Die Täter sind unter uns !

Lesung und Gespräch mit dem Historiker Hubertus Knabe in Schwerin

„Erst wenn die kommunistische Diktatur den Deutschen auch so präsent ist wie das verbrecherische Regime der Nationalsozialisten, ist die Aufarbeitung des SED-Unrechts gelungen.“,  wird Dr.Hubertus Knabe, Direktor der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen (war früher Stasi-Untersuchungsgefängnis), im aktuellen SPIEGEL vom 19.Mai 2008 zitiert.

Lesung am 26.5.08 in SNKnabe, der am 26.Mai auch aus seinem neuen Buch „Die Täter sind unter uns. Über das Schönreden der SED-Diktatur.“ im Rahmen einer Veranstaltung des Landesbüros M-V der Friedrich-Ebert-Stiftung in Schwerin lesen wird, gibt in seinem neuesten Werk den Opfern, den Widerständlern gegen die DDR-Diktatur eine Stimme und argumentiert nicht emotional, sondern faktenreich und wissenschaftlich fundiert gegen das Verdrängen des DDR-Unrechtes.

Ja, heute ist es opportun „gegen Rechts“, aber „für Links“ zu sein. Wehe dem, der es auch nur wagt, die DDR-Vergangenheit nicht ruhen zu lassen, auf deren menschenverachtenden Charakter aufmerksam zu machen.

Dieser gilt dann gleich als „Geschichtsklitterer“, als „Querulant, der nie vergessen und vergeben will“, als „Miesepeter der real existierenden Demokratie“ (oder nur „Demokratismus ?) und als „Geschichtsrelativierer“ angesichts der Gräuel während der
NS-Diktatur.

Kurt SchumacherDr. Kurt Schumacher, der erste Vorsitzende der SPD nach dem Krieg in Westdeutschland, in der späteren Bundesrepublik Deutschland und einer der engagiertesten Kämpfer gegen NS- und kommunistischer Diktatur, schrieb bereits im März 1946:

„In Wahrheit spielen sich jetzt (nach 1945) Auseinandersetzungen auf deutschem Boden ab, die für ganz Europa und die ganze Welt von Bedeutung sind. Eine scheinbar parteipolitische Auseinandersetzung zwischen SPD und KPD, die jetzt in Deutschland im Mittelpunkt des Interesses steht, ist tatsächlich ein Stück zukünftigen Schicksals Europas. Die Sozialdemokratie glaubt, daß der Kern des Problems der Kampf um die Frage ist, ob Europa demokratisch oder diktatorisch geformt werden soll.“

SED-Gegner Karl MoritzAngesichts der Besetzung Mitteldeutschlands durch die Rote Armee und deren Helfern von der KPD hatten Mecklenburger, Brandenburger oder Sachsen nach 1945 keine Chance der „Diktatur des Proletariates“ zu entgehen, aber dass sie diese nicht widerstandslos hinnahmen – trotz der russischen Panzer und Bajonette im eigenen Land – verdient daher um so mehr Respekt !

SED-Gegner H.LüdemannDie ersten Opfer im Kampf gegen die sich etablierende kommunistische Diktatur nahmen noch vor der erzwungenen Vereinigung von KPD und SPD im April 1946 die Sozialdemokraten, auch in Mecklenburg und Vorpommern, hin.

Bereits vor Gründung der letztendlich kommunistisch dominierten SED wurden viele Sozialdemokraten, die engagierte und kämpferische Gegner des Zusammenschlusses ihrer Partei mit der KPD waren, verfolgt. Mindestens 20000, darunter zahlreiche in Mecklenburg-Vorpommern, wurden gemaßregelt, aus ihren Wohnungen und Arbeitsstellen gejagt, inhaftiert, verschleppt.
 
Zwangsvereinigung 1946 in SNIn Mecklenburg und Vorpommern wurden allein zwischen 1946 und 1951 ca. 5.000 Sozialdemokraten aus der SED ausgeschlossen, intensiv bespitzelt, inhaftiert und sogar ermordet, nur weil sie es wagten, sich zu ihrer sozialdemokratischen Gesinnung offen zu bekennen.

