Paralympischer Sport in Schwerin und darüber hinaus

Nachgefragt bei Wintersportlerin Anna Schaffelhuber


Was leider kaum einer weiß, der Sport für Athletinnen und Athleten mit Handicap hat in Schwerin eine gute Tradition – sowohl breiten- als auch leistungssportlich. Neben einzelnen Sportvereinen leistet das „Mecklenburgische Förderzentrum für Körperbehinderte“ in Lankow seit Jahren eine äußerst engagierte Arbeit.

International haben Schweriner Sportler gerade in den letzten elf Jahren eine Reihe von Erfolgen zu verzeichnen. Die Judoka Carmen Brussig (PSV Schwerin) wurde Paralympics-Siegerin 2004/2012 sowie Paralympics-Zweite 2008 und ihre Zwillingsschwester Carmen schaffte Paralympics-Bronze 2008 sowie Paralympics-Gold 2012. Der gebürtige Schweriner Torben Schmidtke kam bei den Schwimm-Wettkämpfen der Paralympics 2012 über 100 Meter Brust zu Silber.

Mediales Interesse ist kläglich

Worunter der Behindertensport bundesweit zu leiden hat, ist seit jeher die geringe mediale Aufmerksamkeit. Daran konnte leider auch ein „offenen Brief“ des amtierenden Präsidenten des Deutschen Behindertensportverbandes, Friedhelm Julius Beucher, den er schon vor Jahren an alle deutschen Medien richtete, nicht viel ändern. Ende Januar 2015 folgte ein Weiterer – anlässlich der Weltmeisterschaften Ski Nordisch. Denn die Erfolge der deutschen Athleten mit Handicaps wurden auch dort nicht einmal am Rande behandelt.

Eine Außnahme sind stets die Paralympics – zuletzt die Winterspiele in Sotschi. Dort waren dann auch dutzende Kameras und Mikrofone vor Ort, welche die rund 550 Athletinnen und Athleten aus 45 Ländern und vor allem die 13 Deutschen begleiteten. In Sotschi nahmen erstmals Mannschaften aus der Türkei, Brasilien und Usbekistan teil. In 72 Medaillen-Entscheidungen in den Sportarten/Disziplinen Skilanglauf, Biathlon, alpiner Skisport, Sledge-Hockey und Rollstuhl-Curling wurde um Gold, Silber und Bronze gewetteifert. In der Berichterstattung stach dann vor allem die überragende Anna Schaffelhuber hervor, die im Alpinen Skisport insgesamt 5 Titel gewann.

Doch 12 Monate später, der olympisch-paralympischen Medaillen-Hype ist vorüber, ist das mediale Interesse am Behindertensport erneut ziemlich kläglich geworden. Hingegen fokussiert sich fast die gesamte Sportberichterstattung exorbitant nur auf den Wintersport für Nicht-Behinderte, den Profi-Fußball und einige wenige weitere Großereignisse.
So stellt sich die Frage zurecht, inwieweit sich vor allem die Öffentlich Rechtlichen für die kommenden IPC-Weltmeisterschaften in Panorama/Kanada (vom 28. Februar bis 10. März) interessieren werden. Mit dabei auch die Monoskibobfahrerin vom TSV Bayerbach und deutsche Erfolgs-Athletin Anna Schaffelhuber. Immerhin hätte sie es mehr als verdient, im Mittelpunkt zu stehen. Die 22-Jährige ist schließlich fünffache Olympiasiegerin und vierfache Weltmeisterin.

Was denkt Anna Schaffelhuber selbst darüber? Marko Michels hat nachgefragt.

„Brauchen eine kontinuierliche Berichterstattung…

Marko Michels: Anna, vor Jahresfrist erlebte man Sie als „Golden Girl“ in den Medien. Fünfmal Gold in Sotschi – das war, das ist noch immer ungemein beeindruckend. Hat sich – nach Ihrer Wahrnehmung – für den Sport für Athleten mit Handicap in Deutschland etwas zum Positiven entwickelt?

