Rennrodlerin Sylke Otto: „Bin nach wie vor aktiv …“

Die Olympiasiegerin 2002/2006  mit neuen Herausforderungen und Zielen

Mecklenburg-Vorpommern und der Schlittensport – ein „absolutes NO GO“ ?! Dass dem nicht so ist, beweist ein „Blick in die Annalen“: Der SC Traktor Schwerin, gegründet 1955, hatte jahrelang in Oberwiesenthal eine „Außenstelle“, eine externe Ski- und Rodelsport-Abteilung, um den heimischen Mitgliedern – gerade im Winter – eine sportive Abwechslung zu bieten. Zum SC Traktor Oberwiesenthal gab es seitens der „Schweriner Traktoristen“ enge wintersportliche Kooperationen.

Medaillenmäßig hatten die Mecklenburger und Vorpommern in den 1990er Jahren allen Grund zum Jubeln: Der einstige Hürdensprinter beim SC Neubrandenburg, Ulf Hielscher, wurde im Bobsport, u.a. 1994 Olympia-Dritter und 1995 gar Weltmeister, und Torsten Voss (Schwerin), 1987 Zehnkampf-Weltmeister und 1988 Zehnkampf-Olympiazweiter, sicherte sich z.B. im Vierer-Bob die Vize-Weltmeisterschaft 1997.

Trotz aller heimischen Erfolge – das „Maß aller Dinge“ im weiblichen Schlittensport, im Rennrodeln, ist Sylke Otto …

Die erfolgreichste Rennrodlerin aller Zeiten ist die 1969 im damaligen Karl-Marx-Stadt und heutigen Chemnitz geborene Sylke Otto, die für den WSC Erzgebirge Oberwiesenthal startete. Ihr letzter Triumph war der Olympiasieg 2006 in Turin. Im Januar 2007 beendete sie ihre sportliche Laufbahn wegen ihrer Schwangerschaft. Im gleichen Jahr, im März, kam Tochter Sina zur Welt.

„Wir sind gern in M-V …“

Die Ausnahme-Sportlerin über ihre Rodel-Karriere, neue berufliche Ziele und die WM im Rennrodeln 2009 in Lake Placid

Frage: Frau Otto, die letzten drei Jahre waren auch für Sie persönlich drei sehr ereignisreiche …
In Turin 2006 wurden sie zum zweiten Mal Olympiasiegerin, im darauf folgenden Jahr beendeten sie ihre sportliche Karriere aufgrund ihrer Schwangerschaft, im gleichen Jahr kam Töchterchen Sina zur Welt, und im letzten Jahr ließen sie sich in den Stadtrat von Zirndorf wählen und nahmen an der Wok-WM teil. Außerdem nahmen sie im Dezember`08 an der Jose-Carreras-Gala im „Kampf gegen den Krebs“ teil.
Die frühere Rennrodlerin Sylke Otto – nach dem Abschied vom Leistungssport nun im persönlichen Unruhestand ?

Sylke OttoSylke Otto: Ich hatte nach dem Ende meiner sportlichen Karriere gleich genug Herausforderungen. Sina kam zur Welt und kleine Kinder benötigen ja nun einmal viel Zeit. Dann bin ich im Stadtrat von Zirndorf engagiert, arbeite dort im Haupt- bzw. Sportausschuss mit. Seit 14 Jahren lebe ich mit meinem Mann in Zirndorf, wo es uns wirklich sehr gut gefällt. Hier leben wir gern und für mich ist es eine Möglichkeit, die Stadt mitgestalten zu können. Außerdem bin ich für die ARD in Sachen Rennrodeln bei Wettkämpfen als Expertin am Mikrofon tätig, hoffe auch auf einen olympischen Einsatz „beben der Rodelbahn“ 2010 in Vancouver. Sie sehen, ich bin nach wie vor aktiv !

Frage: Sie selbst sind die erfolgreichste Rennrodlerin aller Zeiten, mit zwei Olympiasiegen, sechs Weltmeister-Titeln, fünf Europameister-Titeln, vier Gesamt-Weltcup-Erfolgen und 37 Weltcup-Einzel-Triumphen. Sie sind damit also anerkannte Expertin in Sachen Rennrodeln. Mit wem würden Sie gern einmal „so richtig“ Schlitten fahren wollen – im positiven wie im negativen Sinne ?

