Große Werkschau würdigt Lebenswerk des Fotografen Walter Hinghaus

Auf der Suche nach dem besonderen Augenblick

Mit einer umfangreichen Werkschau würdigt das Schleswig-Holstein-Haus Schwerin das Lebenswerk des Schweriner Fotografen Walter Hinghaus. Zu sehen sind anlässlich seines 70. Geburtstages Aufnahmen aus fünf Jahrzehnten. Von den Anfängen als Theaterfotograf und Arbeiten aus seinem Fernstudium an der Hochschule für Graphik und Buchkunst in Leipzig über Schilderungen des Alltags in der DDR und ungewöhnliche Bilder von der deutsch-deutschen Grenze bis hin zu Reisefotografien, Porträts und Akten gibt die Ausstellung Auskunft über das vielseitige fotografisches Leben von Walter Hinghaus, der 1992 zu den Mitbegründern des MV-Foto e.V. gehörte.

„Ich bin nicht fürs Bauen, sondern fürs Beobachten“, schildert der Schweriner Fotograf seine fotografische Herangehensweise. Seit Anfang der 1960er Jahre ist er auf der Suche nach dem „besonderen Augenblick“, wie es einst sein großes Vorbild Henri Cartier-Bresson ausdrückte. 2001 erhielt er zusammen mit Ralf Wendt für seine künstlerische Arbeit als Fotograf und sein Engagement bei der Förderung fotografisch interessierter Jugendlicher den Kulturpreises des Landes Mecklenburg-Vorpommern (Förderpreis).

Die vom Kultusministerium MV geförderte Ausstellung im Schleswig-Holstein-Haus trägt den Titel „Augenblicke – Menschen und Orte“. Sie untergliedert sich in sechs Räume, die einzelne Schaffensperioden bzw. thematische Schwerpunkte des Fotografikers behandeln, und ist vom 29. Juni bis 11. September 2011 täglich von 10 bis 18 Uhr geöffnet. Weitere Arbeiten von Walter Hinghaus sind zeitgleich im Dom zu Schwerin (täglich 10 bis 17 Uhr) und in der MV-Foto-Galerie in der Puschkinstraße 13 (Di bis Sa, 14 bis 18 Uhr) zu sehen.

„Augenblicke – Menschen und Orte“

Raum 1: Spielzeit
Am Beginn der fotografischen Tätigkeit von Walter Hinghaus steht das Theater. Nach einer Lehre als Maschinenschlosser in Schwerin orientiert sich der 22-Jährige neu und geht 1962 an das noch jungen Theater in Parchim. Dort ist er als Inspizient tätig. Erste Theaterfotografien entstehen. Fünf Jahre später agiert er bereits als Theaterfotograf in Frankfurt an der Oder und daraufhin am Meininger Theater.  Fast zwanzig Jahre bis 1986 wirkt er an der international renommierten Spielstätte in Thüringen. Neben Fotografien von szenischen Darstellungen, Bühnenbildern und Schauspielern, interessiert Hinghaus auch der Blick hinter die Kulissen oder in den Zuschauerraum. Die Fotografien geben Auskunft über seine Leidenschaft für die darstellenden Künste, die über den fallenden Vorhang hinausgeht.

Die Aufnahmen finden neben der Dokumentation der jeweiligen Aufführungen, Verwendung in den Programmheften und Schaukästen der Theater und als Plakate, die Hinghaus selbst in Collage -Technik ausführt.

Raum 2: Studienzeit
Während seiner Tätigkeit als Theaterfotograf in Meiningen entschließt sich Hinghaus 1971 Fotografie zu studieren. Ein Jahr zuvor wurde dieses Fach als Fernstudium an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig eingerichtet. In diesem Raum sind Studienarbeiten vertreten, die einen Eindruck von der thematischen und formalen Spannbreite geben: Porträts, Akte, Natur- und Landschaftsfotografien, Architektur-aufnahmen.

Weiterhin sind Bilder zu sehen, die den Alltag in der DDR jenseits von Paraden und Parteitagen schildern. Die Menschen stehen im Vordergrund,  nicht das Regime. Über die Weltfestspiele 1973 in Berlin sagt Hinghaus: „Es war nicht mehr DDR, eine Woche lang.“ Welches Bild vermag diese Aussage besser zu unterstreichen, als jenes von dem Pärchen, welches die Treppe hinaufsteigt in einer regnerischen, Licht durchfluteten Nacht.

