Interview mit dem Bundestagsabgeordneten Hans-Joachim Hacker

Der Schweriner SPD-Politiker über die Diskussion um BdV-Präsidentin E. Steinbach, das Verhältnis von SPD und BdV sowie 20 Jahre deutsche Einheit

Hans-Joachim Hacker, Eric Gurgsdies, Martin Klähn und Arndt Noack (v.l.)Mitte September fand in Schwerin der „Tag der Heimat“ statt. Die Vertreibung der Deutschen nach dem zweiten Weltkrieg war bis 1990 in der DDR ein Tabu. Man wollte die Beziehungen zur „Volksrepublik“ Polen nicht gefährden. In der Bundesrepublik wurde das Thema oftmals mit revanchistischen Forderungen emotional für aktuell politische Zwecke missbraucht.

Im „Bund der Vertriebenen“ in der Bundesrepublik  fanden jedoch viele Betroffene einen Verband, in dem sie sich austauschen konnten, Hilfe fanden und Traditionspflege betreiben konnten.  Infolge der „neuen Ostpolitik“ der Regierung Brandt/Scheel wandten sich führende Protagonisten von der damaligen sozial-liberalen Regierungspolitik ab, wobei es ein Versäumnis der damaligen Bundesregierung war, den BdV nicht entsprechend in die Verhandlungen einzubinden – zumal es viele pragmatische Vertreter auch in den BdV-Reihen gab.

Nachgefragt bei Hans-Joachim Hacker, Mitglied des Bundestages, aus Schwerin

„Klare Botschaft in Richtung eines friedlichen Miteinanders …“

Frage: Herr Hacker, die Diskussionen um Erika Steinbach, Präsidentin des „Bundes der Vertriebenen“, nach deren umstrittenen Äußerungen zum Beginn des zweiten Weltkrieges und gegenüber dem früheren Außenminister Wladyslaw Bartoszewski reißen nicht ab.  Wie bewerten Sie diese Diskussion?

Hans-Joachim Hacker: Diese Diskussion ist durch inakzeptable Äußerungen von Erika Steinbach entstanden. Mit dem Hinweis auf eine polnische Mobilmachung im Frühjahr 1939 hat sie die Frage der Schuld am Ausbruch des Zweiten Weltkrieges aufgeworfen und den Eindruck erweckt, dass Polen eine Mitschuld trüge.  Dieses ist eine Verkehrung der historischen Wahrheit. Die Eroberungsabsichten der Nazis – bereits in Hitlers „Mein Kampf“ nachzulesen – sind belegt. Die abwertenden Äußerungen gegenüber dem früheren Außenminister Wladyslaw Bartoszewski sind völlig inakzeptabel. Gerade Bartoszewski – Verfolgter der Nazis und des Stalinismus – hat sich stets für gute Beziehungen zwischen Polen und Deutschland eingesetzt.

Frage: Unbestritten ist die Integrationsleistung und Interessenvertretung des BdV gegenüber den Heimatvertriebenen nach 1945. In der DDR war das Thema ein Tabu. In der alten Bundesrepublik hatte die SPD unter anderem mit Wenzel Jaksch, Ronald Rehs und Herbert Hupka zunächst führende BdV-Vertreter in ihren Reihen – bis Ende der 1960er Jahre.

Hätte die damalige Bundesregierung nicht die Vertreter des BdV stärker in die Verhandlungen mit den Ostblock-Staaten einbinden müssen – es gab ja viele sachorientierte Politiker auch im BdV?

Hans-Joachim Hacker: Die damaligen Verhandlungen zwischen der Bundesregierung und den damaligen Ostblockstaaten fanden auf beiden Seiten auf Regierungsebene statt. Ich glaube jedoch, der BdV hätte sich selbst stärker im Sinne der Ostpolitik der sozial-liberalen Koalitionen einbringen sollen. Die Ablehnung der Ostpolitik durch die große Mehrheit der BdV-Vertreter hat am Ende nicht den Interessen des Verbandes und seiner Mitglieder gedient.

Frage: Das polnische Volk ist ja selbst Jahrhunderte lang unterdrückt und geteilt worden. Schändlich war das Zusatzprotokoll des Hitler-Stalin-Paktes von 1939, was das „Auslöschen“ Polens von der Landkarte im deutsch-sowjetischen Einvernehmen vorsah. Nach 1945 wurde Polen selbst nach Westen verschoben, da die Sowjetunion die damaligen polnischen Westgebiete besetzt hielt und die dortigen Polen vertrieb. Dennoch: Auch die Vertreibung der Deutschen aus den einstigen deutschen Ostgebieten bleibt schweres Unrecht.

