Interview mit dem Hochsprung-Olympiasieger Gerd Wessig

Von Lübz über Goldberg zum SC Traktor Schwerin …

2009 ist ein allgemein betrachtet ein abwechslungsreiches Leichtathletik-Jahr. Im März finden die Hallen-Europameisterschaften in Turin statt, dann folgen zahlreiche Grand Prix-Wettkämpfe, im Mai wird der Europacup ausgetragen, und im August zunächst die Universiade-Wettbewerbe in Belgrad und dann gibt es mit den WM in Berlin den Saison-Höhepunkt.
Für die Schwerinerinnen und Schweriner ist das aktuelle Jahr ein ganz besonderes, nicht nur wegen der BUGA … Es ist vor allem auch ein „Wessig-Jahr“, denn der Hochsprung-Olympiasieger von 1980, der damit das erste olympische Leichtathletik-Gold überhaupt nach Schwerin holte, wird 50 !
Doch auch aktuell geht es in puncto Leichtathletik in Schwerin „hoch her“. Am 28.Februar findet im Sieben-Seen-Center das Stabhochsprung-Meeting mit Musik statt – mit Talenten, Spitzen-Athleten und vielen „Ohrwürmern“ !

„Für Volk und Vaterland …“

Frage: Mitte Februar gab es für die Athleten vom Schweriner SC bei den deutschen Nachwuchs-Hallenmeisterschaften in Neubrandenburg Gold und Bronze. Martin Neckin siegte im Weitsprung mit 7,39 Meter. Im Dreisprung sprang Felix Ortmann mit 15,32 Meter auf den Bronzerang. Einen sechsten Platz gab es durch Laurine Normann mit 13,92 Meter im Kugelstoßen.
Wie beurteilen Sie die Ergebnisse der Schweriner Talente jüngst in Neubrandenburg ? Wie schätzen Sie deren Leistungsvermögen ein ?

GWGerd Wessig: Wir haben hier in Schwerin eine Reihe guter Talente, wenn ich an die bereits genannten Martin Neckin, Felix Ortmann oder Laurine Normann denke, aber auch Tobias Ernst oder Christoph Hinz, auch wenn es in Neubrandenburg nicht so lief, sind ebenfalls gute Nachwuchsathleten. Es dauert eben Jahre, bis gute Talente reifen. Leider wurde in jahrelang zu wenig in den Nachwuchs investiert, wurde zu wenig für die Förderung hoffnungsvoller Talente getan.

Doch mittlerweile sind wir in Schwerin auf einem guten Weg und ich bin für die nächsten Jahre optimistisch. „Weltspitze“ steht dabei nicht zur Debatte. Aber es gilt: Erst einmal müssen kleinere Brötchen gebacken werden, bevor ein großer Kuchen entsteht. Die personellen Möglichkeiten hier im Verein sind ebenfalls positiv zu bewerten – viele Helfer, gute Trainer, die viel Zeit für die Leichtathletik aufbringen: Also gute Voraussetzungen für eine gute Betreuung und Förderung der jungen Talente. Was natürlich ebenso wichtig ist, dass uns die Stadt tatkräftig unterstützt, dass von dieser Seite bewiesen wird, dass man ein Herz für den Sport hat. Selbstverständlich gab und gibt es auch bei uns viele „Aufs und Abs“. Nur die Stadt Rostock, um nur ein Beispiel zu nennen, lässt den FC Hansa Rostock auch nicht im Regen stehen, nur weil es gegenwärtig für den Verein suboptimal läuft. Die Stadt Schwerin bewies aber, dass sie auch zum Sport hält.

Mit Anika Leipold wechselte zwar ein hoffnungsvolles Talent, als Athletin des SSC vor drei Jahren Vize-Weltmeisterin bei den Juniorinnen im Weitsprung geworden, den Verein in Richtung Hamburg, aber Reisende kann man eben nicht aufhalten. Die Bedingungen im Verein sind jedenfalls so, dass Anika auch in Schwerin ihren sportlichen Weg hätte gehen können. Aber damit ist das Thema Anika Leipold für mich auch beendet.
Wir sind ansonsten gut aufgestellt, haben viele Unterstützer und können selbstbewusst für die Zukunft sein.

