Interview mit Jörn Mothes, Landesbeauftragter für die Unterlagen des ehemaligen DDR-Staatssicherheitsdienstes, und dessen Stellvertreter Jochen Schmidt
Im Gespräch mit Jörn Mothes, Landesbeauftragter für die Unterlagen des ehemaligen DDR-Staatssicherheitsdienstes in M-V, und dessen Stellvertreter Jochen Schmidt, über die aktuelle Diskussion um die Dokumente zum DDR-Schießbefehl, die Zukunft der „Birthler-Behörde“, die Vergangenheitsbewältigung der Parteien und die Notwendigkeit von historischer Bildung
Schwerin-News: Es sind mittlerweile weitere Dokumente in Außenstellen der Bundesbehörde für die Stasi-Unterlagen gefunden worden, die den DDR-Schießbefehl an der innerdeutschen Grenze belegen.
Inzwischen mehren sich nicht nur aus den Reihen der SED-Nachfolger, der Linkspartei, sondern auch aus Reihen der SPD wie CDU die Stimmen, die der Birthler-Behörde „Sensationshascherei“ aus Anlaß des Jahrestages des Mauerbaus vorwerfen, da ähnliche Dokumente bereits veröffentlicht wurden.
Wird damit eine sinnvolle Diskussion zur DDR-Vergangenheit und den menschenverachtenden Charakter des Staates DDR überlagert ?
Jörn Mothes: Zunächst ist es schon ein Unding, dass zwei Diskussionen in dieser Form miteinander vermengt werden.
Das diskutierte Dokument belegt, wie inhuman die SED-Machthaber mit „ihren Feinden“ in der eigenen Bevölkerung umgingen.
Das Dokument ist zwar nicht neu, aber dennoch für die Aufarbeitung der DDR-Geschichte ungemein wichtig. Es zeigt, wie unmenschlich die SED-Diktatur letztlich war.
Sicherlich verlief die Kommunikation in zwischen der Magdeburger Außenstelle der Bundesbeauftragten und der Behördenleitung nicht besonders glücklich.
Doch das ändert nichts am Inhalt und an der Wertigkeit des aufgefundenen Dokumentes. Es war substantiell nicht neu, aber ein erneuter Beleg für das DDR-Mauerregime.
Interesse an der Überlagerung der beiden Diskussionen hatten und haben nur diejenigen, die kein Interesse an einer ehrlichen Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit haben.
Und, was den Zeitpunkt der Diskussion betrifft: Über den inhumanen Charakter des DDR-Staates sollte man nicht nur am jährlichen Jahrestag des Mauerbaus diskutieren, sondern auch an den anderen 364 Tagen im Jahr!
Schwerin-News: Die Politiker der Linkspartei stilisieren sich im Osten Deutschlands mittlerweile zum „Anwalt der kleinen Leute“.
Die anderen Parteien setzen auf „tödliche Umarmung“ (SPD) oder „Ausgrenzung“ (CDU). Kooperationen mit der Linkspartei gibt es aber nicht nur auf (ostdeutscher) Länderebene zwischen SPD und Linkspartei, sondern ebenfalls auf kommunaler Ebene zwischen Linkspartei und CDU.
Kann man „so“ tatsächlich die Linkspartei entzaubern?
Jörn Mothes: Ich bin kein parteipolitischer Stratege.
Für mich ist es wichtig, dass die demokratischen Parteien, insbesondere die beiden Volksparteien CDU und SPD, eine überzeugende, politische Arbeit leisten, die von der Bevölkerung auch nachvollzogen werden kann und dass sie in ihrem Profil erkennbar sind.
Gerade in Diskussionen mit Schülerinnen und Schülern merke ich, dass die Unterschiede in den politischen Programmen und Konzepten der Parteien kaum mehr wahrgenommen werden.
Es fehlt hier offenbar an der Kommunikation der Parteien mit der Bevölkerung, wenn es darum geht, die eigene politische Konzeption zu erläutern.
