Flagge gezeigt – „Gegen Rechts“

Demokratisches Aufbegehren gegen die rechten Extremisten in Schwerin

Die Stadt Schwerin, Gewerkschaften, Kirchen, Bürgerbündnisse und einige Schwerinerinnen sowie Schweriner zeigten am Wochenende „Flagge“ – Flagge „Gegen Rechts“. In der Tat – 20 Jahre nach der deutschen Vereinigung – mehr als eine Notwendigkeit. Wird doch die Vergangenheit, ob die nationalsozialistische oder die stalinistische, zunehmend verklärt …

Hat man allerdings die Geschehnisse, den Terror von damals – insbesondere während der braunen Diktatur – tatsächlich schon vergessen?!

Ungemeine Brutalität der braunen Machthaber
Mit ungemeiner Brutalität gingen die Nationalsozialisten unter der Führung Hildebrandts gegen Andersdenkende vor. Dazu berichtet Albert Schulz, nach dem Krieg auch Oberbürgermeister in Rostock, in seinen „Erinnerungen“: „In einer mecklenburgischen Kleinstadt im Südwesten des Landes hatte die SA unter Hildebrandts Führung anlässlich einer Nazikundgebung das Gewerkschaftshaus gestürmt. Eine Reihe von Arbeitern wurden zusammengeschlagen. Hildebrandt behauptete dann, es habe den Befehl zum Sturm auf das Gewerkschaftshaus erst gegeben, als aus dem Gewerkschaftshaus geschossen und einem Hitlerjungen ein Finger abgeschossen sei. Wir (die Sozialdemokraten) stellten genaue Ermittlungen an.

Weder die Polizei am Orte noch einer der ortsansässigen Ärzte wussten von einem abgeschossenen Finger. Keiner aus der Bevölkerung hatte von einem verwundeten Hitlerjungen etwas gesehen oder auch nur gehört. Wir berichteten in unserer (zu diesem Zeitpunkt – Mai 1933 – noch erschienenen) Zeitung darüber, wir nannten Hildebrandt einen unverantwortlichen Lügner und forderten ihn auf, uns zu verklagen, weil wir eine gerichtliche Untersuchung wollten. Im Landtag lehnte Hildebrandt auch meine Aufforderung ab, Namen und Adresse des angeblich angeschossenen Hitlerjungen zu nennen …“

Seit Mai/Juni 1933 verschärfte sich der nationalsozialistische Staatsterror gegen die Sozialdemokraten zusehends. Viele Mitglieder wurden verhaftet, verloren aus politischen Gründen ihre Arbeit oder mussten zahlreiche Repressalien hinnehmen. Der ehemalige sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete Joseph Herzfeld war einer der ersten, der nach der nationalsozialistischen Machtergreifung Konsequenzen zog und nach erheblichen Schikanen durch die NS-Behörden Mitte 1933 in die Schweiz bzw. nach Italien emigrierte.

Verfolgung nach dem Verbot der SPD 1933
Nach dem Verbot der SPD durch die Nationalsozialisten am 22.Juni 1933 waren zahlreiche Sozialdemokraten im illegalen Widerstand gegen das NS-Regime tätig. Albert Schulz, Karl Schneeberg, Willy Jesse, Albert Kruse, Hermann Lüdemann, Hans Fuchs, Franz Höppner, Carl Moltmann, Wilhelm Höcker, Martin Müller, Hans Pollok u.v.a.m. symbolisierten das sozialdemokratische Aufbegehren in Mecklenburg gegen die Nationalsozialisten.

Unter den Opfern aus den Reihen der SPD sind solche Persönlichkeiten zu finden, wie der ehemalige integre Staatsminister und Ministerpräsident von Mecklenburg-Schwerin, Johannes Stelling. Einen Tag vor dem Verbot der SPD drangen Einheiten der bewaffneten SA in seine Köpenicker Wohnung und verhafteten ihn. Innerhalb der so genannten „Köpenicker Blutwoche“ wurden dort im Juni 1933 mehr als 5000 Menschen, unter ihnen zahlreiche soziale, konservative und liberale Demokraten und Kommunisten, von den NS-Terrorgruppierungen verschleppt. Nach intensiven Verhören und Folter wurde Stelling noch im gleichen Monat von den SA-Schergen bestialisch getötet, seine Leiche mit Steinen beschwert und in einen Fluß geworfen …

Zahlreiche ehemalige mecklenburgische Landtagsabgeordnete wurden nach 1933 ebenfalls inhaftiert, unter ihnen Hans Fuchs, Mitglied des Landtages von Mecklenburg-Schwerin, Albert Schulz, der Vorsitzende des Reichsbanner/Gau Mecklenburg-Lübeck, Franz Höppner, Mitglied des Landtages in Neustrelitz, Carl Moltmann, der ehemalige SPD-Fraktionsvorsitzende in Schwerin, oder Wilhelm Höcker, der frühere Präsident des Landtages in Schwerin. Hermann Lüdemann, Mitglied des „Ersten ordentlichen Landtages von Mecklenburg-Schwerin“ und danach Minister für Finanzen in Preußen sowie Oberpräsident Schlesiens, litt unter den Nazis ganz besonders: Er wurde viele Jahre in einem Konzentrationslager inhaftiert.

