Interview: 20 Jahre Gleichstellungsarbeit in Schwerin

20 Jahre gibt es in der Landeshauptstadt Schwerin die Funktion der Gleichstellungsbeauftragten. Petra Willert übt seitdem diese Funktion aus.

Das ist Anlass für ein Gespräch mit der Gleichstellungsbeauftragten, um Bilanz zu ziehen und zugleich einen Ausblick auf kommende Aufgaben vorzunehmen.

Frage: Wie sind Sie darauf gekommen, sich für die Funktion der Gleichstellungsbeauftragten 1990 zu bewerben?

Petra Willert: Darauf sind andere gekommen. In der Wendezeit gründete sich in Schwerin der Unabhängige Frauenverband. Da haben sich viele Frauen getroffen, um darüber nachzudenken, wie die Gesellschaft frauenfreundlicher werden kann. Durch meine persönliche Situation bin ich dazu gekommen und wurde der Arbeitsgruppe Gleichstellung „zugeteilt“. Es folgte der sogenannte Runde Tisch der Frauen. Wir haben damals erfolgreich dafür gekämpft, dass die Landeshauptstadt eine Gleichstellungsbeauftragte und ein Frauenkommunikationszentrum bekommt. Es kam dann über Nacht zu der Entscheidung, dass wir in der Landeshauptstadt Schwerin die Stelle einer Gleichstellungsbeauftragten bekommen und sie auch besetzen dürfen. So kam es, dass ich im April 1990 beim damaligen Magistrat der Stadt Schwerin anfing. Aus dem Unabhängigen Frauenverband ging die Alternativen Fraueninitiative hervor. Die Fraueninitiative und der Demokratische Frauenbund Deutschlands, damals DFD heute dfb, haben unabhängig voneinander sehr nachhaltige Grundlagen für Frauen- und Mädchenprojekte in Schwerin geschaffen. Die Rolle der Gleichstellungsbeauftragten war die der Vermittlerin zwischen Frauenbasis und Verwaltung. Für uns Frauen ergaben sich aus heutiger Sicht ungeahnte Gestaltungsmöglichkeiten.

Frage: Was waren die Zielstellungen für die gesamte Arbeit?

Petra Willert: Im Mittelpunkt stand, dass wir in unserer Gesellschaft Geschlechtergerechtigkeit erreichen. Frauen und Mädchen sollten die gleichen Chancen haben auf allen Ebenen und in allen Bereichen wie Männer und Jungen auch. Damals nahm die Öffentlichkeit die Ungleichbehandlung der Frauen nicht so wahr. Themen wie häusliche Gewalt, Mehrfachbelastungen der Frauen und nur wenig weibliche Beschäftigte in Führungspositionen wurden ausgeblendet. Heute halte ich Frauen und Männer für das Thema Gleichstellung interessierter auch wenn die genannten Probleme weiterhin existieren. Beispielsweise verdienen im Bundesdurchschnitt Frauen 23 Prozent weniger als Männer in gleichen Tätigkeitsfeldern. In der öffentlichen Verwaltung tritt das Problem verdeckt auf. Viel zu wenige Führungspositionen werden von Frauen wahrgenommen.

Frage: Was ist in Schwerin in 20 Jahren Arbeit in der Gleichstellung erreicht worden?

Petra Willert: Die Stelle der Gleichstellungsbeauftragten ist weiterhin unverzichtbar, weil wir nach wie vor davon ausgehen dürfen, dass die tatsächliche Gleichstellung von Frauen und Männern längst nicht erreicht ist. Ich finde es gut und freue mich, dass das Thema Gleichstellung als Leitziel Bestandteil des zu beschließenden Leitbildes der Landeshauptstadt geworden ist. Sehr stolz bin ich auf das vielfältige und aktive Schweriner Frauenbündnis, das mit der Gleichstellungsbeauftragten seit zwei Jahrzehnten zahlreiche Projekte und Aktionen durchführt. Besonders am Herzen liegt mir, liegt uns, die Zusammenarbeit mit den Kommunalpolitikerinnen. Durch ein Wahlforum und einen Frauenpolitischen Stammtisch, weitere werden folgen, wurde die Zusammenarbeit mit Leben erfüllt. Ich möchte auch die Ausstellung „1000 Frauen für den Frieden“ im vorigen Jahr hervorheben. Es war beachtlich, wie viele unterschiedliche und interessante Veranstaltungen über unser Netzwerk in Regie des Förderkreises der Bernogemeinde angeboten werden konnten. Hingucker und nachgefragt immer zum Internationalen Frauentag ist die Frauen-Power-Bahn, die in diesem Jahr zum zehnten Mal fuhr. Ohne die Zusammenarbeit mit dem Schweriner Nahverkehr wäre die bundesweit einmalige Aktion nicht möglich.

