Schwerin: Nach der „Einheitsfeier“ ist vor dem „Einheitssparen“

In der Landeshauptstadt soll gespart werden …

Das Schweriner Wochenende war vor allem den Einheitsfeierlichkeiten gewidmet. Es gab ein Festkonzert mit Festakt im Mecklenburgischen Staatstheater, in dessen Rahmen der Annette-Köppinger-Preis für Integration und Menschlichkeit, vergeben wurde.

Zu Recht wurde an die Erfolge der vergangenen 20 Jahre gedacht. An die Verdienste von Willy Brandt, Helmut Schmidt, Walter Scheel, Hans-Dietrich Genscher und Helmut Kohl, ohne deren Ostpolitik und ohne deren diplomatisches Geschick, die politisch-formale Überwindung der Teilung nicht möglich gewesen wäre. Ebenso wurde die positive Rolle von Michail Gorbatschow und von Georg Bush bei der deutsch-deutschen Vereinigung hervorgehoben.

Ansonsten standen nur noch einige prominente Bürgerrechtler im Mittelpunkt. Aber, dass die Mehrheit des Volkes zwischen Rügen und Erzgebirge die real existierende DDR mit deren Blockparteien-System, mit Staatssicherheit, mit NVA und mit Mauer, Stacheldraht und Schießanlagen stets ablehnte, sich von Anfang an seit 1945 – und damit Vorreiter im Ostblock – mit dem Einsatz von Freiheit und Leben für ein demokratisches Staatswesen einsetzte, blieb in vielen Reden nur ein „Allgemeinplatz“.

Erinnert sei nur an die vielen Opfer und politischen Häftlinge, die sich seit 1946 ff. in den Ostbüros der SPD, CDU und FDP engagierten, an das Aufbegehren im Juni 1953 und die Protestwellen in den 1960er Jahren bis hin zur Gründung der Bürgerbewegung NEUES FORUM 1989. So ist das nun einmal, wenn Politiker Reden halten. Wie meinte daher schon ein sozialer Demokrat, der nach 1945 wegen seines demokratischen Einsatzes in der sowjetischen Besatzungszone/DDR viele Jahre inhaftiert wurde: „Wer wirklich gelitten hat, lebt nicht von großen Sprüchen!“

Die Einheitsfeierlichkeiten gingen zu Ende, nun beginnt allmählich der Katzenjammer des Alltags.

Sparbeschlüsse , die auf das kulturelle und sportliche Leben in Schwerin zielen, treffen die Landeshauptstadt MV mitten ins Herz. … Nicht mit einer Universität oder Hochschule gesegnet und eben auch nur mit einer geringen Einwohnerzahl ausgestattet …

Das Staatliche Museum SchwerinIn Schwerin pulsierte jedoch stets das sportlich-kulturelle Leben. Das drittälteste Orchester Deutschlands, die Mecklenburgische Staatskapelle, hat hier seine Heimat, nachdem Herzog Johann Albrecht der I. David Köler am 17.Juni 1563 zum Hofkapellmeister ernannte und ihm den Auftrag zur Schaffung einer Hofkapelle erteilte. Komponist Adolf Karl Kunzen, 1749 von Herzog Christian Ludwig II. zum Konzertmeister bestimmt, wirkte in Schwerin, wie ebenfalls seine Kollegen Friedrich Wilhelm Kücken, vor 200 Jahren geboren, oder Friedrich von Flotow, der 1855 Hoftheaterintendant wurde.

Die Bildhauer Friedrich Franz Brockmüller und Hugo Berwald hatten hier „ihre Wurzeln“, wie unter anderem der Volkskundler Heinrich Cunow, der Schauspieler Günter Grabbert oder der Orgelbauer Friedrich Friesen – nur ein paar Beispiele von vielen.

Die VolleyballerInnen - hier auf dem Stadtumzug - gestalten das Schweriner Sportleben maßgeblich mitNatürlich hatte Schwerin ebenfalls stetig ein reges sportives Leben. Die Schweriner Schützenzunft gründete sich 1640, der Männer Turn-Verein 1859 und der Schweriner Fußball-Club von 1903. Ruderer, Segler, Radsportlicher, Schwerathleten, Angler, Motorsportler, Fechter, Leichtathleten, Boxer, Akrobaten, Schwimmer, Handballer oder Volleyballer fanden in der Landesmetropole eigentlich „immer“ gute Bedingungen vor.

