„Nicht gegeneinander ausspielen lassen!“

Schwerins Integrationsbeauftragter Dimitri Avramenko über die Interkulturelle Woche 2010, über das Miteinander von Schwerinern mit und ohne Migrationshintergrund sowie gemeinsame Aktivitäten

„Zusammenhalten – Zukunft gewinnen“ – Das ist das Motto der bundesweiten Interkulturellen Woche, die auch in Schwerin Tradition hat.

Eröffnet werden die bundesweiten Interkulturellen Wochen am Freitag, 24. September 2010, in Essen. Insgesamt beinhalten die Interkulturellen Wochen rund 3500 Veranstaltungen, die in 300 Städten und Gemeinden in ganz Deutschland durchgeführt werden.

Interview mit dem Schweriner Integrationsbeauftragten Dimitri Avramenko

Frage: Herr Avramenko, die Europäische Union hat das Jahr 2010 zum Jahr zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung ausgerufen, was gerade auch für die Migrations-, Flüchtlings- und Integrationspolitik von großer Bedeutung ist.

Zurzeit toben hingegen in der Welt noch immer mehr als 40 Kriege und kriegsähnliche Handlungen. Sind die Schwerinerinnen und Schweriner – aus Ihrer Sicht – für die Probleme von Bürgerkriegsflüchtlingen und Migranten hinreichend sensibilisiert?

Dimitri AvramenkoDimitri Avramenko: Ich habe schon die Hoffnung und das Empfinden, dass viele Schwerinerinnen und Schweriner insbesondere für die Flüchtlinge aus Kriegsgebieten viel Einfühlungsvermögen haben. Diese Hoffnung schöpfe ich aus der Erkenntnis, dass in der Landeshauptstadt viele Aktionen und Aktivitäten gemeinsam von „alten“ Schwerinern und „neuen“ Schwerinern mit Migrationshintergrund stattfinden.

Es gibt hier sehr gute Partnerschaften mit verschiedenen Organisationen. Ich möchte als ein Beispiel nur den Flüchtlingsrat M-V e.V. nennen. Dazu gibt es enge Kooperationen mit Verbänden und Gremien auf kommunaler oder Landes-Ebene.

In Schwerin gibt es auch zahlreiche Initiativen, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Sehr engagiert ist dabei das Bürgerbündnis für Demokratie und Menschenrechte. Diese hat mit dem „Botschafter für Demokratie“ und früheren DDR-Bürgerrechtler Heiko Lietz, der kürzlich für sein demokratisches Eintreten geehrt wurde, eine herausragende Persönlichkeit an der Spitze. Auf politischer Ebene wurden auch entsprechende Entscheidungen getroffen, z.B. Unterstützung eines Resettlementprogramm, mit welchem die Schweriner Stadtfraktionen und Oberbürgermeisterin Angelika Gramkow ihre Haltung zu der Flüchtlingsthematik bekundet haben. Insgesamt lässt sich sagen, dass die Menschen mit Migrationshintergrund, die nach Schwerin kommen, schon sehr unterstützt werden und ihnen viel positive Aufmerksamkeit entgegengebracht wird. Ich hoffe sehr, dass das Miteinander zwischen Schwerinern mit und ohne Migrationshintergrund tatsächlich immer von Aufrichtigkeit, Verständnis und Toleranz geprägt ist.

Frage: Gegenwärtig sorgt das Buch von Thilo Sarrazin „Deutschland schafft sich ab“, in dem er den unzureichenden Willen mancher Migranten zur Integration beklagt. Mal abgesehen von der Polemik – nicht alles, was Sarrazin in seinem Buch darlegt, ist falsch. Wie bewerten Sie dessen Meinung zum unzureichenden Integrationswillen einiger Migranten?