Frage: In knapp fünf Monaten werden Sie junge 50. Ihr größter Erfolg, der Olympiasieg 1980 in Moskau, war mit einer bis dahin einmaligen Leistung verbunden. Zum ersten Mal gelang der olympische Hochsprung-Sieg bei den Herren mit Weltrekord. Sie schafften 2,36 Meter und konnten den Olympiasieger von 1976, Jacek Wszola (Polen/2,31 Meter), und Teamkollegen Jörg Freimuth vom ASK Vorwärts Potsdam (ebenfalls 2,31 Meter) deutlich auf die Plätze verweisen. Wie verlief der Wettkampf damals aus Ihrer persönlichen Sicht ? Wie war die Atmosphäre im olympischen „Zentralen Leninstadion“ ? Wer war der erste Gratulant nach dem Erfolg ?

GWGerd Wessig: Tja, die ersten Gratulanten, noch im Stadion, waren die Teamkollegen Henry Lauterbach und Jörg Freimuth. Auch der Schweizer Roland Dahlhäuser beglückwünschte mich unmittelbar nach dem Erfolg. Nur Jacek Wszola (1976 Hochsprung-Olympiasieger. – Anm. M.M.) ließ sich etwas mehr Zeit: Er war der Letzte, der mir gratulierte. Aber mittlerweile sind wir gute Kumpel ! Bei ihm ging es wohl schon damals um viel Geld, bei mir „nur“ um „Volk und Vaterland“. Allerdings gab es damals noch eine größere Identifikation mit dem Team, mit dem Erfolg als es heute oftmals üblich ist.

Zum olympischen Wettkampf 1980: Ich hatte mich Stück für Stück in den Wettkampf hereingetastet, wollte unter die besten Sechs. Das war auch die offizielle Zielvorgabe und diesen leistungsmäßigen Druck hatte man dann auch schon. Das Ziel stand, wer darunter blieb, hatte versagt. Irgendwelche Ausflüchte wurden nicht akzeptiert, nach der Devise in etwa, dass die Zuschauer so laut, die Stimmung nicht gut und die Bedingung nicht optimal seien, waren verpönt. Wer die Ziele nicht erreichte, musste sich auch wieder hinten anstellen. Auch große Namen galten nichts. Das mußten seinerzeit Rosemarie Ackermann (Hochsprung), Wolfgang Schmidt (Diskuswerfen) oder Udo Beyer (Kugelstoßen) erfahren.

Aber ich blieb in der Zielvorgabe. Als feststand, dass ich sicher auf Rang sechs lag, war ich erst einmal erleichtert. 2,24 Meter, die Konkurrenz war nicht weg und die Höhe war für mich nur eine Durchgangsleistung, für mich keine Hürde. Und ich merkte Höhe um Höhe, eine Medaille könnte durchaus drin sein, zumal die Mannschaftskameraden Henry Lauterbach und Jörg Freimuth noch immer dabei waren. Und ich dachte mir: Die hatten doch die ganze Saison gegen dich nichts zu bestellen gehabt und jetzt wollen sie dich schlagen ?! Das geht schon einmal gar nicht ! Dann war ich schon unter den besten Vier und auch Jörg Freimuth war auch noch dabei. Ich wusste nun, eine Medaille ist in Reichweite. Dann plötzlich, bei der Höhe von 2,33 Meter, als die anderen rissen, war ich nicht mehr Dritter, sondern Erster – und ich schaffte sogar noch die 2,36 Meter. In diesem Moment war ich wohl der glücklichste Mensch auf der Welt !

GWAnmerkung: Das damalige Endergebnis lautete: 1.Gerd Wessig (DDR) – 2,36 Meter 2. Jazek Wszola (Polen) – 2,31 Meter 3. Jörg Freimuth (DDR) – 2,31 Meter 4. Henry Lauterbach (DDR) – 2,29 Meter 5. Roland Dalhäuser (Schweiz) – 2,24 Meter 6. Vasa Komnevic (Jugoslawien) – 2.24 Meter / Zuvor, bei den DDR-Meisterschaften in Cottbus, wurde Gerd Wessig Erster mit 2,30 Meter. – mm

Frage: Am Wochenende findet der 10.Stabhochsprung mit Musik im Schweriner Sieben-Seen-Center statt. Welche Bedeutung hat dieser Wettkampf für Sie ?

Gerd Wessig: Unser Ziel war es vor 10 Jahren den Zuschauern, die nicht mehr ins Stadion kamen, eine attraktive Disziplin aus der Leichtathletik näher zu bringen. Heute zählt ja nicht mehr der solide Wettampf, es muß ja schon eine spektakuläre Show sein, die unterhalten muß. Und was kann spektakulärer sein als der Stabhochsprung. Wenn sich ds Publikum zu Leichtathletik-Wettkämpfen nicht mehr in die Schweriner Stadien kam, gingen wir eben zum Publikum. Die Manager des Sieben-Seen-Centers hatten als Maßgabe, dass wir dort ein sportliches Highlight auf die Beine stellen sollten. Wir mußten allerdings auf unsere begrenzten finanziellen Möglichkeiten achten, daher entschlossen wir uns, einen Wettkampf für Nachwuchsspringer zu organisieren. Und dieser Wettbewerb wurde inzwischen zu einem echten Erfolg.