Konkrete, beispielhafte Angebote für Frauen in prekären Lebenssituationen konnten bereits in den 90er Jahren unter Federführung der Gleichstellungsbeauftragten mit den Voten der Stadtvertreterinnen, Stadtvertreter und der Verwaltungsspitze geschaffen werden. In diesen Tagen beging als ehemaliges Kommunales Angebot die Einrichtung „Frauen im Zentrum“ das zehnjährige Bestehen. Ella, die Frauenpension hat einen Standortwechsel vom Mueßer Holz in das Stadtinnere vollziehen können. Das heißt, nachhaltige und aufeinander abgestimmte Hilfen und Unterstützungen für Frauen werden in unserer Stadt vorgehalten und auch aus kommunalen Mitteln finanziert. Dieser Umstand hilft mir sehr bei meiner Sprechstundentätigkeit. Hilfesuchende können direkt und unkompliziert weitervermittelt werden. Reibungslos funktioniert auch der Unternehmerinnenstammtisch, der vor drei Jahren in Schwerin und Westmecklenburg ins Leben gerufen wurde. Im letzten Herbst gab es einen Stammtisch mit der Oberbürgermeisterin oder erst vor kurzem besuchten schwedische Unternehmerinnen die Landeshauptstadt. Gleichstellungsbeauftragte sind sogenannte Einzelkämpferinnen. Umso wichtiger sind daher Netzwerke und deren Pflege auf unterschiedlichen Ebenen. Von der Landesebene bis zu Verbänden und Organisationen in der Landeshauptstadt gibt es vielfältige Kontakte. Effekte dieser Arbeit waren besonders in den ersten Jahren die Entwicklung zahlreicher Projekte, in denen viele Schwerinerinnen, die ihre Arbeit verloren haben, wieder in Arbeit kamen. Als Vertreterin meiner Landesarbeitsgemeinschaft und eines von elf Mitgliedern blicke ich auf eine langjährige Mitarbeit im Medienausschuss Mecklenburg-Vorpommern zurück. Mein Anspruch ist, Privater Rundfunk und Fernsehen sollen vielfältig und interessant für Hörerinnen und Hörer und Zuschauerinnen und Zuschauer sein und Medienkompetenz sollte nach besten Möglichkeiten im Lande gefördert werden.

Frage: Was ärgert und was erfreut Sie am meisten?

Petra Willert: Wir leben in einem reichen Land und haben trotzdem soziale Not zu verzeichnen. Ich bin traurig darüber, dass gerade ältere Frauen, alleinerziehende Mütter und Kinder von Armut besonders betroffen sind. Damit sind sie von der Chancengleichheit aller in der Gesellschaft nachhaltig ausgeschlossen. Selbst die Teilhabe am Ehrenamt, eine Möglichkeit Anerkennung zu erwerben, ist für sozial benachteiligte Männer und Frauen nur schwer möglich, wenn das Einkommen nicht einmal für die Fahrscheine ausreicht, um zu den Organisationen und Einrichtungen zu gelangen. Das Thema Gleichberechtigung von Frauen und Männern ist ein wichtiges Thema geworden, was durch Umfragen belegt ist. Ich habe Ablehnung erlebt, aber auch sehr viel Unterstützung und Rückhalt bekommen. Die Einrichtung von Frauen im Zentrum wäre nicht ansatzweise denkbar gewesen, ohne Unterstützung  des damaligen Oberbürgermeisters Johannes Kwaschik und der Geschäftsführung der WGS. Damit will ich sagen, viel Unterstützung kam gerade auch im Bereich des Sponsorings von Männern. Seit 2008 habe ich in der Verwaltung durch die Oberbürgermeisterin Angelika Gramkow die Möglichkeit erhalten, an den wöchentlichen Dezernentenberatungen teilzunehmen. Dies beinhaltet die Möglichkeit, Vorlagen der Verwaltung zeitnah zu sichten und eigene Stellungnahmen und Anregungen dazu einzubringen. Diese ganz unmittelbare Art des Zuganges und der Mitwirkung haben leider nicht alle meiner 34 Kolleginnen in Mecklenburg-Vorpommern.

Frage: Welche Vorhaben sind für die Zukunft geplant?

Petra Willert: Schwerin ist ein Lebensort für Frauen und für Männer. Gleichstellung bedeutet nicht, einseitige Förderung einer Gruppe von Menschen oder Gruppen gegeneinander auszuspielen, sondern die Stärken von Männern und von Frauen als gemeinsames Potenzial für die Gesellschaft zu nutzen. Diesen Ansatz hervorzuheben ist mir wichtig. Vieles ist an Strukturen in der Stadt geschaffen worden. Ich möchte innerhalb meines Zuständigkeitsbereiches dahingehend wirken, dass die Netzwerke mit den Synergieeffekten und Angeboten auf gutem Niveau arbeiten, aber auch weitere Partnerschaften entstehen. Hilfreich in diesem Prozess ist, dass innerhalb der Stadtverwaltung seit dem vergangenen Jahr Gleichstellung und Integration zu einem gemeinsamen Bereich geworden sind. Das bedeutet vom Ansatz her mehr soziale Vielfalt und mehr Öffnung unter Beachtung der Vielschichtigkeit der Menschen bezogen auf Alter, Geschlecht, sozialen Hintergrund und Nationalität in unserer Stadt. Am 1. Juli wird es als erstes gemeinschaftliches Projekt ein Treffen der Netzwerke Schweriner Frauenbündnis und Migration geben. Unser Thema ist „20 Jahre Netzwerkarbeit in Schwerin“. Darauf freue ich mich schon und natürlich möchte ich für die Belange der Bürgerinnen und Bürger weiterhin hier in meiner Heimatstadt Schwerin tätig sein.

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