Der Leidensweg des Schweriner Sozialdemokraten Karl Schneeberg
Zahlreiche Repressalien während der NS-Diktatur mußte ebenfalls der integre Schweriner Sozialdemokrat Karl Schneeberg, Mitglied des zweiten bis siebenten Landtages in Mecklenburg-Schwerin und Bildungspolitiker seiner Partei, hinnehmen. Über die Zeit während der NS-Diktatur schreibt seine Tochter Roswitha Rösel: „Seit Hitlers Machtübernahme 1933 war mein Vater arbeitslos. Er wurde sofort entlassen. Da er nicht mehr arbeiten durfte, versuchte er als Lehrer mit seiner Familie auszuwandern. Das wurde ihm strikt untersagt. Wir hatten eine sehr harte Zeit des Hungerns und der Repressalien durchzustehen; besonders schlimm war auch die schwere Herzerkrankung meines Vaters. Nicht nur mein Vater, sondern auch meine Mutter, die Lehrerin war, durfte nicht arbeiten. Der damalige Gauleiter der NSDAP Hildebrandt sagte meinem Vater: `Damit treffen wir Sie am meisten, wir hungern sie aus !` Mein Vater war zeitweise verhaftet und mußte sich wöchentlich melden, ob er noch da sei. Mit wenigen privaten genealogischen Aufträgen sowie als `Bienendoktor` und mit dem Verkauf von Honig und der eigenen Verwertung der Gartenerträge hielten unsere Eltern uns über Wasser.

Allerdings nahmen schwere Erkrankungen, u.a. Tbc, Einzug in unsere Familie. Im Alter von 7 Jahren wurde ich bedroht, wenn ich nicht `Heil Hitler` grüßen würde, müsse ich zum Üben kommen. Diese braune Pest schreckte vor nichts zurück. Nun, die erste Anstellung, eine teilweise Beschäftigung im Oberkirchenrat Mecklenburg, war ein Tropfen auf dem heißen Stein. Das Hungern hörte nicht auf. Die teilweise Anstellung begann im Januar 1944, etwa ein Jahr vor dem Zusammenbruch. Dr.Max Suhrbier hat sich in der damaligen Zeit – er war tätig im mecklenburgischen Staatsministerium/Abteilung Finanzen – als Schnüffler in Bezug auf meinen Vater hervorgetan. Mir sind Schreiben darüber bekannt bzw. befinden sich in meinem Besitz. Und dieser Mensch war nach dem Zusammenbruch als Minister in der mecklenburgischen Landesregierung tätig. Er war entnazifiziert worden ! Ja, es gibt schon Leute, die kein Gewissen und Schamgefühl besitzen …“ (R.Rösel, 10/1997)

„Dienstenthoben“ durch die Nationalsozialisten wurde ebenfalls das ehemalige DDP-Mitglied und seit 1931 SPD-Mitglied Hans Lachmund, der Ende der 1920er Jahre als Oberjustizrat am mecklenburgischen Landesjustizministerium tätig war. Nach seiner Entlassung aus dem Justizwesen in Schwerin schloß er sich der Robinson-Strassmann-Gruppe an, die ebenfalls Widerstand gegen das NS-Regime leistete.

Der demokratische Einsatz von Willi Jesse
Willi Jesse, der letzte Bezirkssekretär der SPD von Mecklenburg-Lübeck, mußte aufgrund seiner engen Verbindungen zum Widerstandskreis um Stauffenberg/Leber 1944 nach Schweden emigrieren. Über den Widerstand von Willy Jesse, Julius Leber und auch Albert Schulz bzw. Heinrich Beese vermerkt Grit Stunnack in ihrer Biographie zu Willy Jesse: „Während in den Jahren von 1940 bis 1943 die Vorstellungen des neuen Staats- und Gesellschaftskonzeptes diskutiert wurden, entstanden seit 1943 konkrete Pläne für einen gewaltsamen Sturz des Regimes. Stärkung erhielt der Widerstandskreis durch Claus Graf Schenk von Stauffenberg … Der Generalstabsoffizier erkannte die Bedeutung von Julius Leber und förderte dessen Einfluß im Kreisauer Kreis. Obwohl Leber auf den Regierungslisten von Goerdeler als Innenminister vorgesehen war, hatte von Stauffenberg weitreichendere Pläne.