Dimitri Avramenko: Um sich abschließend zu Sarrazins Thesen zu äußern, muss man sich tatsächlich nicht nur oberflächlich, sondern sehr intensiv mit dessen Buch beschäftigen. Ich habe da ein sehr zwiespältiges Gefühl. Einerseits bin ich sehr sensibilisiert für alle Themen, andererseits möchte ich nicht auch noch einen Beitrag zu Sarrazins wirtschaftlichem Konzept, der Auflagensteigerung des Buches, leisten.

Aber allein aus Sarrazins Thesen, aus seinen Kommentaren lässt sich ableiten: Die Themen, die Sarrazin in seinem Buch, in seinen Verlautbarungen anspricht, sind in der Gesellschaft schon längst enttabuisiert. Er hat hier kein „politisches Neuland“ entdeckt. Was ich an seinen Gedanken zur Integration in Deutschland nicht korrekt finde, dass er nicht allein auf Missstände hinweist, sondern dieses in verletzender Polemik macht und dabei, ob gewollt und ungewollt, die Gefühle nicht nur der Deutschen mit Migrationshintergrund verletzt, sondern ja selbst viele Bürger der neuen Bundesländer, z.B. hinsichtlich des Bildungsstandes, kritisiert.

Sarrazin provoziert, bietet aber keine Lösungen an und nicht zuletzt: Es werden nur die Misserfolge, aber nicht die zahlreichen Erfolge einer gelungenen Integration benannt. Außerdem werden Migranten mit einer bestimmten Religionsausübung pauschal verurteilt, insofern ist Sarrazins Buch kein Beitrag zu einer wirklich sachlichen Auseinandersetzung.

Aber: Man könnte die nun entstandenen Diskussionen allerdings auch zum Positiven nutzen, in dem Unzulänglichkeiten der Integration noch stärker in den Mittelpunkt des gesellschaftlichen Interesses gerückt werden. Dadurch können entwickelte Handlungsstrategien zur Beseitigung vorhandener Missstände optimiert werden.

Allerdings ist dieses Thema schon längst politische Agenda, aber vielleicht wird durch die entstandene Diskussion auch erreicht, dass sich jene, welche die Integrationsprobleme negierten, sich mit diesen nicht hinreichend beschäftigten, nun endlich wachgerüttelt werden. Das wäre m.E. dann das Positive aus der Diskussion um Sarrazin und dessen Thesen.
Ich möchte Sarrazin – und vielen seiner Anhänger – jedoch darin widersprechen, wenn die von ihm angesprochene ethnische Desintegration in der Gesellschaft überwiegend als Ursache und nicht im Zusammenhang mit Folgen sozialer Veränderungen dargestellt wird.

Wir befinden uns, trotz leichter Erholung, noch immer in einer prekären wirtschaftlich-finanziellen Situation. Die allgemeinen sozialen Bedingungen haben sich in den letzten Jahren nicht gerade zum Vorteil entwickelt, die Arbeitsverhältnisse sind nicht mehr von Kontinuität geprägt, es gibt viele überschaubar befristete Arbeitsverträge, zudem nicht üppig entlohnt. Die Schere zwischen Arm und Reich, ganz gleich ob es sich hierbei um Menschen mit oder ohne Migrationshintergrund handelt, geht immer weiter auseinander. Das sind alles Rahmenbedingungen, die auch eine erfolgreiche Integrationspolitik beeinflussen, ggf. sogar gefährden könnten.

Wir versuchen in Schwerin allerdings Integrationsprobleme schnell zu erkennen. Es gilt zu agieren, statt zu reagieren. In Schwerin gibt es zudem eine Arbeitsgruppe „Interreligiöser Dialog“. Dort kommen Vertreterinnen und Vertreter verschiedener Religionen zusammen, sich auszutauschen, verschiedene gesellschaftliche Themen anzusprechen und entsprechende Handlungsansätze zu entwickeln, insbesondere  durch gemeinsame Veranstaltungen und Aktivitäten.