Bürgermeister A.Kruse/SchwerinNamen wie Albert Kruse (Schwerin), Willy Bieg (Greifswald), Albert Schulz (Rostock), Willi Jesse (Rostock/Schwerin), Bernhard Pfaffenzeller (Hagenow), Friedrich Schwarzer (Neubrandenburg), Karl Moritz (Wismar), Max Fank (Stralsund), Hans-Joachim Roskam (Schwerin) oder Hermann Lüdemann (Schwerin) stehen für die Opferbereitschaft der Sozialdemokratie in M-V, nach der nationalsozialistischen Diktatur auch gegen die kommunistische Diktatur zu kämpfen.

Ähnliches gilt für die konservativen Demokraten der CDU oder die liberalen Demokraten der LDP.

Siegfried WitteNamen, wie Werner Jöhren, CDU-Fraktionsvorsitzender nach dem Krieg im Schweriner Landtag und späterer Leiter des CDU-Ostbüros, Hans Krukenmeyer, der integre stellvertretende CDU-Nachkriegsvorsitzende, oder Siegfried Witte, nach 1946 zunächst Wirtschaftsminister und Verfechter demokratisch-marktwirtschaftlicher Strukturen, stehen für eine CDU in Mecklenburg, die frühzeitig den diktatorischen Charakter in der russischen Besatzungszone/späteren DDR erkannte.

Arno EschLiberale, wie Arno Esch, Dr.Paul Friedrich Scheffler oder Dr.Eduard Friedrich Stratmann, kämpften ebenso aufopferungsvoll gegen die neue Diktatur nach 1945, wobei Arno Esch diesen Einsatz mit dem Leben bezahlen musste.

Sogar aufrechte Kommunisten, wie z.B. Wolf Reichardt, die den gesellschaftspolitischen Betrug an den Menschen zwischen Ostseeküste und Sächsischer Schweiz nach 1945 kritisierten, wurden schnell „ausgebootet“.

Heute sind diese engagierten Demokraten und Persönlichkeiten zwar nicht vergessen, aber eine „Schieflage“ bei der Bewertung des DDR-Unrechtes und eine schleichende Verdrängung der realsozialistischen Vergangenheit lässt sich nicht leugnen, was Hubertus Knabe auch in seinem Buch konstatieren muß.

SED-Gegner Albert SchulzDie Opfer, Widerständler, die Nicht-Opportunen in der verblichenen DDR, auch die weniger bekannten, finden sich heute im gesellschaftlichen Abseits wieder.

Alte Seilschaften, die „stille Hilfe“ unter den einstigen DDR-Funktionären und die Verbundenheit der „alten Kader“ sorgten dafür, dass diese nicht ins sozial Bodenlose nach 1990 stürzten – im Gegensatz zu vielen Nicht-Angepassten in der DDR.

Im so genannten aktuellen Armutsbericht der Bundesregierung, der beinhaltet, dass mehr als ein Viertel der Bundesbürger in Armut leben müssen (Nicht  einbezogen ein Drittel der arbeitenden Bevölkerung, bei denen unklar ist, ob der „soziale Abstieg“ oder ein relativer „sozialer Aufstieg“ erfolgt !), werden nur wenige DDR-Altkader sein, dafür um so mehr Menschen, die ihren Mut bereits vor der deutschen Vereinigung bewiesen, Menschen, die vor 1990 aus politischen Gründen inhaftiert, bespitzelt, um Ausbildungen bzw. gewünschte Berufstätigkeiten betrogen und deren Lebenswege frühzeitig „verbaut“ wurden.

Musste bzw. muss das sein ?! Nein, es hätte nicht sein müssen (Auch wenn in diesem Fall der Konjunktiv die Sprache der „Verlierer“ ist …). Die Erfahrungen der Nicht-Angepassten von einst waren jedoch vielen wirtschaftlichen, kulturellen und verwaltungstechnischen „Aufbauhelfern“ westlich der Elbe suspekt, viele von diesen kamen vor der deutsch-deutschen Vereinigung zwischen Flensburg und Bayerischem Wald selbst nicht an die „Fresstöpfe der Macht“, bevor es ihnen gelang, in „Neufünfland“ die „Sonnenkönige“ zu spielen.
 
Die meisten aufbau-willigen West-Germanen in der Ex-DDR umgaben sich lieber mit den geübten „Katzbucklern“ und „Kriechern“ aus dem DDR-Kaderbereich, die ihren „Untertanen-Geist“, ihre „Loyalität“ in Form-Vollendung (Im Eiskunstlaufen gab es früher für so etwas einmal eine „6,0“ !) schon unter den alten Herrschern unter Beweis stellten.