Schwerin-News: Die beiden Volksparteien SPD und CDU, auch in M-V, stellen vor allem ihren Widerstand gegen die SED-Diktatur in den Vordergrund.
Bei der SPD gab es SED-Gegner, die ihren demokratischen Einsatz mit Haft oder Ermordung bezahlten.
Als Beispiele seien hier der Hagenower Landrat B. Pfaffenzeller, der Rostocker OB Albert Schulz, der Schweriner SPD-Funktionär Hans Mausolf oder der Stralsunder SPD-Vorsitzende nach 1945 Max Fank genannt.
Bei der CDU gab es solche Widerstandkämpfer natürlich auch, so Werner Jöhren, Fraktionsvorsitzender nach 1946, oder Hans Krukenmeyer, stellvertretender CDU-Vorsitzender nach 1945.
Doch es gibt auch die „Quislinge“ in beiden Parteien: Carl Moltmann, SPD-Vorsitzender 1945 von Gnaden der sowjetischen Militäradministration in Schwerin, sowie Reinhold Lobedanz, CDU-Vorsitzender 1945, drängten ihre Parteien an die Seite der Kommunisten.
Stellen sich SPD wie CDU bisher ausreichend ihrer Vergangenheit ?
Jörn Mothes: Natürlich gibt es Defizite. Doch man kann nicht ernsthaft erwarten, dass Parteien Geschichtsaufarbeitung betreiben.
Das muß und sollte Aufgabe des unabhängigen Historikers sein und bleiben. Für mich ist entscheidend, auf welche Tradition sich eine Partei beruft, welcher politischen Programmatik sie sich verpflichtet fühlt.
Parteien sind nun einmal Teil der Gesellschaft und dort gibt es – wie in der jeweiligen Partei – Kräfte, die sich der Aufarbeitung der Vergangenheit verweigern und solche, die ein Geschichtsbewußtsein entwickelt haben.
Bei aller Kritik an den Parteien hierzulande in puncto Geschichtsaufarbeitung muß man jedoch positiv erwähnen, dass es sehr verdienstvoll war, eine eigene Enquete-Kommission in M-V einzusetzen.
Es war ein wichtiger Versuch, einen Prozess zur Vergangenheitsaufarbeitung einzuleiten, wenngleich die Kommissions-Tätigkeit von der Öffentlichkeit zu wenig wahrgenommen wurde.
Jochen Schmidt: Es ist wahrscheinlich überzogen, objektive Geschichtsaufarbeitung von Parteien zu erwarten.
Das ist in erster Linie die Aufgabe unabhängiger Historiker. Seitens der parteinahen Stiftungen gibt es aber durchaus Ansätze, die Vergangenheit einzelner Parteien darzustellen, mit allen Widersprüchen und Brüchen.
Gerade in den beiden Volksparteien gibt es unterschiedliche Ausgangslagen. Während die CDU nach 1990 zudem eine „Vor-Wende-Zeit“ aufweist, handelt es sich bei der SDP, nun SPD nach 1990 um eine faktische Neugründung in der damaligen DDR.
Natürlich hat die SPD bis 1946 eine lange Entwicklungsgeschichte auch in M-V, aber nach der Vereinigung mit der KPD 1946 wurden die sozialdemokratischen Traditionen und sozialdemokratischen Politikkonzeptionen in der Einheitspartei verdrängt.
Für mich ist es daher wichtig, auf welche Traditionen sich die Parteien berufen. Knüpft die SPD an die Politik eines Carl Moltmann an, der die SPD an die Seite der KPD führte, oder an die Politik eines Albert Schulz, Rostocker Oberbürgermeister nach dem Krieg mit antikommunistischer Überzeugung?
Ähnliches gilt für die CDU. Beruft sie sich auf die „Block-Vergangenheit“ in der DDR mit Reinhold Lobedanz an der Spitze oder fühlt sie sich Verfechtern eines wirklichen demokratischen Neubeginns in M-V nach 1945 verbunden?