Sylke Otto: „Schlitten fahren“ ist sportlich seine sehr schöne Angelegenheit und mach privat unheimlich viel Spass. Gerade, nach dem Schneefall Anfang Januar, war ich mit meiner Tochter begeistert rodeln. Ich verbinde mit dem Rodelsport etwas Positives, etwas Angenehmes. Deswegen würde ich Menschen, die ich nicht mag, auch nicht in den Genuss kommen lassen, mit mir gemeinsam zu rodeln … !
Sportlich habe ich ohnehin keine „Rechnungen“ offen. Der Konkurrenzkampf im deutschen Team war zu meiner Zeit zwar auch sehr hart, aber auch mit den Konkurrentinnen von einst verstehe ich mich sehr gut.

Frage: Bei so viel Edelmetall: Wie fühlt man, oder besser „frau“, sich als „lebendes Sportdenkmal“ ?
Werden Sie da „auf Rosen gebettet“ ?

Sylke Otto: „Rosen“ gibt es zwar nicht „alle Tage“, aber auf der Straße werde ich schon noch erkannt und angesprochen. Auch Autogrammwünsche bekomme ich regelmäßig. Es ist schön, dass man nicht vergessen wird, dass viele das rodelsportliche Geschehen intensiv verfolgten. Für mich waren die Jahre als Rennrodlerin eine sehr schöne Zeit. Wenn ich heute auf meine Karriere zurückblicke, so bin ich auch stolz auf das Erreichte. Ich habe sehr viele Erfolge feiern dürfen, welcher Sportler, welche Sportlerin hätte sich das nicht gewünscht. Doch in den 27 Jahren als Rennrodlerin gab es nicht nur die attraktiven Momente, natürlich waren da auch Tiefpunkte zu überwinden. Aber insgesamt gesehen, wenn ich die Chance hätte, noch einmal von vorn anzufangen, würde ich alles genauso machen.

Frage: Rennrodeln ist eine deutsche Erfolgsgeschichte. Bei den WM seit 1955 gewannen deutsche Rodlerinnen und Rodler aus West und Ost in den Einzelwettbewerben, im Doppel und in der seit 1991 ausgetragenen Team-Konkurrenz 84 Goldmedaillen – damit weit vor Österreich (18), Italien (14), Polen (5), Russland (3), den USA (1), Kanada (1), der Schweiz (1) und Norwegen (1) liegend. Die letzte Rodlerin mit weltmeisterlichen Ehren, die nicht aus Deutschland stammt, war die Italienerin Gerda Weißensteiner 1993.
Bei einer derartigen deutschen Dominanz: Sind da die Siege nicht auch ein wenig „langweilig“ ? Was ist das Erfolgsgeheimnis der deutschen Rodlerinnen und Rodler ? Haben die Deutschen ein besonderes „Feeling“, ein besonderes „Gen“ fürs Rodeln ?

Sylke Otto: Ich habe ja „beide Seiten“ miterlebt, als die Erfolge bei den deutschen Frauen noch nicht so „einsam“ waren. Für Außenstehende mag es manchmal erscheinen, dass die Siege der deutschen Rodlerinnen heute eine Selbstverständlichkeit sind, locker eingefahren werden. Aber der interne Konkurrenzkampf schon knallhart. Bereits eine deutsche Meisterschaft ist faktisch schon so etwas wie eine Weltmeisterschaft. Man sollte daher auch nicht übersehen: Rennrodeln ist ein Einzelsport. Jede, jeder zieht sein „eigenes Ding“ durch, was nicht zwangsläufig heißen muß, dass man jenseits der Rodelbahnen freundschaftlich miteinander umgeht. Aber beim sportlichen Wettkampf ist sich dann jede/jeder selbst der Nächste. Jeder/jede fährt für sich. Ich persönlich glaube aber, dass im Vergleich zu meiner aktiven sportlichen Laufbahn die Frauen und Männer enger „zusammengerutscht“ sind. Das Zusammengehörigkeitsgefühl ist heute wohl stärker. Zu den „Genen“: Vor allem das Umfeld stimmt. Viele sind ja bei der Bundeswehr oder beim BGS beschäftigt, so können wir uns zu 100 Prozent auf das Rennrodeln konzentrieren. Aber: Bei den Österreichern, Italienern oder Amerikanern ist es ähnlich.
Was bei uns jedoch hinzukommt, ist die gute Nachwuchsarbeit, es gibt bei uns viele Talente für den Rodelsport, und die harte interne Konkurrenz, die ungemein nach vorn pusht. Während meiner Rodel-Laufbahn hatte ich, z.B. beim österreichischen Team, den Eindruck: Dort war eine sehr gute Frau und dahinter waren zwei andere Rodlerinnen, die diesen Führungsanspruch akzeptierten. So etwas gibt es in Deutschland nicht. Wer vorn mit dabei ist, möchte auch ganz oben stehen.

