die „Solidarnosc“-Gewerkschaftsbewegung in Polen, die „Charta 77“, die Bürgerrechtsbewegung in der damaligen CSSR, und die „Gulasch-Kommunisten“ in Ungarn, über Glasnost und Perestroika in der damaligen UdSSR, als „Wegbereiter“ der friedlichen Revolutionen 1989/90 und letztendlich der deutschen Einheit.

Dass die Menschen zwischen mecklenburgischer Ostseeküste und Sächsischer Schweiz zu den Ersten gehörten, die gegen den Stalinismus aufbegehrten, und sich nie mit dem Zustand der Teilung und des Fortbestehens einer diktatorischen Gesellschaftsordnung abfanden, wird leider von (west-)deutschen „Experten“ und Kommentatoren ziemlich verdrängt.

Der engagierte, selbstlose Widerstandskampf vieler Sozial-, Christ- und Liberaldemokraten mit vielen Opfern nach Kriegsende 1945 gegen die drohende zweite deutsche Diktatur kommt nur noch in politischen Sonntags- und Feiertagsreden vor.

Wie meinte damals, 1948, der SPD-Vorsitzende Dr.Kurt Schumacher: „Die deutsche Sozialdemokratie hat die meisten Risiken und Opfer im Kampf um den deutschen Osten auf sich genommen. Für sie gibt es keine Politik des `Abschreibens`, wie das niederträchtige Wort der Kommunisten heißt. Für sie gibt es nur die Politik der Solidarität.. … Mit tiefer Verehrung verneigen wir uns vor den Opfern des roten Faschismus. Die Sozialdemokratie hat ein Prinzip: Die Kameraden und Kameradinnen in der sowjetiischen Besatzungszone nicht im Stich zu lassen.“

Freilich gab es auch in den Reihen der deutschen Christdemokratie und der liberalen Demokraten Tausende Opfer, die bespitzelt, verhaftet und ermordet wurden, „nur“ weil sie es gewagt hatten, für ihre Partei und für Demokratie einzutreten.

Verfolgt und inhaftiert wurden aber auch Kommunisten, die eine Diktatur, beruhend auf de Bajonetten der Roten Armee, nicht mittragen wollten. Dazu äußerte sich der Rostocker Sozialdemokrat Albert Schulz, Rostocker Oberbürgermeister nach dem Krieg und ein Widerstandskämpfer gegen Nazis wie Kommunisten gleichermaßen, in seinen „Erinnerungen“: „Als die Russen einmarschierten, waren die alten Kommunisten zu Hosianna-Rufen geneigt. Sie wurden aber bald und oft bedenklich, wenn sie das Wirken und die Aufffasssung dieser bolschewistischen Armee erfuhren. Es ist gewiß auch kein Zufall, dass verhältnismäßig rasch die alten Kameraden der KPD an den Rand der Ereignisse gespült wurden und zum Teil sogar aus ihrer Partei ausgeschlossen wurden. Die deutschen Kommunisten hatten andere Vorstellungen von Solidarität und Brüderlichkeit gehabt, als sie jetzt (in den Nachkriegsmonaten 1945) erlebten …“

Die Rote Armee schuf mit Gewalt und Terror, gemeinsam mit den „Quislingen“ in den einzelnen Parteien der sowjetischen Besatzungszone, eine Diktatur, in der ein Spitzelsystem, eine parteiliche Justiz und ein antidemokratisches Block-Regime prägend waren.

Wie das Spitzelsystem gegen sozialdemokratische, kommunistische, konservative oder liberale Abweichler bereits Ende der 1940er Jahre in der SBZ funktionierte, beweisen die Ereignisse 1950 in Neubrandenburg, Neustrelitz und Woldegk. Mit viel Polemik ätzte am 23.Juni 1950 die „Landeszeitung“: „ … Den imperialistischen Feinden unseres Volkes ist wohl bekannt, dass die SED eine kämpferische Partei ist, dass sie großen Einfluß auf die Volksmassen besitzt, dass sie die entscheidende Kraft für die Zukunft unseres Volkes ist. Deshalb sind die imperialistischen Kräfte daran interessiert, ihre Agenten in unsere Partei zu entsenden, in der Partei Zersetzungsarbeit zu betreiben und die Partei von den Massen zu isolieren …