Schwerin wurde letztendlich auch als ein „Ort der Vielfalt“, als „lebenswerte Stadt“ ausgezeichnet, in dem Schweriner mit und ohne Migrationshintergrund durchaus gut miteinander auskommen. Sowohl die Kommunalpolitiker als auch die Verwaltungsmitarbeiter sind für die Probleme der Einwohner mit Migrationshintergrund sensibilisiert. In Schwerins ist die Integrationsthematik schon lange auf der Tagesordnung und wird konstruktiv gestaltet. Wir versuchen, dass Schwerin für alles liebenswert und lebenswert bleibt, unabhängig von kultureller, religiöser oder sozialer Herkunft.

Frage: In welchen Bereichen funktioniert das Miteinander von „Alt-Schwerinern“ und „Neu-Schwerinern“, also den Migranten, besonders gut? Sport und Kultur dürften dabei bestimmt „die Vorreiter“ sein – oder?

Dimitri Avramenko: Auf jeden Fall. Sport und Kultur sind die Bereiche, in denen ein Miteinander, eine Zusammenarbeit besonders gut klappt. Es sind eben alltägliche Lebensinhalte, bei denen  „Team-Work“ ganz besonders gefragt ist und es überhaupt keine Rolle spielt, woher jemand stammt. Ob in der Musik-Band, im Fußball-Team oder in der Tanzgruppe: Harmonie, Zusammenarbeit und Kooperation sind Grundvoraussetzung. Wir haben in Schwerin außerdem das „Netzwerk Migration“ mit vielen Kooperationspartnern, die auch Projekte über Sport und Kultur hinaus entwickeln, nicht zuletzt im Hinblick auf Beschäftigungs- und Qualifikationsprogramme.

Frage: Welche Veranstaltungen sind eigentlich aus Anlass der Interkulturellen Woche 2010 geplant?

Dimitri Avramenko: Wir werden mehr als zwanzig Veranstaltungen aus Anlass der Interkulturellen Woche in Schwerin zwischen dem 24. September und 3. Oktober organisieren.

Am 26. September 14.00 Uhr lädt traditionell der Interreligiöse Dialog der Landeshauptstadt Schwerin zur öffentlichen Eröffnungsveranstaltung „Zusammenhalten-Zukunft gewinnen“ im Demmlersaal des Rathauses, eingeleitet durch ein Grußwort des Stadtpräsidenten Stephan Nolte.

Unsere offizielle Eröffnungsveranstaltung findet in diesem Jahr jedoch nicht mit nur einer Veranstaltung sondern über das gesamte Wochenende statt. Bereits am Samstag, d. 25. September beginnt ab 15.00 Uhr auf dem Marktplatz das Multikulturelle Sportfest mit Mitmachangeboten der Schweriner Stützpunktsportvereine des Programms „Integration durch Sport“ des Landessportbundes M-V und vieler Vereine des Netzwerkes Migration Schwerin. Erstmals wird es ein öffentliches Simultanschachturnier mit dem Schachgroßmeister Henrik Danielsen geben.

Zwischenfrage: Und, wenn das Wetter nicht mitspielt …

Dimitri Avramenko: Da sollte man optimistisch sein! Das Wetter bei unseren Eröffnungsveranstaltungen zu den Interkulturellen Wochen war immer gut, warum sollte es dieses Mal anders sein?! Petrus wird uns auch im Jahr 2010 nicht im Stich lassen. Außerdem: Sportlerinnen und Sportler sind hart im Nehmen, die sind wetterfest und abgehärtet.

Wie bereits gesagt, wird es auch eine Besonderheit innerhalb der Sportveranstaltung geben: Wir organisieren ein Simultanschachturnier mit einem dänischen Großmeister. Ein derartiges Schachturnier findet in diesem Rahmen zum ersten Mal statt.

Es haben sich schon  einige bekannte Schweriner angemeldet, so Herr Volker Ahmels, Direktor des Konservatoriums, Professor Peter Clemens, Schweriner Kindesklinik. Selbst Ministerpräsident Erwin Sellering hat Interesse bekundet. Ich selbst werde auch dabei sein. Ein großer Schachspieler bin ich nicht, deshalb würde es mich freuen, wenn ich nach fünf oder sechs Zügen nicht schon „Schach-Matt“ bin.

