Der Schweriner Sozialdemokrat H.-J. Hacker über die Volkskammerwahl 1990

Der Politiker über die Bedeutung und Folgen der Wahl sowie die Arbeit der Volkskammer

Die ersten freien und demokratischen Wahlen zur Volkskammer fanden am 18.März 1990 statt.Vor 20 Jahren, am 18.März 1990, fanden die ersten und einzigen freien demokratischen Volkskammerwahlen in der DDR statt. Entgegen aller Prognosen setzte sich die von der CDU geführten „Allianz für Deutschland“ deutlich gegen die SPD durch. Grund dafür war die unterschiedliche Positionierung im Zusammenwachsen der beiden „Deutschländer“ innerhalb der Sozialdemokraten.

Die neue Ostpolitik von Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) und Außenminister Walter Scheel (FDP) seit 1969 leitete den Niedergang und das friedliche Überwinden der kommunistischen Regime in Osteuropa ein.Während Alt-Kanzler Willy Brandt ein Zusammenwachsen der beiden deutschen Staaten betonte („Jetzt wächst zusammen, was Die neue Ostpolitik von Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) und    Außenminister Walter Scheel (FDP) seit 1969 leitete den Niedergang und    das friedliche Überwinden der kommunistischen Regime in Osteuropa ein.zusammen gehört !“), blieb der damalige SPD-Kanzlerkandidat Oskar Lafontaine gegenüber einer engen Kooperation, ja Vereinigung mehr als reserviert.

So konnte die DDR-CDU, die Ende der 1940er Jahre bis in die 1950er Jahre noch oppositionell gegen die stalinistische Herrschaft stand, aber insbesondere seit Ende der 1950er Jahre endgültig auf SED-Kurs gebracht wurde, trotz ihrer Block-Vergangenheit die Wahl gewinnen.

Obwohl ebenfalls, wie zuvor SPD-Spitzenkandidat Manfred „Ibrahim“ Böhme, auch Ministerpräsidenten-Anwärter Wolfgang Schnur von der „Allianz“ als Stasi-IM enttarnt wurde, konnte das CDU geführte Parteien-Bündnis den Urnengang für sich als Erfolg verbuchen.

Freilich wurden auch weiteren Kandidaten und Mitgliedern der damaligen DDR-Volkskammer weit reichende Verbindungen zur Staatssicherheit und zu den DDR-Machtzentralen nachgewiesen.

Doch wie war das im Jahr 1990 ?!

Nachgefragt beim damaligen DDR-Volkskammer-Abgeordneten und heutigen Bundestags-Abgeordneten Hans-Joachim Hacker von der SPD

„Wir alle sollten froh und dankbar sein, in einem geeinten Land leben zu können …“

Frage: Am 18.März 1990 verlor die SPD die Volkskammerwahl erdrutschartig. Was waren aus Ihrer Sicht die Gründe ?

Hans-Joachim Hacker (SPD), heutiger Bundestagsabgeordneter, war 1990 auch Abgeordneter der Volkskammer.Hans-Joachim Hacker:
Das schlechte Abschneiden der SPD bei der Volkskammerwahl am 18.03.1990 hat aus meiner Sicht zwei entscheidende Gründe: Das maßgebliche Regierungshandeln in dieser Zeit lag in der Bundesrepublik Deutschland in Verantwortung einer CDU-geführten Bundesregierung. Mit der Person des Kanzlers Helmut Kohl haben viele Menschen in der DDR Hoffnungen auf Wohlstand verbunden. Die SPD hatte – das ist der zweite Aspekt – keine einheitliche klare Position zur deutschen Wiedervereinigung. Die diffuse Haltung von Lafontaine, der richtigerweise die Kostenfrage stellte, jedoch keine Antworten gab, hatte entsprechende negative Auswirkungen.

Frage: Die „Allianz für Deutschland“ triumphierte hingegen glanzvoll – trotz der vielen Verstrickungen ihrer Kandidaten in das DDR-Blocksystem und/oder –Spitzelsystem. Was war aber die Ursache für diesen Erfolg ?

