Selbsthilfe nur noch in großen Verbänden möglich?

Kontaktstelle in Schwerin fordert Chancen für freie Selbsthilfe„Wir lassen uns unser solidarisches Miteinander nicht zerstören“, sind die Sprecher der Schweriner Selbsthilfegruppen einig. Auf einem Gesamttreffen in der Schweriner Selbsthilfekontaktstelle KISS am 04. Februar wandten sie sich einhellig gegen die Neuorientierung des § 20c SGB, der fordert, dass jede Gruppe künftig  ein eigenes Konto anlegen bzw. sich einem Dachverband  anschließen muss.

KISS-Geschäftsführerin Silke Gajek erläutert das Problem: „Für große Gruppen mit fester Struktur ist so eine eigene Kontoführung kein besonderes Problem – außer, dass sich jemand dafür verantwortlich fühlen muss.  Doch eine ganze Reihe unserer Gruppen wie die SHG Messie oder Mobbing wäre damit einfach überfordert.“

Dazu käme, dass solche Hürden vor allem junge Menschen von der Selbsthilfe fernhalten. Gajek: „Mehr und mehr kommen junge Leute zu uns mit verschiedenen Problemlagen, die Interesse an der Selbsthilfe haben. Es hat sich auch in Schwerin gezeigt, dass junge Menschen die Gruppenangebote jedoch eher zeitlich begrenzt nutzen. Dann noch ein extra Bankkonto einzurichten, übersteigt ihre Vorstellung von Selbsthilfe.“ Das kann Franziska Riedel, die sich in der jungen SHG für BAHA-Träger (ein neuartiges Hörgerät) und bei den Essgestörten engagiert, nur bestätigen. „Gerade Letztere können sich kaum selbst helfen“, sagt sie. „Wie sollen sie den Mehraufwand bewältigen?“

Seit nunmehr zehn Jahren stellt die KISS den Selbsthilfegruppen unter ihrem Dach ein Treuhandkonto zur Verfügung. Dieses Angebot wurde anfangs von ca. 25 Gruppen genutzt; heute sind es mehr als doppelt so viele. Erika Zenke von der SHG Schlafapnoe lehnt ein eigenes Konto kategorisch ab. „Wir haben in unserer Gruppe 26 Mitglieder. Ich fühle mich sicherer, wenn ich alle Abrechnungen über die KISS machen kann und diese Dinge nicht mit nach Hause nehmen muss“, sagt sie. Dietlinde Lippmann von der Gruppe „Fit in jedem Alter“ ergänzt: „Hier deponieren wir alle Belege, so dass alles jederzeit einzusehen ist. Das Treuhandkonto ist für mich eine Form der offenen und sicheren Arbeit.“

Außerdem berät die KISS über 60 Gruppen sowohl bei der Antragstellung für Pauschal-, aber auch Projektförderung. Silke Gajek: „Wegen einer Veränderung in der Gruppe müssen für die Pauschalförderung heute sieben Seiten ausgefüllt werden!“  Sie befürchtet, dass unter den neuen Bedingungen zwei Drittel der Gruppen aus der Förderung heraus fallen würden.

Die Geschäftsführerin der KISS, Gajek, betont:  „Ich habe den Eindruck, dass hier Gesetze am Grünen Tisch entschieden werden, ohne die wirklichen Bedingungen zu kennen. In M-V sind mehr als die Hälfte aller Selbsthilfegruppen nicht verbandlich organisiert. Sie dazu zu zwingen, bedeutet, dass die verbandsunabhängige Selbsthilfe auf der Strecke bleibt.“

Dazu komme, dass die freien Gruppen nicht in den entscheidenden Gremien vertreten seien. „Deshalb müssen wir unsere eigene Lobby schaffen“ erklärt Silke Gajek. „Aus diesem Grund werden wir drei Arbeitsgruppen für die verschiedenen Krankheitsbilder von Chronischen Erkrankungen über Sucht bis zur Psychosomatik ins Leben rufen. Ziel ist es, konkrete Forderungen an bestehende Landesinstitutionen sowie den Landtag M-V und den Bundestag zu richten.“

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