Schönredner von der Kanzel

Signal vom Kirchentag – etwa Realitätsklitterung ?!

KircheTja, in einer Verwaltung, in einem Verein, in einem Verband, in einer Lobby-Gruppe oder eben in einer Kirche müsste frau/man anno 2009 hauptberuflich arbeiten. Dort hat man einen durchaus krisenresistenten, gut dotierten Job, braucht sich keine Sorgen um die Zukunft zu machen und kann nebenbei sogar noch Scheuklappen „Made in Märchenland“ anlegen.

Einer der die „silberne Scheuklappe“ verdient hätte, ist dabei Christian Führer. Dieser bemängelte auf dem 32.Deutschen Evangelischen Kirchentag in Bremen, dass es hierzulande zu viele gebe, welche die Situation in Deutschland „unverhältnismäßig herunterjammern“.
Zwar sprach der Herr Führer auch von sozialen Problemen in diesem Land, aber forderte zugleich eine „Loslösung vom Jammerton“. Nach Herrn Führer geht es „uns“ also insgesamt gut und jedenfalls besser als dem Rest der Welt.

Entweder leidet der Mann unter Realitätsverlust oder er hat in alten DDR-Müllcontainern noch eine „rosa-rote Brille“ gefunden, mit der die Welt plötzlich rosig aussieht.

Da sieht man plötzlich keine 53 Kriege und kriegsähnlichen Handlungen auf diesem Planeten mehr, da sieht man plötzlich nicht mehr, dass tagtäglich 10000 Kinder und 25000 Erwachsene weltweit elend verhungern (Angaben der Welternährungsorganisation FAO), da ignoriert man plötzlich, dass gegenwärtig – nach fundierten Angaben des Kinderschutzbundes – 2,5 Millionen Kinder in Deutschland in Armut leben, da vergisst man plötzlich die Geschichte der eigenen Kirche aufzuarbeiten, stellt den Widerstand der Kirche gegen NS- und stalinistische Diktatur heraus und verdrängt die Kollaborateure und „Quislinge“ in den eigenen kirchlichen Reihen während der nationalsozialistischen und realsozialistischen Herrschaft (Stichworte „Deutsche Christen“ und „Kirche im Sozialismus“) !

Schön, dass Christian Führer zum Kirchentag in Bremen dennoch so schöne Ansichten über Deutschland und die Welt hat, die sich zur Zeit nur in einer der schlimmsten Wirtschafts- und Finanzkrise befindet. In einer Welt, in der ein Drittel der Menschheit auf Kosten der übrigen zwei Drittel lebt. Und von diesem einen Drittel leben gerade – aber immerhin – 10 Prozent in „Saus und Braus“ – auch und nicht zuletzt auf Kosten der Umwelt.
Schön, dass Christian Führer dennoch so gute Sprüche parat hat …
Aber wie meinte bereits ein Sozialdemokrat, der nach 1945 aufgrund seiner demokratischen Gesinnung verfolgt, inhaftiert und gequält wurde: „Wer wirklich gelitten hat (und leidet), lebt nicht von großen Sprüchen !“.

Es hätte dem Kirchentag durchaus gut zu Gesicht gestanden, wenn der IM Sekretär nicht wieder seine Ansichten zum Besten hätte geben dürfen. Glücklicherweise haben hier die Bürgerrechtler von einst und heute mit ihrer Nicht-Teilnahme am Kirchentag ein deutliches Signal gesetzt.

Einige politische Vertreter auf dem diesjährigen Kirchentag monierten die Verklärung der DDR-Vergangenheit. Zu Recht. Die Toten an der Berliner Mauer und an der innerdeutschen Grenze sind mehr als eine Anklage gegen ein inhumanes Regime, das seine Unterstützer aber nicht nur in den „Truppen“ der SED und des MfS hatte (Stichworte „Blockflöten“, „sozialistische Massenorganisationen“ oder „parteilose DDR-Opportunisten“).

In einer stalinistischen Diktatur, in der gespitzelt wurde, in dem frau/man wegen des mutigen Einsatzes für demokratische Verhältnisse verhaftet werden konnte und in dem aus politischen Gründen sogar gemordet wurde. Namen, wie Bernhard Pfaffenzeller, Arno Esch, Hans-Joachim Roskam, Erich Krüger oder Ernst Walther, alles integre Demokraten, bezahlten ihren Kampf für Freiheit, Demokratie und Rechtsstaat in der sowjetischen Besatzungszone/DDR mit dem Leben.
Es ist gut, dass einzelne Redner beim Kirchentag an diese Verbrechen erinnerten.

Nur: Wie steht es um die eigene Mitverantwortung ?! Wann werden „Kanzel-Kommunisten“, wie Kleinschmidt oder Schwarze, endlich als das bezeichnet, was sie waren – „Diener zweier Herren“ ! Wann widmet sich die Evangelisch-Lutherische Kirche endlich ihrer speziellen Geschichte als „Kirche im Sozialismus“ zu ? Viele Pastoren und Kirchen-Oberen ließen oftmals Distanz und kritische Töne gegenüber der DDR-Obrigkeit vermissen … Wann erfolgt die Selbstkritik ?

Es wird in Deutschland 2009 „gejammert“ ?! Die bald 5 Millionen Arbeitslose plus vier Millionen Tätigen in prekären Arbeitsverhältnissen werden wohl kaum in einer „Polonäse, Demokratienese“ von Kiel bis Dresden feiern …

Wenn mit dem „Uns geht es ja gut“, die Champagner schlürfenden Krisengewinnler aus Politik, Wirtschaft, Sing-Sang und Kultur gemeint sind, die vielleicht gerade einmal 15 Prozent der deutschen Bevölkerung ausmachen, so kann Christian Führer ja gleich Champagner mittrinken.

Wenn damit aber die überwiegende Mehrheit des Volkes gemeint ist, die medial nur zu gern ausgeblendet wird, dann wird der Genuss von Leitungswasser reichen müssen.
Nein, werter Pastor Führer, gejammert wird in Deutschland schon lange nicht mehr. Aber schön geredet – bezüglich der Verhältnisse in Deutschland.

Zu der von Christian Führer aber geforderten Bekämpfung von Missständen gehört aber zuvor eine ehrliche und aufrichtige – und damit ungeschönte – Bestandsaufnahme.
Dann brauchen auch keine schönen Reden mehr auf Kirchentagen „geschwungen“ zu werden, da reicht es dann schon, wenn gleich mit schönen Taten vorangeschritten wird.

Die DDR ist, Gott sei Dank, untergegangen. Wer jetzt 60 Jahre Bundesrepublik als Erfolgsstory feiert, vergisst ziemlich leichtfertig, auf wessen Schultern diese stand und diese steht – im Hinblick Führungskräfte einst und heute, Wirtschafts-Zocker-System, Subventionitis, etc, pp..

Einst standen Ernst Reuter, Konrad Adenauer, Willy Brandt, Ludwig Erhardt, Carlo Schmid, Theodor Heuss und Thomas Dehler für echte Demokratie und soziale Marktwirtschaft. Inzwischen hat man beides gegelten Polit-Akteuren, Hasardeuren und „Möchte-Gern-Größen“ überlassen …

Schluss mit lustig !

Dr.Marko Michels

(Mitglied der evangelischen Kirche)

F.: Von beiden großen Kirchen in Deutschland erwartet frau/man mehr als schöne Reden . mm

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