Im Blickpunkt: Die Flüchtlingssituation in Schwerin

Nachgefragt beim Integrationsbeauftragten D.Avramenko

Epochale Veränderungen erwarten uns alle. Die Digitalisierung verändert die Arbeitswelt bereits fundamental, der Klimawandel stellt eine riesige Herausforderung dar, die Integration von Bürgerkriegsflüchtlingen wird weiterhin alle Anstrengungen verlangen und für eine politische Koexistenz der verschiedenen Staaten unterschiedlichster Gesellschaftsordnungen bedarf es viel diplomatisches Geschick.

Über die aktuelle Flüchtlingssituation und über die Auswirkungen in Schwerin sprachen wir dem Integrationsbeauftragten der Landeshauptstadt, Dimitri Avramenko.

„104 Nationen sind in Schwerin vereint…“

Frage: Herr Avramenko, auch Schwerin nimmt Flüchtlinge auf, steht dabei, wie ganz Deutschland, vor großen Herausforderungen. Wie beurteilen Sie die Aufnahmebereitschaft der Schweriner dazu?

Dimitri Avramenko, Integrationsbeauftragter in Schwerin. (Foto: Michaela Christen/Stadt Schwerin)Dimitri Avramenko: Waren es bis vor einiger Zeit lediglich Kontingentflüchtlinge, unter anderem jüdische Migranten, und Spätaussiedler überwiegend aus den GUS-Staaten, die seit den 1990er Jahren nach Schwerin kamen, so hat sich die Situation seit gut einem Jahr grundsätzlich verändert. Auch Schwerin nimmt Flüchtlinge und Asylbewerber nach dem Königsteiner Verteilerschlüssel auf. Er beträgt zur Zeit 2,62 Prozent aller Flüchtlinge, die auf das Bundesland M/V zugewiesen werden.
Mit den ersten Flüchtlingen nach Schwerin spürten wir eine sehr große Hilfsbereitschaft der Einheimischen. Sie meldeten sich und boten ehrenamtliche Unterstützung an, als Lehrer, für den Bereich des Sportes und vieles andere mehr. Mittlerweile hat in Schwerin die ehrenamtliche Initiative Flüchtlingshilfe ihre Tätigkeit begonnen, in der über 200 Ehrenamtler mitmachen.

Frage: Wie stellt sich die Situation zu Quantität und Qualität der Unterkünfte für Flüchtlinge in Schwerin dar?

Dimitri Avramenko: Die unserer Stadt zugewiesenen Flüchtlinge werden für die Zeit des Asylverfahrens dezentral in Übergangswohnungen untergebracht. Derzeit verfügt die Landeshauptstadt über 113 solcher Übergangswohnungen, von denen die meisten im Mueßer Holz, Lankow und Krebsförden liegen (Stand 26.10.2015). Die Stadt wird in Zusammenarbeit mit der kommunalen Wohnungsgesellschaft WGS weitere Wohnungen aus dem Leerstand für den Zuzug der Flüchtlinge und Asylbewerber herrichten.

Die Übergangswohnungen werden nach festgelegten Kriterien ausgestattet. Hierzu gehören neben dem Schlafplatz ein Tisch mit Stuhl und ein Schrank(-anteil). Die Wohnungen sind außerdem mit notwendigen Sanitäreinrichtungen wie Toilette, Waschbecken und Dusche bzw. Duschbad ausgestattet. Die Küche ist mit Herd, Kühlschrank und notwendigen Schränken sowie einer Arbeitsplatte für die Vorbereitung von Speisen ausgestattet. Außerdem gehört in jede Wohnung eine Waschmaschine.

Weitere technische Geräte, wie zum Beispiel Fernseher, sind nicht vorgesehen. Für die Schwerin zugewiesenen Asylbewerberinnen und Asylbewerber gibt es, wie eingangs angesprochen, keine zentralen Massenunterkünfte. Das heißt, sie kommen in unterschiedlichen Stadtteilen unter. Die städtische Wohnungsgesellschaft nutzt für die Unterbringung von Flüchtlingen leerstehende Wohnungen aus ihrem Bestand. Sie werden hergerichtet, mit dem notwendigen Mobiliar ausgestattet, was einfach gehalten ist, und damit dienen sie den Flüchtlingen während der Dauer des Anerkennungsverfahrens.

Frage: Schwerin will weltoffen sein. Zu einer gelebten Weltoffenheit gehört auch eine gelungene Integration. Ist dies erfolgt? Können Sie uns ein paar Fakten nennen?

Dimitri Avramenko: Gegenwärtig haben wir in Schwerin schätzungsweise 7.500 Menschen mit Migrationshintergrund aus 104 Nationen. Mit dem 2011 von der Stadtvertretung beschlossenen Integrationskonzept haben wir eine gute Grundlage für die weitere Arbeit geschaffen. Vor zwei Jahren wurde ein Statusbericht zur Umsetzung des Integrationskonzeptes erarbeitet, in dem die Aufgabenstellungen in der Integration unter anderem mit den Handlungsfeldern Schule, Ausbildung und Arbeitsmarkt festgehalten wurden.

Im Frühjahr wurde der kommunale Integrationsmonitor vorgestellt, der es ermöglicht, den Erfolg von Integration gerade in den drei Bereichen besser zu erfassen. Was den Bereich Schulbildung betrifft, sind wir vorangekommen. Schweriner Jugendliche mit ausländischer Staatsangehörigkeit erreichen deutlich häufiger höhere Abschlüsse als ihre Altersgenossen im Bundesdurchschnitt: Während bundesweit lediglich 16,2 Prozent der Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund das Abitur erwarben, waren es in Schwerin 39,3 Prozent.

Allerdings gibt es im Bereich frühkindliche Bildung und Förderung noch einiges zu tun. So ist die Betreuungsquote von Kleinkindern (0 bis 3 Jahre) mit Migrationshintergrund gegenwärtig deutlich geringer als im Landes- und Bundesdurchschnitt. Auch im Bereich des Arbeitsmarktes besteht noch Nachholbedarf. So lag die Arbeitslosenquote unter nicht-deutschen Schwerinern 2014 bei 31,0 Prozent – sie ist damit mittlerweile dreimal so hoch wie die Arbeitslosigkeit bei Schwerinern mit deutschem Pass (9,6 Prozent).

Frage: Hilfe wird nach wie vor benötigt. An wen können sich Schweriner wenden, die ihre Hilfe anbieten wollen?

Dimitri Avramenko: Wir haben unter www.schwerin.de Informationen, Kontaktadressen und Spendenkonten zusammengestellt, die wir laufend aktualisieren. Die wichtigste Adresse ist die Flüchtlingshilfe Schwerin, www.flüchtlingshilfe-schwerin.de. Sie beinhaltet unter anderem Informationen über Arbeitsgruppen, Veranstaltungen und Spendenmöglichkeiten. Außerdem nimmt die Ehrenamtskoordinatorin Nicole Ben Ali Hilfsangebote telefonisch unter 0385/2073110 oder 0152/26473187 entgegen. Oder besuchen Sie einfach eines der WELCOME-Cafés, die in unserer Stadt entstanden sind!

Frage: Sie selbst haben ukrainische Wurzeln. Wie charakterisieren Sie die Situation zurzeit in der Ukraine? Ist die Einheit des Landes noch zu retten?

Dimitri Avramenko: Ich verfolge die Lage in der Ukraine mit einer großen Aufmerksamkeit und kenne die Sorgen bzw. Befürchtungen der ukrainischen Bevölkerung. Dass jetzt weitestgehend die Waffen schweigen, ist ein erster Fortschritt. Eine Lösung für die komplizierten Fragen dort zu finden, bedarf großer Anstrengungen. Es ist aus meiner Sicht ein sehr langwieriger Prozess, bei dem viel Geduld und Beharrlichkeit gefordert sind. Ganz wichtig wäre mir die Bereitschaft von beiden Seiten, aufeinander zuzugehen und zu versuchen, tragfähige Kompromisse zu finden, die ein friedliches Zusammenleben in einem einheitlichen Land möglich machen.

Vielen Dank und weiterhin bestes Engagement für Schwerin
Die fragen stellte Marko Michels.

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