Wie ist Ihre Meinung zur Problematik der Vertreibung? Kann man da eine Leid mit dem anderen Leid „aufwiegen“?

Hans-Joachim Hacker: Zur geschichtlichen Wahrheit gehört, dass der zweite Weltkrieg von Nazi-Deutschland ausging und im Osten durch einen gnadenlosen Vernichtungskrieg gekennzeichnet war. Trotzdem war die Vertreibung der Deutschen aus den Gebieten östlich von Oder und Neiße ein Verstoß gegen das Völkerrecht. Heute sind die Beziehungen zwischen Polen und Deutschland durch den Vertrag über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit von 1991 geprägt. Die entscheidende Lehre aus der Geschichte kann nur lauten: Frieden und Verständigung zwischen dem polnischen und deutschen Volk. An dieser Aufgabe beteiligen sich insbesondere auch sehr viele Heimatvertriebene.

Frage: Willy Brandt meinte einmal – auch selbstkritisch im Hinblick auf die Durchsetzung seiner Ostpolitik: „Wo immer schweres Leid über die Menschen gebracht wird, geht es uns alle an. Vergessen wir nie: Wer Unrecht lange gewähren läßt, bahnt dem nächsten den Weg.“.

Müßte das nicht auch das Motto des „Zentrums gegen Vertreibung“ sein?! Wie beurteilen Sie dieses Projekt?

Hans-Joachim Hacker: Das Zentrum gegen Vertreibung als Projekt, das an die Vertreibungen in Europa erinnert, findet meine Unterstützung. Im Übrigen gibt es hierzu auch Entscheidungen des Deutschen Bundestages. Entscheidend ist aus meiner Sicht ist, dass die Ausstellungen und weiteren Projekte die historischen Abläufe real und auf wissenschaftlicher Grundlage darstellen.

Frage: Mit Albrecht Schläger ist auch ein Sozialdemokrat Vize-Präsident des BdV. Warum suchen die Sozialdemokraten nicht stärker den Kontakt zum BdV? Sollte man nicht mehr miteinander als übereinander reden?

Hans-Joachim Hacker: Seit Beginn meiner politischen Tätigkeit habe ich mich um die Belange der Vertriebenen in meinem Wahlkreis gekümmert. Hierbei habe ich mich nachhaltig dafür eingesetzt, dass die Regelung über die Vertriebenenzuwendung vom Deutschen Bundestag als Gesetz verabschiedet wurde. So wie ich haben auch andere Sozialdemokraten Position bezogen. Erst kürzlich habe ich Mitglieder aus den BdV-Kreisverbänden Schwerin und Ludwigslust im Deutschen Bundestag empfangen. In der Diskussion gab es eine klare Botschaft, die in Richtung eines friedlichen Zusammenlebens in Europa ging.

Letzte Frage: Bald jährt sich der Jahrestag der deutschen Vereinigung zum zwanzigsten Mal. Wie lautet Ihre Bestandsaufnahme?

Hans-Joachim Hacker: Für das Aufbauwerk nach der deutschen Wiedervereinigung gab es kein Drehbuch. Wer zurückblickt in die Zeit 1989/90 wird sich an die Verunsicherung und Perspektivlosigkeit im DDR-Staat erinnern. Seither hat es in den neuen Ländern ein Aufbauwerk gegeben, das durch das Engagement der Menschen in den neuen Ländern und die Solidarität der alten Bundesländer geprägt war. Für mich bleibt die Aufgabe der weiteren Angleichung der Lebensverhältnisse. Der weitere Ausbau der Infrastruktur von Forschung und Entwicklung ist die entscheidende Antwort auf die noch immer hohe Arbeitslosenzahl in den neuen Ländern.

Dann weiterhin maximale Erfolge in der politischen Arbeit!

Marko Michels

Foto: Hans-Joachim Hacker, Eric Gurgsdies, der frühere Leiter des Landesbüros MV der Friedrich-Ebert-Stiftung, Martin Klähn, Mitbegründer der Bürgerbewegung NEUES FORUM 1989 in der DDR, und Arndt Noack, Mitbegründer der SDP 1989. (Marko Michels)

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