Die Partei im Kreis Neubrandenburg hat viele wertvolle Kader, die aber bewusst von der alten Parteileitung entweder verdrängt oder mundtot gemacht wurden. Erst durch das Eingreifen des Landesvorstandes (der SED) konnte die versöhnlerische Haltung des früheren Kreissekretärs Ernst Rieck (nach 1945 KPD/SED) gegenüber allen Parteifeinden und reaktionären Elementen aufgedeckt werden. In der Partei wurde nicht auf der Grundlage des Marxismus-Leninismus gearbeitet, sondern die Spitzenfunktionäre der Partei und der Verwaltungen im Kreis waren dem Sozialdemokratismus verfallen und mußten deshalb rücksichtslos aus ihren Funktionen entfernt werden. Die bewusste Vernachlässigung der ideologischen Arbeit im Kreis Neubrandenburg brachte es mit sich, dass die Partei vor reaktionären Erscheinungen kapitulierte und im Fahrwasser der Parteifeinde segelte … (Die) antisowjetische Einstellung der früheren leitenden Funktionäre (Wilhelm) Dühring (SPD), (Fritz) Sobietzky (SPD) und der Brüder Hofert trugen dazu bei, dass die Partei statt zu einer revolutionären Kampfpartei, ein liberalistischer Verein wurde …“

Nur eine „Prise Ungerechtigkeit“, nur eine „kommode Diktatur“, nur eine „bequeme Autokratie“, die damals entstand … Vergleicht man den Wortlaut, die Hetze gegenüber Andersdenkenden mit Artikeln des „Niederdeutschen Beobachters“, des NSDAP_Zentralorganes vor 1945, so ergeben sich erstaunliche Parallelen.

Der 17.Juni 1953, der verzweifelte Versuch „einfacher“ Menschen, die Diktatur abzuschütteln, eine wirkliche Demokratie zu schaffen, wurde damals mit Panzern der Roten Armee und den „Sicherheitsorganen“ ihrer deutschen Vasallen niedergewalzt.

Max Fechner, der die die Vereinigung von KPD und SPD 1946 mittrug – vor dem Hintergrund der NS-Diktatur von 1933 bis 1945, die auch durch die Spaltung der organisierten Arbeiterschaft begünstigt wurde – und DDR-Justizminister, sprach sich gegen eine Strafverfolgung der Demonstranten aus. Ihm wurde „Sozialdemokratismus“ vorgeworfen und zu einer Zuchthausstrafe von acht Jahren verurteilt.

Hilde Benjamin, die Fechners Amtsgeschäfte übernahm, fällte daraufhin eine Reihe von Todesurteilen und langjährigen Haftstrafen gegen DDR-Oppositionelle. Ihr Auftreten dabei erinnerte an das Gebaren Roland Freislers, des Präsidenten beim „Volksgerichtshof“ 1942/45.

Auch nach den erbitterten Widerstandsjahren zwischen 1945 und 1953 fanden sich die Menschen in der DDR nie damit ab, in einer Diktatur leben zu müssen. Das Spitzelsystem von K 5 und dann der Stasi, die NVA, SED, FDJ und gleichgeschaltete Blockparteien sorgten jedoch dafür, das jedes Aufbegehren, jede abtrünnige Meinung, jede Aktion gegen das realsozialistische Regime nicht verborgen blieb und bestraft wurde.

Bis zum Ende der DDR wurde intensiv gespitzelt, Widerständler, Nicht-Angepasste und Ausreisewillige gegängelt, inhaftiert – und die Machthaber in Ostberlin wären sogar bereit gewesen, die friedliche Revolution im Herbst 1989 gewaltsam zu unterdrücken, hätte es mit Michail Gorbatschow nicht einen „Kreml-Chef“ mit Realitäts- und Demokratie-Sinn gegeben.

Wenn heute die Demokratiebewegung in Polen, der Tschechoslowakei oder in Ungarn in höchsten Tönen gelobt wird, die eigenen (deutschen) Opfer, ob in den Reihen der Sozial-, Christ- oder Liberaldemokratie, aber auch Kommunisten, die sich gegen die Stalinisierung der Gesellschaft wehrten, jedoch an den Rand gedrängt oder sogar vergessen werden, so zeugt es nur davon, dass das geeinte Deutschland anno 2009 noch immer mit sich im „Unreinen“ ist, dass eine innere Zerrissenheit vorhanden ist, die es den gegenwärtigen Extremisten leicht macht, ihre populistischen Ziele zu propagieren.

