“Schwerin liegt mir am Herzen !”

Interview mit Schwerins OB Norbert Claussen über den Bürgerentscheid am Sonntag zu seiner politischen Zukunft sowie über seine bisherige Arbeit und Zielstellungen
Frage: Herr Oberbürgermeister, 2002 waren Sie der Hoffnungsträger in Schwerin, viele hofften auf “frischen (politischen) Wind” in Schwerin und sahen in Ihnen den “ökonomischen Macher”.
Fünf Jahre später ist von Hoffnungen, Euphorie fast nichts mehr zu spüren.
Hatten die Bürger bzw. Sie selbst die “Meßlatte” für den Erfolg zu hoch gelegt ?

Norbert ClaussenNorbert Claussen. Ich denke nein, aber wir sind nicht soweit, wie ich mir dies selber auch gewünscht hätte. Zum Guten verändert hat sich aber vieles: Im Land werden wir wieder ernst genommen. Wir konsolidieren konsequent unsere Finanzen und investieren zugleich im Größenordnungen, beispielsweise ins Straßen- und Wegenetz. Wir haben eine reiche Kultur- und Sportlandschaft mit Staatstheater, Filmkunstfest, Post Schwerin und dem SSC…
In punkto Wirtschaft haben wir allerdings stets gesagt, dass wir Geduld und einen langen Atem brauchen. Ein hoffnungsvolles Ansiedlungsprojekt hat sich beispielsweise im Vorjahr leider zerschlagen. Der internationale Konzern entschied sich angesichts der hohen Stromkosten gegen den Standort Deutschland. Dies ist besonders bitter, da wir alle deutschen Mitbewerberstädte zuvor aus dem Feld geschlagen hatten. Dies zeigt: Wir haben nicht nur mit dem Problem zu kämpfen, erst einmal als attraktive Ansiedlungsadresse wahrgenommen zu werden. Unsere neue Werbeoffensive mittels Wirtschaftsfilm und verstärkter Präsenz auf Branchen- und Immobilienmessen hilft den Bekanntheitsgrad Schwerins nachhaltig zu erhöhen.

Fakt ist aber ebenso: Wir haben derzeit mit 14,9 Prozent die geringste Arbeitslosenquote aller kreisfreien Städte im Land. Zum Vergleich: Wismar liegt bei 16,7 und Rostock bei 15,3 Prozent. Die Service-Center-Branche boomt weiter. In Schwerin sind mittlerweile 33 Firmen mit 2400 Beschäftigten zu finden. Betrachtet man die Entwicklung bei den Unternehmen ab 2003, ist ein stetiger Aufwärtstrend zu beobachten. So gab es 2003 rund 4.900 IHK-zugehörige Unternehmen, 934 Handwerksbetriebe und 1.344 Freiberufler – insgesamt also 7.177 Unternehmen. Ende 2006 waren es bereits 7.667 Unternehmen, davon IHK-zugehörig 5.216, Handwerksbetriebe 1.034 und 1.417 Freiberufler. Insgesamt mehr als 500 neue Jobs kamen allein im Jahre 2006 dazu.

Frage: Der Tod der kleinen Lea-Sophie war tragisch, berührte, ließ verzweifeln. Die ersten Reaktionen der Stadtspitze danach waren mehr als unglücklich, auch wenn man Ihnen zugute halten muß, dass Sie darauf hinwiesen: “Es kann nicht sein, dass ein kleines Kind gestorben ist und alle sagen, wir haben keine Fehler gemacht …”
Wurden zu spät (personelle) Konsequenzen gezogen ?

Norbert Claussen: Es gab Fehler und unglückliche Äußerungen – auch von mir, für die ich mich entschuldigt habe. Ich habe aber ebenso von Beginn an, die Möglichkeit von Fehlern und Versäumnissen gesehen und öffentlich erklärt, wir müssen den Sachverhalt lückenlos aufarbeiten. Dies ist geschehen, auch mit Hilfe externer und unabhängiger Fachleute. Woran wir uns nicht beteiligt haben sind Vorverurteilungen einzelner Mitarbeiter. Schließlich gilt in unserer Demokratie die Unschuldvermutung.
Anfang Januar, als deutliche Versäumnisse und organisatorische Mängel im Jugendbereich durch die Untersuchung vorlagen, habe ich den Jugendbereich umstrukturiert. Ein neuer kommissarisch, eingesetzter Amtsleiter übernahm die Verantwortung, der zuständige Dezernent ließ einige Wochen später sein Amt ruhen, seine Abberufung scheiterte dann allerdings am Votum einer Mehrheit der Stadtvertreter.
Jüngst habe ich mir das Thema Jugendamt direkt unterstellt, welches mit dem Sozialbereich zusammengeführt wird. Damit sollen – wie übrigens schon länger angedacht – inhaltliche Fragen vernetzt und Synergien für eine effektivere und zielgerichtete Arbeit genutzt werden. Für die Amtsleitung wird eine versierte Person mittels externer Ausschreibung gesucht. Davon verspreche ich mir einerseits fachlichen Zugewinn und andererseits ein weiteres Wachsen an Vertrauen der Rat- und Hilfesuchenden in das Amt.