Hans-Joachim Hacker: Wie schon erwähnt, war ja die CDU in der Bundesrepublik in der Regierungsverantwortung und konnte nicht nur politische Vorschläge einbringen, sondern diese auch umsetzen. Hinzu kommt, dass es der Block-CDU im Winter 1990 gelang, sich aus der Verantwortung für das politische Wirken während der DDR-Zeit zu stehlen. Das wurde verknüpft mit einem stabsmäßig organisierten Wahlkampf, bei dem nicht davor zurückgeschreckt wurde, die neu gegründete SPD als Auffangbecken ehemaliger SED-Mitglieder zu diffamieren.

Frage:
Wie war die politische Arbeit in der Volkskammer ? Wurden die „Ossis“ von den West-Profis fremd gesteuert ?

Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) führte die neue Ostpolitik mit großen Erfolg zu Ende und wurde damit zum „Kanzler der Einheit“.Hans-Joachim Hacker: Die politische Arbeit in der Volkskammer hatte einen Riesenberg von Problemen aus der Zeit der Teilung zu lösen. Die Vorbereitung und schrittweise Übernahme von Bundesrecht war die notwendige Voraussetzung für die Vorbereitung und Verwirklichung der Wiedervereinigung. Die Hilfe, die meine Fraktion aus Bonn erhielt, habe ich als große Unterstützung erfahren. Dieses hat nichts daran geändert, dass wir eigene Positionen vertreten haben.

Frage: Wie bewerten Sie im Rückblick die Arbeit der Volkskammer vom März 1990 bis September 1990 ?

Hans-Joachim Hacker: Die demokratische Volkskammer hatte in sechs Monaten ein einmaliges historisches Werk zu vollenden: Den Staat, in dem sie als Parlament existierte, auf einem friedlichenWeg aufzulösen und den Staat abzuwickeln und sich damit selbst überflüssig zu machen. Der Wert dieser Leistung war die deutsche Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990. Auf dem Weg dorthin hat es einen Demokratisierungsprozess in der DDR gegeben, der wesentlich von der Volkskammer gestaltet wurde und es sind wichtige Gesetze beschlossen und Verträge verhandelt worden, die historische Bedeutung haben.

Frage: Zurzeit läuft bei SAT.1 der Film „Die Grenze“. Rechts- und Linksextremisten wollen – als Fiktion gedacht – Mecklenburg-Vorpommern vom Rest Deutschlands abspalten. Ihr Urteil zum „Streifen“ …

Hans-Joachim Hacker, der damalige Leiter der Friedrich-Ebert-Stiftung M-V, Erik Gurgsdies, Martin Klähn, Mitbegründer des Neuen Forums 1989, und Arndt Noack, Mitbegründer der SDP 1989, bei einer Tagung im Sommer 2009 in Schwerin.Hans-Joachim Hacker: Den Film „Die Grenze“, der auf SAT.1 gesendet wurde, kenne ich nicht. Die Fiktion der Abspaltung eines Teiles der Bundesrepublik Deutschland wird zum Glück ein unrealistischer Albtraum bleiben. Wir alle sollten froh und dankbar sein, dass wir heute nach der furchtbaren Zeit des Nationalsozialismus und der SED-Diktatur in der DDR in einem geeinten Land leben können, in einem friedlichen Europa.

Dann viel Erfolg bei der heutigen politischen Arbeit !

Die Fragen stellte: Marko Michels.

Fotos:
1.Die ersten freien und demokratischen Wahlen zur Volkskammer fanden am 18.März 1990 statt.
2./3.Die neue Ostpolitik von Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) und Außenminister Walter Scheel (FDP) seit 1969 leitete den Niedergang und das friedliche Überwinden der kommunistischen Regime in Osteuropa ein. Deutscher Bundestag/Archiv
4.Hans-Joachim Hacker (SPD), heutiger Bundestagsabgeordneter, war 1990 auch Abgeordneter der Volkskammer. H.J.Hacker/privat
5.Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) führte die neue Ostpolitik mit großen Erfolg zu Ende und wurde damit zum „Kanzler der Einheit“. Deutscher Bundestag/Archiv
6.Hans-Joachim Hacker, der damalige Leiter der Friedrich-Ebert-Stiftung M-V, Erik Gurgsdies, Martin Klähn, Mitbegründer des Neuen Forums 1989, und Arndt Noack, Mitbegründer der SDP 1989, bei einer Tagung im Sommer 2009 in Schwerin. Michels

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