Anna Schaffelhuber: Mit den Paralympics in Sochi sind wir paralympischen Athleten sicherlich wieder gut in den Fokus gerückt und konnten die Chance nutzen, um uns und somit auch den Sport etwas mehr bekannter zu machen. Ich selbst war sogar sehr überrascht von diesem so großen Medien-Andrang. Ich muss auch sagen, dass dieses Interesse schon höher war wie damals in Vancouver. Aber das Problem ist einfach, dass wir nicht nur eine Berichterstattung alle vier Jahre, sondern auch eine in kontinuierlicher Weise brauchen – und auch wollen.

MM: Wie beurteilen Sie den Stellenwert des Behindertensportes?

AS: Da hat sich schon sehr sehr viel in die richtige Richtung entwickelt. Allerdings ist der paralympische Sport noch nicht an den gleichen Stellenwert angekommen wie es der olympische Sport seit einigen Jahren ist. Das belegt die jüngste Wahl zum Sportler des Jahres. Es gibt noch gut Luft nach oben für diese Entwicklung.

MM: „Geld regiert die Welt“, heißt es so schö. Das gilt auch für den Sport – ob „König Fußball“ oder die „Handball-WM“ in Katar – überall sind die ökonomischen Eliten am langen Hebel. Wie sehen Sie die Stellung des Hochleistungssports allgemein?

AS: Sicherlich scheint es so, dass der Ausrichter von Groß-Ereignissen in den letzten Jahren vom Geld bestimmt wurde und wird. Viele Athleten hätten gerne auch Spiele oder WM „zu Hause“ oder in typischen sportspezifischen Orten. Aber im Endeffekt ist es so, dass der Athlet natürlich zu den Spielen geht, wo auch immer sie stattfinden. Er ist auf den Punkt fit und kann es sich nun leider nicht aussuchen.

MM: Demnächst finden die IPC-WM im alpinen Skisport in Panorama/Kanada statt. Wie verläuft Ihre Vorbereitung?

AS: Soweit bin ich mit dieser Saison sehr zufrieden. Ich habe in den vergangenen Weltcups schon sehr gute Erfolge feiern können, was natürlich auch Hoffnung für die WM gibt. Aber ich habe auch gesehen, an was ich noch arbeiten muss und genau das werde ich jetzt noch bis dahin tun.

MM: Welche Ziele haben Sie?

AS: Selbstverständlich muss das Ziel wieder Gold sein!

MM: Wie sieht Ihr Leben neben dem Sport aus?

AS: Daneben gibt es aktuell nicht so viel zu berichten. Der Sport füllt mein Leben derzeit vollkommen aus.

MM: Vielen Dank und maximale Erfolge!

 

Rückblick: Medaillenspiegel der paralympische Wintersport in Sotschi

Rund 550 Athletinnen und Athleten aus 45 Ländern, darunter 13 aus Deutschland, wetteiferten in 72 Medaillen-Entscheidungen um Gold, Silber und Bronze. Am erfolgreichsten war letzendlich der Gastgeber Russland.

Russland: 30 x Gold, 28 x Silber, 22 x Bronze
Deutschland: 9 x Gold, 5 x Silber, 1 x Bronze
Kanada: 7 x Gold, 2 x Silber, 7 x Bronze
Ukraine: 5 x Gold, 9 x Silber, 11 x Bronze
Frankreich: 5 x Gold, 3 x Silber, 4 x Bronze
Slowakei: 3 x Gold, 2 x Silber, 2 x Bronze
Japan: 3 x Gold, 1 x Silber, 2 x Bronze
USA: 2 x Gold, 7 x Silber, 9 x Bronze

Die Medaillen für Deutschland holten:

Anna Schaffelhuber: Alpiner Skisport: 5 x Gold im Abfahrt, Super-G, alpine Kombination, Slalom, Riesenslalom – alles sitzend
Andrea Rothfuss: Alpiner Skisport: Gold im Slalom, Silber in der alpinen Kombination, Silber im Riesenslalom – alles stehend
Anja Wicker: Biathlon: Gold über 10 Kilometer, Silber über 12,5 Kilometer – alles sitzend
Andrea Eskau: Biathlon: Gold über 6 Kilometer, Silber über 12,5 Kilometer – alles sitzend
Anna-Lena Forster: Alpiner Skisport: Silber im Slalom, Silber in der alpinen Kombination, Bronze im Riesenslalom – jeweils sitzend

mm/red

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