Allerdings: Mit den Sparbeschlüssen wird das, was in Jahrhunderten geschaffen wurde, gefährdet. Kurz- und langfristige Kürzungen oder Streichungen in Richtung Freilichtmuseum, Speicher, Schleswig-Holstein-Haus, stadtgeschichtliche Ausstellungen, Ataraxia, Konservatorium, Mecklenburgisches Staatstheater, Leistungssport, usw. mögen zwar partiell für finanzielle Entlastung „auf den ersten Blick“ sorgen, aber tatsächlich wird das tatsächliche Leben ärmer und die Lebensqualität deutlich gemindert.

20. Filmkunstfest Wer die Existenz von Museen oder Theatern in Frage stellt, der stellt auch sein langfristiges Dasein in Frage. Wer nicht weiß, woher er kommt, woher er stammt, wird nie wissen und erkennen, wohin er will. Geistige Armut, Orientierungslosigkeit, Dumpfheit sind die Folge. Populisten von links und rechts haben so ein leichtes Spiel. Die finanziellen Auswirkungen eines solchen kurzfristigen (Spar-)Denkens dürften höher sein, als das tatsächlich „Gesparte“.

Schwerin ohne abwechslungsreiche, vielseitige und facettenreiche Kultur- und Sportangebote – da können die Bürgersteige gleich um 18.00 Uhr hoch geklappt werden. Auch der 20. Konsum-Palast wird daran nichts ändern. Von denen, die Schwerin dann den Rücken kehren, ganz zu schweigen.

Positiv, dass dennoch die Sport- und Kulturschaffenden in der Stadt nicht aufgeben. Auch im Oktober/November gibt es wieder zahlreiche Angebote, die die Kultur- und Sportstadt zieren.

Ob die Ballett-Premiere „Carmen“ im Mecklenburgischen Staatstheater, die TheaterThekenNacht am 12. November, die Tim Fischer- und Keimzeit-Konzerte im traditionsreichen Lichtspieltheater und Kino Capitol am 9. bzw. 15. Oktober, der Auftritt der großartigen Sängerin Katharina Franck am 8. Oktober im Speicher, die 15. Schweriner Wissenschaftstage am 10./11. November im Kino MegaMovies, das 4. Oldtimertreffen auf dem früheren KIW-Gelände, die Veranstaltungen in der Sport- und Kongreßhalle zum Beispiel mit der am zweiten Oktober-Wochenende stattfindendend Messe „Eigenheim und Handwerk“, die Info-Tage von IHK und Handwerkskammer, die 15. Schweriner Literaturtage vorwiegend im Schleswig-Holstein-Haus, die verschiedenen Angebote in der Stadtbibliothek, die Erfolge des Konservatoriums, der „Schule der Künste“, des „Baltic Colleges“ oder von Ataraxia, die Kirchen-Konzerte, die Fashion-Party am 9.Oktober im Schloßparkcenter, die „Events“ mit „Pure Irish Drops“ am 21. Oktober und mit Wolfgang Maahn und Band am 29. Oktober im Speicher, die 10. Schweriner Kunstnacht am 30. Oktober, die Aktivitäten des Freilichtmuseums oder das sportliche Programm der mehr als 100 Sportvereine in der Stadt und die vielen anderen Angebote der weiteren Kultur- und Sporteinrichtungen beweisen – in Schwerin ist Sport und Kultur „daheim“, hier engagieren sich kulturell, gesellschaftlich und sportlich versierte Persönlichkeiten für andere.

Das nun kurzsichtig zu gefährden, wirft kein gutes Licht auf die Stadt, in der anscheinend alle Funktions- und Machtträger, ganz gleich welcher Parteifarbe, nicht begriffen haben, worum es überhaupt geht. – Um die Zukunft … Da nützen dann selbst die diskussionsreichsten Diskussionen um ein künftiges „Leitbild Schwerins“ nicht, wenn die Gegenwart missachtet wird und damit allen ein lebens- wie liebenswertes Schwerin „erspart“ bleibt.

Marko Michels

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