Von Montag, dem 27. September, bis zum 3. Oktober gibt es die verschiedensten Veranstaltungen, interreligiöser Austausch, sportliche Aktionen, kulturelle Veranstaltungen, Info-Abende oder Buchlesungen. Für alle Schwerinerinnen und Schweriner sollte etwas dabei sein.

Dann weiterhin maximale Erfolge in Ihrer Tätigkeit als Integrationsbeauftragter in Schwerin und viel Erfolg natürlich auch mit der Interkulturellen Woche 2010!

Hintergrund
In Schwerin leben derzeit etwa 6200 Menschen mit Migrationshintergrund. Zwischen 1991 und 2009 wurden 2200 Migranten auch eingebürgert. Etwa 1600 sind Spätaussiedler. Während der Anteil von Einwohnern mit Migrationshintergrund an der Schweriner Bevölkerung bei etwa 6,7 Prozent liegt, beträgt der Ausländeranteil in Stadtteilen wie Neu Zippendorf rund 15 Prozent. Ende 2009 hielten sich ca. 3500 Ausländer in der Landeshauptstadt auf, etwa 300 weniger als im Vorjahr. (Angaben: Stadtverwaltung Schwerin 06/2010 / Integrationsbeauftragter)

Annette-Köppinger-Preis
In diesem Jahr wird erstmals der „Annette-Köppinger-Preis für Integration und Menschlichkeit“ in der Landeshauptstadt vergeben. Nach Aussage von Oberbürgermeisterin Angelika Gramkow wolle man mit diesem Preis zivilgesellschaftliches Engagement für Integration fördern und unterstützen. Zugleich halte man mit diesem Preis die Erinnerung an die erste Integrationsbeauftragte der Landeshauptstadt MV, Annette Köppinger, wach. Diese sei eine engagierte Persönlichkeit gewesen, die sich weit über die Grenzen Schwerins hinaus für mehr Toleranz, Weltoffenheit und ein friedliches Miteinander der Kulturen eingesetzt habe.

Festveranstaltung
Im Rahmen der Festveranstaltung „20 Jahre Deutsche Einheit – 20 Jahre Landeshauptstadt Schwerin“ am 3. Oktober 2010 im Großen Haus des Mecklenburgischen Staatstheaters in Schwerin, bei der auch der erste Annette-Koppinger-Preis für Integration und Menschlichkeit verliehen wird, spielt die Mecklenburgische Staatskapelle Ludwig van Beethovens Leonoren-Ouvertüre Nr. 3 op. 72 sowie die Sinfonie Nr. 7 h-Moll D 759, die „Unvollendete“, von Franz Schubert unter der Leitung von Generalmusikdirektor Matthias Foremny.

Annette Köppinger
Annette Köppinger starb im Dezember 2007 im Altern von nur 50 Jahren. Sie engagierte sich u.a. bei der bundesweiten Arbeitsgemeinschaft “Pro Asyl” (1995-2004: stellvertretende Vorsitzende) und beim Flüchtlingsrat M-V (1995-2004 Vorstandsmitglied/Vorsitzende). Große Verdienste erwarb sie sich auch bei der Organisation der “Interkulturellen Wochen” in Schwerin. Seit 1991 war Annette Köppinger offiziell “Schwerins Beauftragte für die Integration der Zuwanderer und für Ausländerangelegenheiten”. 1989 gründete sie in Schwerin die Bürgerbewegung “Demokratie Jetzt” mit und war auch schriftstellerisch tätig.

… Angaben zu den Interkulturellen Wochen in Wismar und in Rostock:

In Wismar findet die Interkulturelle Woche vom 26. September bis zum 1. Oktober im Kinder- und Jugendfreizeitzentrum (KJFZ) in der Friedrich-Techen-Strasse 20 statt.
Informationen zur Multikulturellen Woche in Rostock unter: www.rostock.de/auslaenderbeirat

Text und Fotos: Marko Michels

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