Schlimm ist es aber, wenn Schönredner und Taktiker am Werkeln sind, für die der Machterhalt und die Machtsicherung wichtiger ist, als die Sicherung der Demokratie.

Nicht die NPD, die DKP oder frustrierte Nicht-Wähler sind das Hauptproblem in diesen Tagen. Es sind diejenigen, für die das eigene Fortkommen, koste es was es wolle, wichtiger ist, als das Wohl des Volkes. Diejenigen, die raffen, spekulieren, „Sich-Gesund-Stoßen“ auf Kosten der Allgemeinheit.

Die in ihrer Gier und Geltungssucht, die Welt an den Rand des Abgrunds brachten, die dafür verantwortlich sind, dass zwei Drittel der Menschheit in bitterster Armut leben und mittlerweile auch das eine Drittel, dem es noch relativ (Betonung liegt auf „relativ“) gut geht, ebenfalls in den Strudel des Niedergangs mitgerissen wird. Von diesem einen Drittel leben aber wenigstens knapp 10 Prozent in „Saus und Braus“, bekommen viel Geld, das sie nie verdienten, die aber die schönfärberische Medienmacht besitzen.

Wie meinte Bert Brecht zu den Ereignissen des 17.Juni 1953 und den Konsequenzen daraus … „Nach dem demokratischen Aufstand am  17. Juni ließ der Sekretär des SchriftstellerverbandsiIn der Stalinallee Flugblätter verteilen, auf denen zu lesen war, dass das Volk das Vertrauen der Regierung verscherzt habe und es nur durch doppelte Arbeit
zurückerobern könne. Wäre es da nicht doch einfacher, die Regierung löste das Volk auf und wählte ein anderes?“.

Liest man heute Zeitung, schaltet Fernsehen und Radio ein, hört man plötzlich Reden großer Politiker mit immer kleiner werdender Zustimmung (Stichwort Wahlbeteiligung):  Man stehe vor großen Herausforderungen, es bedürfe großer Kraftanstrengungen.

Gab es die etwa nicht, bevor ein ganzes Finanz- und Wirtschaftssystem dank krimineller Protagonisten kollabierte ? Sind plötzlich Hartz IV-Empfänger, Kurzarbeiter oder Frührentner (die eigentlich weiter arbeiten wollten) Schuld an der Misere.

Oder doch eher (auch, aber nicht nur) Unternehmenseigner, die zwar Millionen und Milliarden besitzen, diese aber nicht in ihre Unternehmen investieren wollen und so „gelassen“ deren Insolvenz, von der ja nur die Arbeitnehmer (also diejenigen, die ja „nur die Hand aufhalten“) betroffen sind.

Ja, ja dasDeutschland des Jahres 2009 ist ein anderes als 1953. Nur sind wieder Schönredner statt Schöngeister und wieder Apparatschikis statt charismatischer Persönlichkeiten am politischen Ruder !

Deutschland im Jahr 2009 – ein Trauerspiel ! Dafür kämpften  die Widerstandskämpfer gegen Wilhelminismus, Nationalsozialismus und Kommunismus jedenfalls nicht …

Dr.Marko Michels

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> Gedenkveranstaltung zum 17.Juni 1953

Kranzniederlegung zum Gedenken

Der ehemalige Landtagsabgeordnete Herr Thomas Nitz, das Mitglied des ver.di-Bezirksvorstandes Frank Wenzel und die Landesbeauftragte für Mecklenburg-Vorpommern für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR laden zu einer Gedenkveranstaltung 2009 zum 17. Juni 1953 ein.

Vergeben? Ja – Vergessen? Nie!

Wann: Mittwoch, 17. Juni 2009, 16.00 Uhr

Wo: Stralsund, Platz des 17. Juni, Vorplatz Rügendammbahnhof

Gemeinsam mit Vertretern mehrerer Verbände politisch Verfolgter aus Mecklenburg-Vorpommern wird mit einer Kranzniederlegung an die Ereignisse vor 56 Jahren erinnert.

>> Eine Kranzniederlegung zum 17.Juni 1953 wird in Schwerin an der Gedenktafel für die Opfer des Stalinismus am Justizgebäude am Demmlerplatz erfolgen.

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Literatur-Tipp: Hubertus Knabe „17.Juni 1953. Ein deutscher Aufstand.“, Ullstein München 2004

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