Schwerin-News: Nach den Diskussionen der letzten Tage und Wochen: Spüren Sie bei Ihrer Tätigkeit eher „Rückenwind“ oder doch eher „Gegenwind“ durch Politik und Gesellschaft?
Jörn Mothes/Jochen Schmidt: Der Wind, der uns ins Gesicht bläst, ist auch der Wind, mit dem wir segeln. Ich halte das gern aus.
Es gab vor drei Jahren schon Bestrebungen, unsere Behörde hier gänzlich abzuschaffen. Doch eine kritische Öffentlichkeit half, das zu verhindern.
Letztendlich ist unsere Behörde ein Symbol für die Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit. Eine besondere Herausforderung sehe ich darin, Menschen für die Demokratie zu gewinnen, sie zum Nachdenken, zum Mitmachen zu gewinnen.
Ohne den Beitrag des Einzelnen kann eine am Gemeinsinn orientierte Gesellschaft nicht existieren. Mein Ziel ist es außerdem, der Geschichtslosigkeit in der Gesellschaft entgegenzuwirken.
Es gilt, insbesondere die Heranwachsenden, mit der Geschichte des eigenen Landes vertraut zu machen. Ohne Rückbesinnung auf die Vergangenheit ist die Meisterung der Zukunft eben nicht möglich.
Gerade im ländlichen Raum gibt es ein reges Interesse an der Arbeit unserer Behörde. Auch unsere psychosoziale Betreuung wird rege genutzt und es wurden unzählige persönliche Gespräche mit Betroffenen und Interessierten an der DDR-Vergangenheit geführt.
Die Tätigkeit unserer Behörde wird auch weiterhin und noch über viele Jahre gebraucht und genutzt.
Interview, Fotos: Marko Michels
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Wissenswertes zur Tätigkeit eines Landesbeauftragten für die Unterlagen des ehemaligen DDR-Staatssicherheitsdienstes in M-V
Aufgabe:
Der Landesbeauftragte berät zu Fragen der Antragstellung, zum Recht auf Auskunft, zur Einsicht und Herausgabe von Stasi-Akten; zur Rehabilitierung und Entschädigung von Opfern rechtsstaatswidriger Strafverfolgung; zu Problemen, die sich aus der Überprüfung von Mitarbeitern im öffentlichen Dienst ergeben sowie zu Archiven, in denen sich wichtige Unterlagen aus der Zeit der DDR befinden.
Veranstaltungen:
Der Landesbeauftragte veranstaltet Seminare, Abendveranstaltungen und öffentliche Diskussionsforen, er bietet Unterrichtsstunden für Schulklassen und Weiterbildung für Lehrer und andere interessierte Gruppen an. Er arbeitet dabei auch mit anderen Bildungseinrichtungen, mit Vereinen, Verbänden und Hochschulen zusammen. Die Fachbibliothek des Landesbeauftragten steht allen Interessierten als Präsenzbibliothek offen.
Forschung:
Der Landesbeauftragte unterstützt und begleitet Projekte und Forschungsvorhaben, die sich mit zeitgeschichtlichen Themen in Mecklenburg-Vorpommern befassen. Daneben führt er selbst Forschungsarbeiten durch, die er auch veröffentlicht.
Berufung des Landesbeauftragten in M-V:
Nachdem der Deutsche Bundestag durch das Stasi-Unterlagengesetz die Behörde des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes (BStU) eingerichtet und damit den Zugang zu den Unterlagen geregelt hat, wurde durch den Landtag von Mecklenburg-Vorpommern 1993 ein entsprechendes Ausführungsgesetz verabschiedet und ein Landesbeauftragter für Mecklenburg-Vorpommern berufen.
Anschrift/Kontakt:
Der Landesbeauftragte für Mecklenburg-Vorpommern
für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR
Jägerweg 2
19053 Schwerin
Landesbeauftragter: Jörn Mothes
Tel.: 0385/734006 – Fax: 0385/734007
e-mail: LSTU-MV@t-online.de