Schwerin im Oktober-Endspurt

Zwischen 1 A, 3 D und einer Ballett-Premiere mit Weltklasse

Dieses Wochenende war wieder einmal „ein Programm des gesellschaftlichen Hochgefühls“.

Keimzeit im Capitol …
Da wir in bewegten Zeiten leben, gab es am Freitag erst einmal „Keimzeit“ im Capitol, zwar keine aufkeimende Zeit für neue Hoffnungen, aber für nostalgische Gefühle. Wenn schon „alle“ im 2010er Jubiläumsjahr den Blick zurück richten, während selbiger nach vorn nur Unsicheres verheißt, dann darf und sollte man sich durchaus wieder in längst vergangene Zeiten – zumindest musikalisch – träumen, als die Feinbilder noch stimmten und die Welt „geordnet“ war. Wenn nichts mehr sicher ist, dann wenigstens die „Mucke“ und die Interpreten von einst. Und so rockten die „Keimzeitler“ die Bühne im Saal 1 des Lichtspieltheaters an der Wismarschen Strasse.

Aber bevor jene auftraten, rückte erst einmal ein Panzer aus dem Westen des vereinten Vaterlandes an. Am 14. Oktober, dem 20. Jahrestag der ersten, freien und demokratischen Landtagswahl In M-V nach 57 Jahren trat der Panzer-Paule in der Sport-und Kongreßhalle an. Tja, wenn man denn wollte, dann ließ dieser Auftritt auch Erinnerungen an vergangene Zeiten aufkommen, als noch ein Panzer des „Großen Bruders“ eine städtische Schweriner Zufahrtsstrasse zierte, jetzt aber nicht mehr, da ja der Panzer aus der anderen Himmelsrichtung, glücklicherweise nur als Comedy, den Weg in das Mecklenburgische Land fanden. Denn: Bei einem Paul Panzer kann sogar einmal gelacht werden.

Diskussionswürdig – eine Schweriner Schwimmhalle …
Lachhaft, wenn es nicht so „nässlich“ wäre, sind jedoch die Schweriner Diskussionen um eine Schwimmhalle. Was viele außerhalb Schwerins bereits wussten, scheint inzwischen bittere Realität. Schwerin wird scheinbar in der Mehrzahl von geistigen Trockenschwimmern bevölkert, die sich jahrelang nicht darauf einigen können, was längst jeder weiß: Wenn einem das Wasser bis zum Halse steht, gerade finanziell, muss man mit dem Schwimmen beginnen. Wird es nicht gemacht, sind nicht nur die Finanzen, sondern auch der Kopf bald „Land unter“. Und das ist – vorsichtig ausgedrückt – nicht gut für das allgemeine Wohlbefinden. Da helfen dann auch keine roten, schwarzen, gelben oder grünen Schwimmreifen mehr, sondern höchstens eine OB; die ein knallrotes Gummi-Boot hat. Aber egal: Die nicht enden wollende Geschichte über die Schweriner Trockenschwimmer wird in die nächsten Runden gehen.

Piranhas, nicht gekocht, aber dreidimensional …
Dabei ist Schwimmen so wichtig. Gerade, wenn man den nächsten Urlaub am und im Amazonas plant, der ja von Piranhas gut bevölkert ist. Und da sind wir schon beim Highlight Nummer drei des Schweriner Wochenendes: „Piranha 3 D“ – dieser Film „muß“ gesehen werden, insbesondere dann, wenn man mindestens schon fünf Caipirinhas „intus“ hat. Ein echt wertvoller Film, mit klarer Botschaft an das „hundsgemeine“ Volk: Endlich schlägt das Fisch-Imperium zurück. Endlich folgt die Rache des Fisches auf den jährlich wieder kehrenden Silvester-Karpfen-Verzehr des Menschen. Dieses Mal ist eben der Mensch selbst das Hauptgericht zum Jahreswechsel – getreu der Warnung, die nicht nur militante Vegetarier von sich geben: „Was du nicht willst, was dir getan, das tue auch keinem anderen an.“ – Und sei es „nur“ ein Fisch.