Frage: Im Hinblick auf Vancouver 2010 muß sich der deutsche Rodelsport „keine Gedanken“ machen … Siege scheinen da wohl „Pflicht“ ?! Wie beurteilen Sie die internationale Rodel-Szenerie ?
Ein super Talent ist aus deutscher Sicht ja gerade die junge Natalie Geisenberger. Was zeichnet sie aus; was erwarten Sie von ihr in der Zukunft ?

Sylke Otto: Das deutsche Damen-Team ist äußerst stark, da wird es für die anderen sehr schwierig vorbeizukommen. Ich denke schon, dass sich daran in Vancouver 2010 nichts ändern wird. Unser Vorteil ist es, dass wir vier Rodlerinnen haben, die in etwa gleich stark sind, und sich gegenseitig zu Höchstleistungen treiben. Ein „Wörtchen“ in Vancouver „mitreden“ wollen bestimmt auch die Rodlerinnen und Rodler aus Österreich, Italien, Russland und den Vereinigten Staaten. Während bei den Frauen die Aussichten bei diesen Teams ehe „trübe“ sind, so ist die Situation bei den Doppelsitzern, wo die italienischen und österreichischen Duos sehr stark sind, und bei den Herren-Einsitzern eine andere. Armin Zöggeler (Italien) und Albert Demtschenko (Russland) sind harte Konkurrenz für unsere Jungs. Bei den Männern dürfte es sehr eng werden. Die Bahn in Vancouver ist aber sehr schwierig und schnell, da kann es durchaus Überraschungen geben.
Zu Natalie Geisenberger: Sie ist ein hervorragendes Talent, die insbesondere einen sehr guten Start hat. Sie ist zwar noch sehr jung (Jahrgang 1988), hat aber schon ein enormes Leistungsvermögen. Sie ist sehr ehrgeizig und wird in Zukunft bestimmt versuchen, die gegenwärtige „Nr.1“, Tatjana Hüfner, erfolgreich herauszufordern.

Frage: In Ihren Anfangsjahren: Gab es da Vorbilder für Sie, z.B. Ortrun Enderlein, Margit Schumann, Melitta Sollmann oder Steffi Martin ? Oder brauchten Sie keine „Leitbilder“ ?

Sylke Otto: Als ich mit 13 Jahren zur Sportschule kam, da blickte ich natürlich zu einer Steffi Martin auf. Doch man sollte niemanden kopieren, jeder muß seinen eigenen Fähigkeiten vertrauen. Bei jeder/jedem ist die Situation anders. Da bringt es nichts, zu schauen, was hat die/der erreicht, kann ich etwas davon für mich übernehmen. Man muss sich schon auf sich selbst konzentrieren, will man erfolgreich sein !

Frage: Was machen Sie jetzt eigentlich beruflich ? Haben Sie Ambitionen, einmal als Trainerin tätig zu werden ?

Sylke Otto: Ich bin ja erst einmal im „Unruhestand“ ! Aber Trainerin zu werden, steht nicht auf meiner persönlichen Agenda. Ich war 25 Jahren ständig „auf Achse“ und möchte erst einmal für meine Familie da sein. Natürlich habe, wie bereits angesprochen, auch andere Verpflichtungen. Natürlich bin ich schon ein wenig traurig, dass ich selbst nicht aktiv ins rodelsportliche Geschehen unmittelbar eingreifen kann. Den Nachwuchs zu trainieren, könnte ich mir schon vorstellen, aber das Problem ist, dass der nächste Rodel-Stützpunkt 200 Kilometer entfernt ist und Zirndorf verlassen möchte ich nicht: Hier gefällt es mir einfach zu gut !