Raum 3: Projekte
Die fotografischen Aktivitäten von Walter Hinghaus vollziehen sich nicht nur im Alleingang. Zahlreiche Projekte gemeinsam mit weiteren Fotografen oder Fotografierenden lassen sich in seinem Werk finden. Vor allem innerhalb des von ihm 1992 mitbegründeten MV-Foto e.V. in Schwerin initiiert er einige fotografische Aktionen, wie etwa das mehrjährige Unterfangen zur Dokumentation von sozialen und kulturellen Zentren in Mecklenburg-Vorpommern von 1994 bis 2003. Weitere Vorhaben in der Region waren die Herrenhäuser von 1991 und die Bäderarchitekturen von 1995. Mit einem internationalen Thema setzt sich das Jürnjakob-Swehn-Projekt auseinander. Es führt Hinghaus und die  Fotografen Harry Hardenberg und Bernd Lasdin in die USA. Diesen Bildern gegenüber gestellt sind Aufnahmen, in denen sich Hinghaus quasi in eigenen und alleinigen Projekten vorrangig mit formalen Aspekten der Fotografie auseinandersetzt, wie etwa Strukturen, Spiegelungen, Farben, Licht- und Schattenspiele.

Raum 4: Akt und Portrait
Die Aktfotografien von Walter Hinghaus stehen in der Tradition der DDR-Aktfotografie. Diese ist vor allem gekennzeichnet durch ihre Authentizität und künstlerische Qualität. Das wird auch in den Aufnahmen von Hinghaus deutlich. Die abgebildeten Frauen wirken natürlich. Ihr weiblicher Körper wird nicht missbraucht, um irgendwelchen medialen Erwartungen zu genügen. Vielmehr zählt die jeweilige persönliche Ausstrahlung. Deshalb zeigt Hinghaus neben dem nackten Körper oft auch das Gesicht. Widmet er sich hingegen nur dem Körper, so beschäftigt ihn hauptsächlich die Form. Er modelliert regelrecht mit Licht und Schatten. Die Porträts von Hinghaus zeichnen sich durch ihre Direktheit aus, wodurch der Betrachter unmittelbar vor den abgebildeten Menschen steht.

Raum 5: Grenzräume
Die hier gezeigten Fotografien wurden 1993 in der Galerie Schwerin gezeigt. Die ungewöhnliche Inszenierung stammt von Walter Hinghaus selbst. Mittels der Hängung wird das Thema der „Grenze“ für die Besucher unmittelbar erfahrbar.

1991 erhält Walter Hinghaus ein Stipendium von der Stiftung Kulturfonds Berlin für sein Projekt „Grenzräume“. In den beiden darauf folgenden Jahren ist der Fotograf an der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze unterwegs. Er konzentriert sich auf das Gebiet im ehemaligen  Bezirk Schwerin. Seine Motive bestehen aus den Hinterlassenschaften der einstigen Grenzanlagen, wie Eisentore, Stacheldrahtzäune und Betonpfosten, die ästhetische Wirkung entfalten. Da winden sich Drahtseilewie Bleistiftstriche über das Fotopapier oder aneinander gereihte Betonstelen auf der Wiese muten wie Skulpturen in der Landschaft an.

Raum 6: Paris – L’art de la vie
Im Frühjahr 1990 erfüllt sich der Fotograf Walter Hinghaus  mit einer Reise nach Paris einen Lebenswunsch. Für ihn ist die Stadt an der Seine der Ort, in dem sein fotografisches Vorbild Henri Cartier-Bresson dem „besonderen Moment“  nachspürte. Es ist die Metropole des „Cinema Français“, welches er so sehr verehrt. In den kommenden Jahren zieht es den Fotografen regelmäßig dorthin. Die über einen langen Zeitraum entstandenen Aufnahmen können regelrecht als ein Zeitdokument betrachtet werden, die die Veränderung der Stadt nachvollziehbar machen. Wie einst der Fotograf Roger Melis 1986, so durchwandert auch Walter Hinghaus zu Fuß durch Paris. Seine Bilder nehmen teil am Leben und Sein in der französischen Hauptstadt.

Walter Hinghaus, Augenblicke – Menschen und Orte, Eröffnung am 28. Juli 2011 um 17 Uhr im Schleswig-Holstein-Haus Schwerin. 

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