MSTDie Stimmung ist fantastisch, die Leute bleiben mit ihren Einkaufswagen stehen, kommen morgens zum Einkaufen und verweilen dann doch bis zum Nachmittag, ganz gleich ob die gekauften Bio-Eier schon auslaufen oder nicht. Der Stabhochsprung mit Musik ist ein sportliches Spektakel mit Niveau. Die Nachwuchs-Athleten sind dicht am Zuschauer, können eine einzigartige Atmosphäre erleben. Sonst kommen nur die Eltern, Omas und Opas zu den Wettkämpfen ins Stadion, hier ist das Publikum zahlreich und begeistert.
In diesem Jahr können wir die Ränge drei bis acht der deutschen Jugendmeisterschaften für den Wettbewerb gewinnen. Acht Athleten aus den eigenen Reihen – von Klasse fünf bis acht – sind außerdem dabei. Ein separates Frauenfeld gibt es zwar nicht, aber Martina Strutz wird als Gaststarterin teilnehmen. Insbesondere jene Athleten, die um und über 5 Meter springen, werden den Zuschauern eine große Show zeigen. Vorbeischauen lohnt sich !

Frage: Sie selbst sind Abteilungsleiter Leichtathletik beim Schweriner SC, bemühen sich um die Schweriner Talente, organisieren Wettkämpfe, wie den traditionellen Domäne-Zehnkampf. 20 Jahre nach der Wende: Welche Verbesserungsvorschläge hinsichtlich der Nachwuchsförderung im Sport hätten Sie parat ? Gerade die olympischen Ergebnisse 2008 in den olympischen Kernsportarten – u.a. Leichtathletik, Schwimmen, Rudern – waren ja katastrophal.

Gerd Wessig: Wenn es die Verantwortlichen versäumen, das Hauptaugenmerk auf die Förderung des Nachwuchses zu richten, dann wird der deutsche Sport bald kaum noch Weltspitze sein. Die Talente müssen auch professionell betreut werden ! Und das können nur promovierte, umfassend ausgebildete Trainer sein, die unter anständigen Bedingungen einen anständigen Lohn erhalten. Wie ist es denn heute all zu oft ? Die Trainer leben von der Hand in den Mund, trainieren in kalten, sanierungsbedürftigen Hallen und engagieren sich für ihre Schützlinge als „Goodwill-Kräfte“. Das dann irgendwann auch die größte Motivation, der größte Einsatz nachlässt ist nur verständlich.  Viele Lehrer, die an den Gymnasien und sonstigen Schulen unterrichten, widmen sich dann noch dem Training der Nachwuchssportler. Sie sind nach dem Unterricht aber schon ausgelaugt, müssen sich zig anderen Dingen zusätzlich zuwenden. Kann dann unter solchen nichtprofessionellen Voraussetzungen dauerhaft Professionelles geleistet werden, wird man so „Weltklasse“. – Ich sage: Nein !

Wenn der politische Wille da ist, dann sollten Leichtathletik-Stützpunkte in Wattenscheid und in Leverkusen auch umfassend finanziell, personell und materiell unterstützt werden. Wenn dauerhaft Vater oder Opa als Übungsleiter/Trainer fungieren müssen, dann wird die Weltspitze für deutsche Athletinnen und Athleten aber immer ferner. Es kann aber nicht der Anspruch insbesondere der deutschen Leichtathletik sein, dauerhaft „unter ferner liefen“ zu landen. Die Ausbildung der Trainer bleibt das „A und O“. Wenn eine gute Ausbildung vier bis fünf Jahre dauert, dann ist das nun einmal so. Es muß doch letztendlich gesichert sein, dass gute Talente in gute Hände gelangen. Die Power, die Nachwuchssportler sind doch da. Nur sie müssen auch qualifiziert betreut werden. Trainer, die zwei oder drei Jobs annehmen müssen, um über die Runden zu kommen, können dauerhaft kaum eine intensive Betreuung unseres sportlichen Nachwuchses und damit unserer sportlichen Zukunft gewährleisten.

Frage: Im Weinhaus „Uhle“ lernten Sie Koch. Sind Sie immer noch immer auch ein begnadeter Virtuose in Küche oder lassen Sie lieber kochen ? Mußten Sie jemals in Ihrer sportlichen Karriere auf Ihr Gewicht achten oder hatten Sie diesbezüglich nie Probleme ?