Auch daran erinnert Hubertus Knabe in seinem Buch – und das ist zutreffend !

Gibt es aber einen „Schönheitsfehler“ im neuen Werk von Hubertus Knabe ?! Vielleicht einen … Zu oft wird von SED-Regime, SED-Diktatur gesprochen. Sicherlich, die SED war Staatspartei Nr. 1, trägt die Hauptverantwortung für die Toten und Verletzten an Mauer und Stacheldraht, für das ökonomische Desaster in der DDR, für die Doping-Praxis im DDR-Sport und den kriminellen Staatssicherheitsdienst.

Aber, wer nach 1961 – nach dem Mauerbau – in die CDU, Liberal-Demokratische Partei oder die SED-„Retorten-Babies“ Bauernpartei bzw. National-Demokratische Partei  eintrat, wusste, dass er hier nicht in die „Widerstandszentren“ gegen den real existierenden Sozialismus kam. Wie nannte der großartige Kurt Schumacher diese gleichgeschalteten Parteien einst … – „seelenlose Bündnispartner der SED/KPD“.
 
Sicherlich, viele CDU- und FDP-Mitglieder werden heute auf den Einsatz vieler Christdemokraten und Liberaldemokraten für Demokratie in der SBZ/DDR zwischen 1945 und 1955 verweisen – und das völlig zu Recht. Es ändert aber nichts an der Tatsache, dass Personen, wie der CDU-Vorsitzende Reinhold Lobedanz in M-V nach 1945, oder der LDP-Vorsitzende in M-V nach 1945, Max Suhrbier, ihre Parteien der SED auf dem „Silber-Tablett“ servierten und damit in die Rolle der „Quislinge“ (der Verräter an der eigenen Sache) schlüpften.

Erinnert sei auch an die gemeinsamen Gegen-Demonstrationen von SED und ihren Block-Partnern CDU, LDP, DBD und NDP im Wende-Herbst 1989 gegen die Demonstrationen des Neuen Forums und anderer Oppositionsgruppen z.B. auch in Schwerin …

Natürlich gab es in der CDU und LDP nach 1961 auch viele, die dem DDR-System skeptisch gegenüberstanden. Doch, wer dieses „Recht“ für sich in Anspruch nimmt, sollte das auch gegenüber der SED tun, denn auch dort gab es vor 1990 einige Reformkräfte.

Das eigentlich „Widerliche“ an der Entwicklung nach 1990 ist eher die Tatsache, dass sich die „Gesinnungslumpen von einst“, schnell in die Arme der westdeutschen „Elite“ flüchteten und dafür sogar kräftig umarmt und „geliebkost“ wurden.

Diese „wendigen Leute“ („früher SED, heute CDU“ oder zumindest „lupenreine Demokraten“) haben anscheinend ein wenig zu viel DDR-Kinderfernsehen geschaut.
 
Im „Koboldland“ gab es ja den „Drehrumbum“, ein Kumpane des frechen Pittiplatsch (den die SED-Obrigkeit am liebsten vom Bildschirm verbannt hätte), und der äußerte sich vor seinen „Zauber-Tricks“ wie folgt:

„Ich bin der Drehrumbum, der Runde, ich drehe alles um, in der Sekunde …“. Genau das machten viele DDR-Kader mit ihrer realsozialistischen Vergangenheit – und siehe da – der „Zauber-Trick“ half. Gestern noch Brigadier heute Manager, gestern FDGB-Meister heute DGB-Maestro, gestern „Kirche im Sozialismus“ heute „Kirche mit der Marktwirtschaft“, gestern Stasi heute „Helfer“ bei der Aufarbeitung der DDR-Geschichte, gestern „Ziehsöhne der DDR“ heute „Spitzenpolitiker in Neufünfland“.
Da sage noch jemand, die Vereinigung sei gescheitert.

Einer relativen Mehrheit geht es doch relativ gut (manchen sogar noch „relativ bestens“), wen interessiert da schon die „absolute Minderheit“ von irgendwelchen Oppositionellen und Nicht-Angepassten in der DDR.

Mehrheit ist Mehrheit, ganz gleich mit welcher Gesinnung und mit welchem Charakter auch immer.

Die Mehrheit ist entscheidend und „die steht an der Spitze des gesellschaftlichen Fortschritts“, ob nun im real existierenden Sozialismus oder in der real existierenden Demokratie.