So fließt dreidimensional Blut, werden dreidimensional die Zähne gefletscht, die vollbusigen Blondinen, die förmlich um ihren Verzehr betteln, machen dreidimensional im richtigen Moment garantiert das Falsche. Und der ermüdete Kino-Besucher, der wenigstens einen „One-Night-Stand“ mit den schauspielerisch ausbaufähigen, dafür hinsichtlich der Oberweiten rückbaufähigen Protagonistinnen noch als Rettung des Kino-Abends in Betracht zieht, mag denken: Was für eine diabolische Verschwendung …
Der Film ist daher zwar schon Fisch und Fleisch, aber das nächste Mal sollten sich die Macher an Karotten, Radieschen oder Gurken versuchen. Aber wie man erwarten darf, werden es erneut Piranhas sein, Teil 2, vielleicht achtdimensional. Der könnte dann zu 100 Prozent vergurkt sein.

Kulturelles überall …
Überhaupt hatte es Schwerin an diesem Wochenende mit Planschbecken und Piranhas. Im „Wallenstein“ trat Tanja Schumann mit abwechslungsreichem Programm als „Tanja, der Piranha“ auf. Ganz unblutig, Opferzahlen sind jedenfalls nicht bekannt. Aber bei Tanja kann man ja auch mal Abschalten und sogar Mitdenken.

Mitdenken und Schalten muß man immer wieder beim Schweriner Speicher. Der holt klasse Jung-Talente, wie Jimmy Bowskill, ewig junge Sängerinnen, wie Katharina Franck, oder alte Meister, wie Otto Mellies. Dieser (zusammen mit Frank Fröhlich) erinnerte in einer Lesung mit Musik an das alte Dresden.

Eine Weltklasse-Premiere …
Wer an diesem Wochenende wirklich Großartiges erleben wollte, der war im „Großen Haus“ des Mecklenburgischen Staatstheaters besonders gut aufgehoben. Dort konnte etwas bewundert werden, was man andernorts oft vermisst: Leidenschaft, echte Anmut, Hingabe, Ausdrucksstärke und Können – und das bei schwierigsten finanziellen Bedingungen. Die Ballett-Premiere „Carmen“ war einfach allergrößte Leistung und Kunst. Einfach Weltklasse!

Außerdem las der geistreiche DDR-Bürgerrechtler Lutz Rathenow in der Stadtbibliothek Schwerin, SCHERBEcontraBASS konzertierten im Speicher, es gab einen Ataraxia-Themenabend im Staatlichen Museum und ambitioniert gekocht wurde ebenfalls. Nicht vor Wut. Sondern mit Gewürzen. Im Sieben-Seen-Center in Schwerin-Krebsförden fand das Bundesfinale der Hobby-Köche aus ganz Deutschland statt – mit der Schwerinerin Christine Zapfe. Die bewies, dass Frauen im 21. Jahrhundert immer noch super kochen können.

Was war sonst noch los? Ach ja … „Im Dunkeln ist gut Munkeln“, war das Motto im Schweriner Zoo. Und wenn jemandem schwarz vor Augen wurde, lag es an diesem Tage nicht daran, dass der Kreislauf kollabierte, sondern an etwas, was über einen hereinbrach – die Dunkelheit.

Wer es lieber heller, optimistischer und hoffnungsvoller wollte, war bei den dritten Esoterik- und Naturheiltagen in der Sport- und Kongreßhalle in besten Händen. „Akte X“ statt „ARGE-Akte“ – zumindest etwas.

Schwerin ganz familiär …
Daneben lief auch noch ein vielseitiges Programm zum zweiten Aktionstag „Zeit für Familie“. Sogar die Familie, früher „Keimzelle der sozialistischen Gesellschaft“, heute „der Hort des konservativen Zeitgeistes“, wird in Schwerin gefeiert. M-V ist halt auch Familienland, nicht nur Kinder-, Sport-, Kultur-, Gesundheits- und Tourismusland.

Nicht zuletzt: Alles wird gut, wenn nicht sogar besser. Wenn auch nicht mehr alle daran glauben. Da meinte doch ein Spitzen-Politiker glatt: „Ich glaube manchmal, dass die Realität hinter der Wirklichkeit zurück bleibt!“ Eben.

Darum das Kontrastprogramm einschalten und auf ins Theater, in den Speicher, in die Museen, ins Konservatorium und die anderen Kultureinrichtungen.
Gegen das geistige Versteppen!

Marko Michels

Nach oben scrollen