Einzigartiges Notenarchiv an die Stadt übergeben

Stadtwerke Schwerin luden zu Gedenkveranstaltung ein

73 Jahre ist es her, dass das nationalsozialistische Regime in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938  überall in Deutschland gewaltsam gegen die jüdische Bevölkerung vorging. Den Gedenktag hat die weltbekannte, heute in London lebende, Cellistin Anita Lasker Wallfisch zum Anlass genommen, Schwerin und seinem Konservatorium ein einzigartiges Geschenk zu machen: Sie übergab gestern in der Landeshauptstadt das wertvolle Notenarchiv ihres 1993 verstorbenen Mannes, des international gefeierten jüdischen Pianisten und Klavierprofessors Peter Wallfisch. „Es ist eine große Ehre, dass es der Wunsch von Anita Lasker Wallfisch war, der Stadt Schwerin den Notennachlass des Pianisten Peter Wallfisch zu überlassen“, freut sich Oberbürgermeisterin Angelika Gramkow. „Dass das gerade am heutigen Tag passiert, ist ein Zeichen der Hoffnung und Versöhnung.“

Das Notenarchiv besteht aus Werken für Klavier solo, Klavier zu vier Händen und zwei Klavieren und aus Klavierkonzerten. „Die etwa 800 Partituren beinhalten schwerpunktmäßig Komponisten der Klassik und Romantik und der Klassischen Moderne“, so der Direktor des Schweriner Konservatoriums Volker Ahmels, der den Nachlass bereits sichten durfte. Darunter sind auch viele Partituren von englischen, skandinavischen und israelischen Komponisten, die hier nur in Fachkreisen bekannt sind und teilweise gar nicht mehr verlegt werden. „Man kann durchaus von Raritäten sprechen.“ So hat Ahmels z.B. in den Papieren eine originale Widmung des ermordeten Komponisten Erwin Schulhoff an einen Pianisten entdeckt, die sein Werk uraufgeführt hat.

Besonders interessant für das im Konservatorium befindliche Notenarchiv verfemter Musik sind im Nachlass außerdem die Werke von Komponisten, die durch die Nationalsozialisten verfolgt wurden wie beispielsweise Partituren von Hans Gal, Paul Ben-Haim, Erwin Schulhoff und Darius Milhaud. Die Werke dieser Komponisten stehen seit Jahren im Mittelpunkt der Forschungsarbeit des Konservatoriums in Kooperation mit dem Zentrum für verfemte Musik an der Hochschule für Musik und Theater in Rostock. Das Archiv soll auch jungen Musikern der Musikhochschule in Rostock zugänglich gemacht werden. „Damit wollen wir auch an die erfolgreiche Karriere und die hohe Qualität des Klavierspiels dieses begnadeten Pianisten erinnern, der in Deutschland leider sehr unbekannt ist“, sagt Volker Ahmels.

Am Nachmittag luden die Stadtwerke zu einer Gedenkveranstaltung ein, die musikalisch durch Schülerinnen und Schülern des Konservatoriums Schwerin, der Hochschule für Musik und Theater Rostock sowie dem Klavierduo Haufe-Ahmels gestaltet wurde – begleitet durch einen Vortrag von Anita Lasker Wallfisch, die bereits zweimal für das alljährlich in Schwerin stattfindende Festival „Verfemte Musik“ als Ehrengast gewonnen werden konnte.

Zur Person:
Anita Lasker ist eine von drei Töchtern des jüdischen Rechtsanwalts Alfons Lasker und dessen Ehefrau Edith, einer Geigerin. Ende 1939 gelang es den Eltern, die älteste Schwester Marianne nach England in Sicherheit zu bringen. Die beiden jüngeren Schwestern Renate und Anita mussten jedoch in Breslau bleiben. 1942 wurden die Eltern deportiert und ermordet. Die Töchter kamen in ein Waisenhaus und mussten in einer Papierfabrik arbeiten. Die zwei jungen Mädchen versuchen, mit Hilfe eigenhändig gefälschter Pässe nach Frankreich zu entkommen. Dabei wurden sie verhaftet und 1943 wegen Urkundenfälschung zu Zuchthausstrafen verurteilt.

Als erste wurde Anita im Dezember 1943 nach Auschwitz deportiert. Als verurteilte Kriminelle wurde sie mit einem Gefangenentransport in das Lager gebracht und entging so der bei Sammeltransporten mit Juden üblichen Massenselektion, bei der die meisten sofort in die Gaskammern geschickt und dort ermordet wurden. Sie bekam die Häftlingsnummer 69388. Als bekannt wurde, dass sie Cello spielen kann, wurde sie Mitglied im Häftlingsorchester unter Alma Rosé, dem auch Esther Béjarano (Akkordeon) und Fania Fénelon (Piano und Gesang) angehörten.

Später wurde auch Renate nach Auschwitz deportiert. Die Schwestern fanden einander wieder und ertrugen gemeinsam das schwere Lagerleben. Im November 1944 wurden sie mit anderen Mitgliedern des Orchesters nach Bergen-Belsen verlegt, wo sie am 15. April 1945 von alliierten Truppen befreit wurden.

Sie war Zeugin im Bergen-Belsen-Prozess, der Mitte November 1945 endete. Anita gelang es, zunächst nach Belgien und 1946 nach Großbritannien auszuwandern. Sie wurde Mitbegründerin des Londoner English Chamber Orchestra und spielte dort bis 2000 erfolgreich als Cellistin. 1994 besuchte sie erstmals seit der Emigration wieder Deutschland. Sie geht seitdem häufig auf Vortragsreisen und berichtet vor allem in deutschen Schulen von ihrem und dem Schicksal anderer Opfer des Nationalsozialismus, dem Holocaust. Heute lebt sie in London. Ihr Sohn, Raphael Wallfisch (* 1953 in London), ist ein bekannter britischer Cellist.

Quelle: Landeshauptstadt Schwerin

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