Frage: Anfang Februar finden die WM im Rennrodeln in Lake Placid statt. Wer sind Ihre Favoriten ?

Sylke Otto: Bei ihren Heim-WM werden die Amerikanerinnen und Amerikaner sicherlich versuchen, oben mit dabei zu sein. Ansonsten dürften die deutschen Frauen den WM-Titel unter sich ausmachen. Auch im Doppelsitzer und Herren-Einzel haben unsere Teilnehmer beste Medaillen-Chancen.

Frage: In der DDR nannte man das Rennrodeln „Rennschlittensport“ – das hörte sich moderner, rasanter an. Welche Bezeichnung ist Ihnen eigentlich lieber ?

Sylke Otto: In der Wendezeit fand ich die Bezeichnung „Rodeln“ schon ein wenig „putzig“, aber inzwischen habe ich mich daran gewöhnt. Letztendlich ist nicht wichtig, wie man das „Produkt“ nennt: Rennrodeln ist modern, anspruchsvoll, eine klasse Sportart !

Rodelbahn SchwerinFrage: In Mecklenburg-Vorpommern gibt es zwar (noch) keine Rodelbahnen, aber genügend Personen, mit denen man im positiven wie negativen Sinne Schlitten fahren könnte. Sind Sie eigentlich oft in „Meck-Pomm“, oder mögen sie „Flachland-Tiroler“ nicht ?

Sylke Otto: Ich bin sehr oft in Mecklenburg-Vorpommern, zwar weniger zum Rodeln …, aber um richtig schönen Urlaub zu haben. Wir sind regelmäßig auf Rügen, in Binz. Diese Insel hat einen einzigartigen Charme und ein rauhes Klima – hier kann man es wirklich aushalten. Auch Usedom ist traumhaft mit den einzigartigen Stränden. Sehr angetan sind wir zudem von der Müritz – für uns ist das „Natur pur“.
Auch wenn M-V keine Rodelbahn hat (und wohl auch keine erhalten wird), es ist ein sehr attraktives Bundesland.

Vielen Dank und maximale Erfolge auch neben den Rodelbahnen dieser Welt …

Marko Michels
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Info:

41. Weltmeisterschaften im Rennrodeln vom 1.Februar bis 8.Februar 2009 in Lake Placid/USA

Rodel/TeamEntscheidungen: am 6.Februar ab 16.00 Uhr (MEZ) – Doppelsitzer, ab 19.00 Uhr (MEZ) – Damen/Einsitzer, am 7.Februar ab 18.15 Uhr (MEZ) – Herren/Einsitzer, am 8.Februar ab 17.00 Uhr – Teamwettbewerb

Amtierende Weltmeisterinnen/Weltmeister im Rennrodeln (WM 2008 in Oberhof)

Herren/Einsitzer: Felix Loch – Damen/Einsitzer: Tatjana Hüfner  – Doppelsitzer: Andre Florschütz/Torsten Wustlich – Team-Wettbewerb: Felix Loch, Tatjana Hüfner, Andre Florschütz/Torsten Wustlich

Erfolgreichste Rodlerinnen/Rodler bei Olympia

Georg Hackl: 1988-2002 – 3 x Gold / 2 x Silber (Herren/Einsitzer)

Steffi Martin: 1984-88 – 2 x Gold und Sylke Otto: 2002-06 – 2 x Gold (Damen/Einsitzer)

Stefan Krauße/Jan Behrendt: 1988-98  – 2 x Gold / 1 x Silber / 1 x Bronze (Doppelsitzer)

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1.Foto: Sylke Otto kann auf eine einzigartige Erfolgsbilanz verweisen, u.a. die Olympiasiege 2002 und 2006.

2.Foto: Auch in Mecklenburg-Vorpommern ist Rennrodeln „in“. Hier eine „moderne Anlage“ während des Weihnachtsmarktes 2008 in Schwerin, am Südufer des Pfaffenteiches. (M.M.)

3.Foto: Das deutsche Rodel-Team 2009. (Bob- und Rodelverband für Deutschland)


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