Ihm war bewusst, dass eine neue Regierung von einer breiten Volksbewegung getragen werden mußte, die durch Julius Leber geführt werden sollte. Willy Jesse war von Leber eingeweiht worden und bekam so Kontakt zu dem 1942 gegründeten Aktionsausschuss, der Zentrale. Alles unterlag der höchsten Geheimhaltung. Hauptsächlich bekam Jesse die Informationen über Gustav Dahrendorf, der in Mecklenburg ein Netz von kleinen sozialdemokratischen Widerstandsgruppen betreut(e) … Jesse war vom zentralen Aktionsausschuss für eine regional bedeutende Aufgabe vorgesehen. Der Sozialdemokrat sollte im Falle des Aufstandes in Mecklenburg `zu einer Volksbewegung aufrufen, mit unseren alten Genossen und Anhängern als Kerntruppe` … Erst im Frühjahr 1944, nach einem Besuch bei Julius Leber in Berlin, durfte Willy Jesse einige Vertraute in die Vorbereitungen einweihen. Jesse bildete eine Untergruppe, die aus Karl Schröder, dem ehemaligen Geschäftsführer der `Mecklenburgischen Volkszeitung`, Heinrich Beese, dem Parteisekretär, und Albert Schulz, dem früheren Mitglied des Reichs- und Landtages, angehörten … Die Untergruppe Leber in Mecklenburg mit Jesse an der Spitze unterstand Theodor Steltzer, der als Zivilbevollmächtigter im Generalkommando für Mecklenburg, Hamburg und Schleswig-Holstein verantwortlich sein sollte …“ (Vgl. Grit Stunnack „Willy Jesse – Eine Biographie“ / Albert Schulz „Erinnerungen eines Sozialdemokraten“)

Nach dem missglückten Attentat auf Hitler wurden im Rahmen der „Aktion Gewitter“ in Mecklenburg die Verdächtigen am 22. und 23. August 1944 verhaftet, unter ihnen Albert Schulz, Karl Schröder, Carl Moltmann, Hans Pollok, Heinrich Beese und Wilhelm Höcker. Willy Jesse konnte sich dem Zugriff durch die Gestapo mittels Flucht entziehen.

In der Folgezeit – September/Oktober 1944 – wurden ebenfalls das Mitglied der Landwirtschaftskammer Friedrich Wehmer, der Sekretär der SPD Südwest-Mecklenburg Xaver Karl, der Wismarer Gewerkschafter Karl Moritz und der ehemalige Landtagsabgeordnete in Schwerin Hans Fuchs verhaftet.

Von der Gestapo bespitzelt und verfolgt
Hans Hennecke, früheres Mitglied des Landtages in Schwerin und 1923/24 Finanzminister, schied noch Anfang Mai 1945 freiwillig aus dem Leben, nachdem er die Nachricht erhielt, dass seine Familie – trotz des bevorstehenden Kriegsendes – auf Veranlassung der Gestapo deportiert werden sollte. Karl Dressel aus Malchin fand noch am 3.Mai 1945 bei der Versenkung der „Cap Arcona“ den Tod. Einige mecklenburgische Sozialdemokraten, wie Willi Nudow oder Arno Hübner, wurden ebenfalls von der Gestapo bespitzelt. Zwischen 1933 und 1944 wurden Tausende Sozialdemokraten in Mecklenburg aus öffentlichen Ämtern gedrängt, inhaftiert, drangsaliert, bespitzelt, diszipliniert oder ermordet. Erst nach dem Kriegsende im Mai 1945 durften die Sozialdemokraten wieder auf eine Zulassung ihrer Parteiorganisation auch in Mecklenburg hoffen.

Doch auch nach Kriegsende – bedingt durch die von der sowjetischen Militäradmministration angeregten Stalininisierung – mußten viele soziale, konservative und liberale Demokraten erneut Repressalien und Verfolgung erdulden.

Wie meinte daher nach der Wende Peter Jessel, Mitglied des Museumsbeirates Hagenow, in seinem Beitrag „Bernhard Pfaffenzeller – erster Landrat des Landkreises Hagenow 1945“ treffend: „ … Achten wir die errungene Freiheit. Verhindern wir in der Zukunft Bürokratie, Geheimniskrämerei und Denunziantentum, hüten wir uns vor Neid und Missgunst, üben wir Toleranz und wiederholen nicht die Fehler der Vergangenheit. Zwei blutige Diktaturen in einem Jahrhundert reichen unserem deutschen Volk.“

Aber tatsächliche Demokratie muß auch vorgelebt und gelebt werden! – Ansonsten wird der Nährboden für die Extremisten von Links und Rechts „aufbereitet“ …

Marko Michels

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