Geschichtsklitterung vom Regierungschef ?

Äußerungen von Erwin Sellering sorgen bei Historikern, Politikern und Stasi-Opfern für Empörung …

Äußerungen von Regierungschef Erwin Sellering zur Charakteristik der DDR sorgen und sorgten bei Historikern, Politikern und Stasi-Opfern für Empörung. So hatte Ministerpräsident Sellering in einem Interview mit der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ geäußert, dass er sich dagegen verwahre, die DDR als totalen Unrechtsstaat zu verdammen, in dem es nicht das kleinste bisschen Gutes gab.

Wo das „Gute“ nun lag, bleibt sicher im subjektiven Empfinden der Einzelnen bzw. des Einzelnen …

Fakt ist jedoch, dass die Geburtsstunde der DDR eine mörderisch blutige war, in der Sozialdemokraten, Christdemokraten, Liberale sowie auch Kommunisten, die sich gegen eine Stalinisierung der Gesellschaft wehrten, bespitzelt, verhaftet und sogar ermordet wurden.

So schreibt Benno Prieß, ein Widerstandskämpfer gegen die kommunistische Diktatur aus Bützow, in seinen Erinnerungen über die damaligen Vorgänge: „ … Warum wurde eigentlich Angst und Terror in der sowjetischen Besatzungszone verbreitet ? Den deutschen Kommunisten war klar, dass die Bevölkerung, die beim Einmarsch (der Roten Armee) so gelitten hatte, ihr keine Sympathien entgegenbringen und sie auch nie wählen würde. Die damals gegründete SPD hatten einen riesigen Zulauf.

Die KPD unter Pieck und Ulbricht sah ihre Niederlage kommen. Sie beschlossen daher, mit aller Macht, mit der Hilfe der Sowjetarmee, die Einheitspartei (SED) 1946 zu gründen. Standhafte Sozialdemokraten, die gegen die Eingliederung waren und mit den Kommunisten nicht zusammengehen wollten, wurden abgeholt und in diese (NKWD-)Lager gebracht. Einen hohen Blutzoll zahlten damals ehemalige SPD-Mitglieder.

Die Rechnung der KPD ging auf, sie (die Kommunisten) hatten jetzt sämtliche Schlüsselstellungen fest in der Hand, und mit Angst und Terror begannen sie (die Kommunisten) jetzt, ein Ost-Deutschland aufzubauen, das die westliche Welt mit großer Sorge betrachtete …“

HLBürgermeister Albert Kruse aus Schwerin, Oberbürgermeister Albert Schulz aus Rostock, der Wismarer SPD-Kreisvorsitzende Karl Moritz, der Hagenower Landrat Bernhard Pfaffenzeller, die führenden Neubrandenburger Sozialdemokraten Wilhelm Dührung sowie Friedrich Schwarzer, die Schweriner Verwaltungsangestellten Hans-Joachim Roskam bzw. Prof.Dr.Ernst Walther, der Schweriner Pfarrer Aurel von Jüchen, die SPD-Landesgeschäftsführer Hermann Lüdemann oder Willi Jesse, oder der Greifswalder Landrat Willi Bieg wurden bespitzelt, inhaftiert, mußten nach Westdeutschland fliehen oder wurden sogar ermordet (Roskam, Walther, Pfaffenzeller) – nur 12 Beispiele von Tausenden aufrechten Sozialdemokraten.

In Mecklenburg-Vorpommern wurden allein im Zeitraum zwischen 1946 und 1951 mehr als 5000 ehemalige Sozialdemokraten aus der SED ausgeschlossen, intensiv überwacht sowie verhaftet.

Wie meinte damals der SPD-Landesgeschäftsführer (bis zu seiner gewaltsamen Absetzung im November 1945) Hermann Lüdemann, der sich Nazis wie Kommunisten  gleichermaßen widersetzte: „ … Ich verkaufe mich nicht ! Ich lebe lieber in einem demokratisch-kapitalistischen Staat, als ein Sklave in Russland ! In Russland ist keine Demokratie ! Zu einer Demokratie gehört, dass es mehrere Parteien gibt. Dieses System wird in Russland nur durch die GPU (Geheimpolizei) aufrecht erhalten !

Alle sind dagegen, aber keine traut sich, etwas zu sagen ! Dort sind alle Menschen genau so `für` das System, wie hier `für` die Einheitspartei. Die Kommunisten hier sind nur der Ausdruck des Willens der Russen und stützen sich auf ihre Bajonette ! Das Volk wird terrorisiert; es wagt gar nicht, die meisten Missstände zur Anzeige zu bringen ! Vorgegangen wird nur gegen Sozialdemokraten, nie gegen Kommunisten …“

SWAEBis 1950 wurden außerdem ebenfalls rund 3000 Christdemokratinnen und Christdemokraten ermordet, drangsaliert und vom K 5 bespitzelt, unter ihnen z.B. der stellvertretende Landesvorsitzende Hans Krukenmeyer, Wirtschaftsminister Siegfried Witte oder Vorstandsmitglied Annemarie von Harlem. Vielen Liberalen ging es ähnlich. Der ermordete Student Arno Esch steht dabei für den Freiheitswillen vieler Liberaldemokraten in der SBZ/DDR.

Die DDR „kein totaler Unrechtsstaat“ – diese Aussage sollte der Ministerpräsident noch einmal überdenken …

M.Michels

F.: 1.Hermann Lüdemann, u.a. SPD-Landesgeschäftsführer 1945 – widersetzte sich Nazis und Kommunisten gleichermaßen. / 2.Siegfried Witte (CDU) – von der SED verleumdet, von der K 5 bespitzelt. / 3.Arno Esch (LDP) – bezahlte seinen Einsatz für Demokratie, Freiheit und Gerechtigkeit mit dem Leben … (aus Michels „Einheitszwang oder Einheitsdrang …“, Schwerin 1999)

Nach oben scrollen