Gerd Wessig: Offen gesagt, war ich zu meiner Zeit einer der schwersten Hochspringer. Ich hatte meistens zwischen 85 und 87 Kilogramm gewogen. Allerdings war ich ein sehr athletischer Springer, nicht so ein „Hungerhaken“ wie einige Athleten heute. Hier kam mir meine Mehrkampfausbildung sehr entgegen. Ansonsten achtete ich schon bewusst auf mein Gewicht, ernährte mich entsprechend. Wog ich mal über 90 Kilogramm, dann sprang mein Trainer gleich „im Dreieck“ … Aber das man auch als robuster Hochspringer große Höhen top Leistungen erreichen kann, habe ich ja bewiesen. Ähnliches gilt auch für Henry Lauterbach oder Jörg Freimuth, die ebenfalls keine Leichtgewichte waren.
Zu „Uhle“ habe ich heute nicht mehr den großen Kontakt, aber es gibt dort immer wieder Traditionstreffen ehemaliger Mitarbeiter.

Frage: Im Sommer finden die Leichtathletik-WM in Berlin statt. Werden Sie vor Ort sein ? Was erwarten Sie von den deutschen Athletinnen und Athleten bei der Heim-WM ?

Gerd Wessig: Dort erhoffe ich mir eine tolle Stimmung mit einem hoffentlich zahlreichen Publikum. Das Berliner Olympiastadion ist wirklich eine ausgezeichnete Wettkampf-Stätte. Hier kann man Leichtathletik bestens erleben. Hoffentlich lässt sich das deutsche Publikum von den mäßigen Leistungen der deutschen Leichtathletinnen und Leichtathleten in Peking nicht abschrecken und kommt dennoch zur WM im eigenen Land. Schlechter als bei Olympia in Peking kann es für die deutsche Leichtathletik ohnehin nicht mehr werden. Daher glaube ich schon an positivere Resultate für den DLV als noch in Peking. Wichtig ist nur, dass Athletinnen und Athleten nicht wieder irgendwelche Ausflüchte für ihr etwaiges Versagen suchen, sondern auch klipp und klar zu ihrer Leistung stehen.

Ich wünsche mir eine stimmungsvolle WM mit klasse Leistungen. Also Karten kaufen, hinfahren und beste Leichtathletik in einem hervorragenden Stadion live verfolgen.
Ich werde selbst natürlich auch in Berlin sein und hoffentlich viele ehemalige Mitstreiterinnen und Mitstreiter wieder sehen.

Frage: In zwei Monaten beginnt die BUGA. Glauben Sie auch, dass diese Veranstaltung für Schwerin tatsächlich ein Erfolg wird ?

GWGerd Wessig: Die BUGA ist das Beste, was Schwerin passieren konnte. Was hier in den letzten Jahren alles geschaffen wurde, an Schandflecken beseitigt wurde, neu entstand, das hätte man ansonsten in 100 Jahren nicht erreicht. Die BUGA ist eine ausgezeichnete Werbung für die Stadt und wertet Schwerin weiter auf. Es werden bestimmt zahlreiche Besucher aus Nah und Fern den Weg nach Schwerin finden. Ich hoffe daher auf ein tolles Gelingen.

Auch für Sie, Herr Wessig, weiterhin alles Gute und maximale Erfolge !

M.Michels

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Infos zu Gerd Wessig

Geburtsjahr: 1959 – Geburtsort: Lübz – Trainer: Bernd Jahn Größe: 2,01 Meter – Wettkampfgewicht: 87 kg – Verein: SC Traktor Schwerin – Beruf: Koch, studierter Gastronom, Unternehmer – Größte internationale  Erfolge (Auswahl): Olympiasieger 1980 mit Weltrekord von 2,36 Meter, Europacup-Zweiter 1985, EM-Siebenter 1986 – Bestleistung im Zehnkampf: 8015 Punkte

1.Foto: Bei der Verabschiedung von Trainer Jahn in Schwerin (2.v.r. / A.: Schweriner SC/Abteilung Leichtathletik) / 5.Foto: Im Sieben-Seen-Center Schwerin (Blick in die Einkaufsmeile) findet am 28.Februar das X.Stabhochsprung-Meeting mit Musik statt. (M.Michels) / 4.Foto: Martina Strutz (rechts/SG Dynamo Schwerin). Martina Strutz nimmt auch am Meeting am 28.Februar teil. (M.Michels) / 2.Foto: Gerd Wessig beim Olympiasieg 1980 (Deutsche Olympische Gesellschaft) / 3.Foto: Olympia Moskau 1980 (DOG).

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