Also, vorwärts immer und rückwärts nur, wenn es gar nicht anders geht und der „politische Parkplatz“ gerade reserviert ist.

Und, ist man dann erst einmal auf der „demokratischen Überholspur“, kann man – getrost nach Walter Ulbricht – immer noch überholen, ohne einzuholen.

Genau das schafften viele DDR-Kader, „wahre politische (Überlebens-)Künstler“ (dank westgermanischer Mäzene) nach 1990 vortrefflich, ob nun „mit knallroter, schwarzer oder gelber Krawatte“.

Gedenkstätte Berlin-H.Wer sich für eine ehrliche Bestandsaufnahme bei der Aufarbeitung der DDR-Geschichte interessiert, wem die Opfer der DDR-Diktatur nicht gleichgültig sind und wer den Einsatz für Demokratie nicht nur auf den „Einsatz gegen Rechts“ reduziert, der kommt an dem Buch „Die Täter sind unter uns“ von Hubertus Knabe nicht vorbei.

Also, „auf jeden Fall“ am 26.Mai 2008 um 19.00 Uhr ins Schweriner „Haus der Kultur“ (Arsenalstrasse acht) zur Lesung mit Hubertus Knabe kommen … Ein anschließendes Gespräch mit dem Autor moderiert der Schweriner Historiker und Journalist Mario Kriening.

Dr. Marko Michels

F.: aus „Einheitszwang oder Einheitsdrang ?!“ (7), AsD (2), LHA (1), Archiv M.M. (1)

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EXKURS – Stimmen von Zeitzeugen …

> Peter von Jüchen, Sohn des ehemaligen Schweriner Pfarrers und Sozialdemokraten Aurel von Jüchen, in einem Interview 1997

Frage: Im Januar 1991 starb Ihr Vater, 1950 aus politischen Gründen verhaftet und inhaftiert (bis 1955), in Berlin. Wie schätzen Sie dessen politische Gesinnung, soziales Engagement ein ? Hat sich Ihr Vater – nach seiner Entlassung aus dem Arbeitslager in Workuta – zu den politischen Ereignissen der Jahre 1945/48 in M-V, zumindest Ihnen persönlich gegenüber, noch einmal geäußert ?

Peter von Jüchen: Mein Vater war eine schillernde Persönlichkeit, der stets offen und aufrichtig für seinen Glauben und seine politische Überzeugung einstand. Für ihn war bereits 1946 – mit der erzwungenen Vereinigung von KPD und SPD – die Grundlage für den späteren Untergang der DDR gelegt. Die Entwicklung in der DDR bestätigte seine Auffassung, dass nur Demokratie, Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit in eine bessere Zukunft verhelfen. Mein Vater war ein Christ und Sozialdemokrat aus Überzeugung. M.M.

– Zu empfehlen: Peter Ulrich: „Aurel von Jüchen. Ein Pfarrerleben im Jahrhundert der Diktaturen.“, 472 Seiten mit Fotos und Illustrationen, ISBN: 3-937447-28-8

Martin Niemöller> Martin Niemöller, früherer evangelischer Kirchenpräsident, Ende der 1950er Jahre vor dem englischen Baptistenkongreß:

„Der Kommunismus wird versagen und verschwinden, denn er hat keine Antwort oder eine falsche und irreführende Antwort auf die entscheidende Frage: Wie können menschliche Wesen endlich wirkliche Menschen werden ?“ – „Die Würde des Menschen geht (im Kommunismus) verloren und seine Freiheit wird zerstört. Am Ende bedeutet kommunistischer Idealismus nur Nihilismus und deshalb ist er kein Weg zu tatsächlicher Menschlichkeit.“

Herbert Wehner> Herbert Wehner, u.a. früherer SPD-Fraktionsvorsitzender, 1964:

„… Im Jahr nach dem Krieg, als ich noch in Schweden sein mußte, habe ich auch mit alten Kommunisten briefliche Diskussionen gehabt und ihnen geschrieben, dass das SED-Experiment viel schrecklicher enden würde als ein früheres Experiment der deutschen Kommunisten mit der sogenannten revolutionären Gewerkschaftsopposition. Es wird fürchterlich enden, das sage ich heute (1964 – Anm. M.M.) noch. Es wird fürchterlich enden, mit einem moralischen Katzenjammer und einer sittlichen Vernichtung derer, die einmal aus ehrlichen Absichten kommunistische oder sozialistische Vorstellungen solcher Art zu realisieren versucht haben …“

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