Frage: Das Dezernat für Jugend und Soziales geriet – zu Recht – in die entschiedene Kritik. Dennoch, für den Personalabbau im Jugendbereich stimmten auch Kommunalpolitiker ohne “schwarzes Parteibuch”.
Eine politische Aufarbeitung hat es seitdem, wenn auch mit parteipolitischem Geplänkel, gegeben. Eine richtige gesellschaftliche Diskussion hat es nie gegeben.

Schwerin war und ist nicht die einzige Stadt in der ein Kind qualvoll starb: Erinnert sei an die kleine Talea in Wuppertal, an Kevin aus Bremen, an Jessica aus Hamburg, an Ben-Randy aus Delmenhorst, … – Die Liste ließe seit fast unendlich fortsetzen …

Fühlen Sie sich nun als der “Sündenbock”, an dem alle ihren Frust, ihre Enttäuschung und auch Ohnmacht abreagieren können ?

Und: Wie ist Ihre Ansicht über die Förderung und Betreuung von Kindern in Deutschland ? Im Gegensatz zu den nordeuropäischen Ländern haben die Kleinsten hier keine Lobby … Nur in politischen “Sonntagsreden” wird doch auf die Kinder als “Zukunftsinvestition” gesetzt !

Norbert Claussen: Mitten unter uns ist ein kleines Mädchen an den Folgen von Vernachlässigung gestorben. Lea-Sophie bekam wochenlang nichts zu Essen, nichts zu Trinken. Die Anteilnahme in unserer Stadt, die Bestürzung und Trauer, waren und sind groß, wir alle waren und sind betroffen und tief erschüttert. Das sich Kritik auch an den Chef einer Verwaltung richtig, halte ich für normal und verständlich, schließlich gab es Fehler im Jugendbereich. Manche Vorwürfe weit unter der Gürtellinie und persönliche Diffamierungen sind allerdings unangebracht und Schaden unserer Demokratie.
Politik für Familien und deren soziale Absicherung ist ein großes Thema in unserem Land. Es darf allerdings wie Sie richtig sagten nicht bei Sonntagsreden bleiben. Politik für Familien lässt sich allerdings nicht abstrakt definieren. Sie entsteht konkret und ist eine Herausforderung für die gesamte Gesellschaft. Kinder, Jugendliche und Familien brauchen vor allem ein positives Klima. Hilfesuchenden muss zudem die Unterstützung zuteil werden, die sie benötigen.
Eine gute Familienpolitik kann die Stadtverwaltung aber nicht allein bewerkstelligen. Deshalb ziehen bei uns alle an einem Strang: Stadtvertretung und Stadtverwaltung, das Bündnis für Familie, Schulen, Verbände, Organisationen, Vereine und engagierte Eltern. Ziel muss eine Familien-Offensive sein, für mehr Kinder- und Familienfreundlichkeit, für die Balance von Familie und Arbeitswelt, zur Stärkung und Unterstützung der Erziehung in der Familie, für Integration und gute Nachbarschaft – um nur einige Punkte zu nennen. Ich bin mir sicher wir sind dort auf einem guten Weg, den ich gern weiter befördern möchte.

Frage: Als Nicht-Schweriner hat man bisweilen den Eindruck, Schwerin bestehe nur noch aus parteipolitischen Schützengräben, alles dort sei “negativ”, die Schweriner sind ein “Haufen Miesepeter und Miesepetras”.
Ganz gleich wie der Bürgerentscheid zu Ihrer politischen Zukunft am Sonntag ausgeht, “so oder so”, was muß an “Sofortmaßnahmen” geschehen, damit Schwerin wieder in die positiven Schlagzeilen kommt ?

Norbert Claussen: Mehr Zuversicht, mehr Freude am Erreichten wünsche ich mir auch. Wer mit offenen Augen durch unsere Stadt geht kann viel Positives entdecken. Die Projekte der Bundesgartenschau werden das Antlitz der Landeshauptstadt positiv verändern und uns bekannter machen. Die Bundesgartenschau 2009 und das Stadtjubiläum im Jahr darauf sind beste Werbeträger. Wir sollten uns, wie am Tag der deutschen Einheit 2007, als fröhliche und sympathische Gastgeber präsentieren. Ich bin fest davon überzeugt, dass die Mehrzahl der Schweriner sehr stolz auf ihre Heimatstadt ist. Zeigen wir dies unseren Gästen und auch uns untereinander.

Frage: Falls der Bürgerentscheid am 27.April für Sie keinen günstigen Ausgang nimmt, “war es das” mit der politischen Karriere des Norbert Claussen ? Oder gibt es für Sie ein Leben auch jenseits der Politik ?

Norbert Claussen: Ich bin ein politisch denkender Mensch, der auch gern aktiv etwas mitgestaltet. Ich habe aber ebenso eine Familie. Nach dem Sonntag wird man sehen, wie es weiter geht. Schwerin liegt mir so oder so sehr am Herzen.

Die Fragen stellte: Marko Michels.

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