Am heutigen Freitag (29. August 2008) wird die Fertigstellung des Rohbaus eines ganz besonderen Gebäudes in der Landeshauptstadt gefeiert – der neuen Schweriner Synagoge in der Altstadt am Schlachtermarkt.
Zahlreiche Vertreter aus Politik, Wirtschaft, Kirche und religiösen Vereinigungen waren der Einladung der Jüdischen Gemeinde gefolgt. Neben dem Vorsitzender des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden in Mecklenburg-Vorpommern, Valeriy Bunimov kamen Finanzministerin Sigrid Keler, der Minister für Bildung, Wissenschaft und Kultur, Henry Tesch, der amtierende Oberbürgermeister Dr. Wolfram Friedersdorff und der Vorsitzende des Fördervereins Jüdisches Gemeindezentrum Schwerin e.V., Dr. Armin Jäger.
Dr. Friedersdorff: „Die Synagoge symbolisiert gleichzeitig eine Entwicklung, die mich glücklich macht: Jüdisches Leben kehrt zurück an diesen Ort in unserer Stadt, an dem es bis zum Jahr 1938 ein lebendiges Zuhause hatte, bevor die verbrecherischen Nationalsozialisten die Synagoge verwüsten und zerstören ließen. Heute – nach mittlerweile siebzig Jahren – machen wir einen weiteren Schritt in Richtung Normalität.
Mit dem Bau der Synagoge erhält die jüdische Gemeinde, die in den letzten Jahren stark gewachsen ist, weit mehr als nur ein Gebäude. Sie kehrt damit auch sichtbar ins öffentliche Bewusstsein der Stadt zurück. Die jüdische Religionsgemeinschaft leistet hier einen wichtigen Beitrag für ein Miteinander in unserer Stadt, der kaum in Worte zu fassen ist.“
Dr. Friedersdorff dankte an dieser Stelle der Landesregierung für ihre großzügige Mitwirkung, die das Projekt mit einem finanziellen Beitrag von 660.000 Euro unterstützt. Ebenso hob der Oberbürgermeister das Engagement des Fördervereins jüdisches Gemeindezentrum Schwerin e.V. mit seinem Vorsitzenden Dr. Armin Jäger hervor. Aber auch die Mitglieder der Jüdischen Gemeinde beteiligen sich mit Ehrgeiz am Bau ihres neuen Hauses.
Schon jetzt im Rohbau lässt sich erahnen, wie die neue Synagoge, erbaut auf alten Fundamenten, die Gemeinde neu beleben wird.
Schwerins amtierender Oberbürgermeister: „Ich hoffe, sie wird dazu beitragen, dass unsere Stadt einer erfolgreichen Zukunft entgegen sieht, die geprägt ist von Toleranz und Vielfalt. Sie sollte auch ein Ort sein, um sich zu treffen, kennen und schätzen zu lernen. Damit wären wichtige Grundlagen dafür geschaffen, dass der Wunsch nach einem Gemeinsam und nicht nur einem Nebeneinander wahr wird.“
Im Dezember soll die Synagoge geweiht werden.
Geschichtlicher Hintergrund
Nach ihrer Vertreibung im Spätmittelalter begann die Wiederansiedlung der jüdischen Bevölkerung im 17. Jahrhundert zögerlich. Aber vor allem von der landesfürstlichen Seite erfuhren die jüdischen Familien große Unterstützung. Bis zum Jahr 1763 lebten bereits 25 jüdische Familien wieder in Schwerin.
Diese Zuwanderung erregte jedoch den Widerstand der eingesessenen Kaufleute und des Magistrats der Stadt. Die Stadtversammlung wandte sich vor allem gegen den Verkauf von Häusern an die Zugezogenen. Jedoch setzte sich Herzog Friedrich über die Einwände hinweg und genehmigte den Grunderwerb für jüdische Bürger. Den über die neue Konkurrenz klagenden Kaufleuten gab er einen Rat, der auch im Zeitalter der Globalisierung nichts von seiner Richtigkeit eingebüßt hat: „[Es] hilft nur Fleiß, kluge Sparsamkeit und durch sie möglich werdende vernünftige und solide Spekulation“.
Trotz mancher lautstarker Proteste behielt also Herzog Friedrich Franz seine Linie bei und förderte die Ansiedlung jüdischen Lebens weiterhin.
Er war es auch, der 1763 den ersten Landesrabbiner berief und 1773 dem Bau einer Synagoge zustimmte. Und zwar genau hier an dieser Stelle in der Schlachterstraße, wo wir auch heute das Richtfest für den Neubau begehen.
Bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts konnte sich das Leben der jüdischen Gemeinschaft relativ frei entfalten und schon bald zählte die Gemeinde 284 Mitglieder. Dem stand jedoch ein weit verbreiteter Antisemitismus in der Bevölkerung gegenüber, welcher sich dann 1819 in Krawallen Luft machte. Das energische Eingreifen des Militärs verhinderte Ausschreitungen. Jedoch stellten sich die Mitglieder der Stadtversammlung nicht eindeutig auf die Seite des Herzogs und zeigte sogar Verständnis für die Unruhestifter.
Aber auch die Haltung des Stadtparlamentes änderte sich. Die liberalen Ideen des Vormärz veränderten auch die Haltung zur jüdischen Gemeinde. Die Integration des jüdischen Lebens in die Stadt Schwerin bekam durch die Übertragung der Bürgerrechte noch einen weiteren positiven Impuls. So war der Posten des stellvertretenden Vorsitzenden der Stadtversammlung viele Jahre mit dem jüdischen Advocaten Dr. Marcus besetzt, der sich für die Integration der Juden in Schwerin sehr verdient gemacht und die Entwicklung der Stadt aktiv mitgestaltet hat. Diese erfreuliche Phase für die jüdische Gemeinde in Schwerin spiegelt sich auch in Zahlen wider: zum Ende des 19. Jahrhunderts war sie mit 300 Mitgliedern die größte in Mecklenburg.
Die Blütezeit des jüdischen Lebens in Schwerin währte jedoch nur kurz. Die Abwanderung von sehr aktiven Mitgliedern brachte der Gemeinde schwerwiegende Verluste bei. Immer mehr Familien verließen unsere kleine Residenzstadt und zogen nach Rostock, Berlin oder Hamburg. Bereits 1910 war die Zahl der Gemeindemitglieder auf 218 gesunken und 1924 zog auch der Landesrabbiner nach Rostock.
Die schwärzeste Zeit begann mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten, in der die jüdische Bevölkerung aus der Stadt floh, die jüdische Gemeinde aber gleichzeitig wieder zu einem starken Zusammenhalt zurückfand. Der Novemberpogrom in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 leitete in Schwerin das Ende des jüdischen Lebens ein.
Jüdische Läden und Geschäfte wurden zerstört, die Synagoge verwüstet und bald darauf abgerissen. Die hier verbliebenen Juden mussten ihre Wohnungen verlassen und wurden im Gemeindehaus untergebracht, bevor man sie 1942 in Vernichtungslager deportierte.
Nach schwierigen Zeiten in der DDR hat dann mit der deutschen Einheit und dem Zuzug von Juden aus der ehemaligen Sowjetunion eine erfreuliche Renaissance die jüdische Gemeinde mit neuem Leben erfüllt. Heute ist die Gemeinde einer der ersten und wichtigsten Anlaufpunkte für die Mitbürgerinnen und Mitbürger aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion.