Der Wismarer Politiker Karl Moritz starb vor 35 Jahren …
Vor 35 Jahren starb der integre und engagierte Sozialdemokrat Karl Moritz, der maßgeblich mit Unterstützung seiner politischen Weggefährten, Oberbürgermeister Herbert Säverin und Landrat Robert Brinkmann, den Wiederaufbau des zerstörten Wismars nach 1945 vorantrieb.
Karl Moritz, 1892 geboren, war gelernter Schmied bzw. Schlosser, der sich bereits als Zwanzigjähriger beim deutschen Metallarbeiterverband (vergleichbar mit der heutigen IG Metall) aktiv war.
Nach 1933 war Moritz im Widerstand gegen die nationalsozialistische Diktatur und wurde deshalb auch mehrfach aus politischen Gründen verhaftet.
Ab Mai 1945 gehörte er zu den Gründern der SPD in Wismar und wurde auch Kreisvorsitzender der SPD Wismar. Außerdem gehörte Karl Moritz dem Landesvorstand der SPD in Mecklenburg mit Sitz in Schwerin sowie dem Gründungsausschuss des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes an.
Karl Moritz gehörte zu den Skeptikern einer Vereinigung mit der KPD, was er auch in einer Rede Anfang Januar 1946 äußerte:
„ Eine Zusammenfassung der Parteien kann nur dann erfolgen, wenn jedem einzelnen (SPD-)Mitglied das Recht gegeben wird, selbst über sein Schicksal zu bestimmen.
Jedes Mitglied muß das Recht haben, so wie er selbst zu uns (zur SPD) gekommen ist; genau dasselbe Recht müssen wir dem Mitglied geben, wenn es sich aus seiner ganzen Kraft, mit seiner ganzen Überzeugung dazu entschließen soll, seine Zustimmung zu erteilen zu einer geschlossenen Arbeiterbewegung.
Diese Arbeiterbewegung kann aber nicht begrenzt bleiben auf die Zonen im russisch besetzten Gebiet; wir (die SPD) erstreben ein Deutschland, ein einheitliches Deutschland und deshalb heißt die Partei nicht die Partei Mecklenburgs und nicht die Partei Wismars, sondern es ist die Sozialdemokratische Partei Deutschlands und diese Sozialdemokratische Partei Deutschlands hat die Aufgabe, eine geschlossene Partei zu bleiben und nicht nur zu bleiben, sondern auch über die Zonen hinaus zu wirken, um dort wirtschaftliche Möglichkeiten zu haben, um zu arbeiten und nur auf dieser Grundlage kann Deutschland einst gesunden …“.
In dieser „Luther-Rede“, die er am 5.Januar 1945 in Wismar hielt, rechnete er schonungslos und konsequent mit den diktatorischen Vereinnahmungsbestrebungen der KPD ab und geriet deshalb ins Blickfeld der russischen Geheimpolizei.
Bereits seit Juni 1945 wurde er intensiv von den Spitzeln der KPD observiert, doch mit seiner Kampfansage gegenüber den Kommunisten wurde er zum „politischen Erzfeind“ bei Kommunisten und russischer Besatzungsmacht erklärt.
Gerade nach der erzwungenen Vereinigung von KPD und SPD mehrten sich die Auseinandersetzungen zwischen Karl Moritz und der sowjetischen Militäradministration.
Die hohen Reparationsforderungen der Russen waren nach Ansicht von Karl Moritz einer der Gründe für die gravierende Not der Wismarer Bevölkerung in den ersten Nachkriegsjahren.
Zudem missfiel Karl Moritz wie auch Landrat Robert Brinkmann oder Oberbürgermeister Herbert Säverin die Enteignung zahlreicher Großgrundbesitzer ab Herbst 1945 im Landkreis Wismar während der Durchsetzung der Bodenreform nach Konzeption der KPD-Landesleitung, da viele der Enteigneten selbst Antifaschisten bzw. Widerständler gegen das NS-Regime waren.
Da Karl Moritz in der Folgezeit – von 1946 bis 1948 – auch die Umwandlung der SED in eine „Partei neuen Typs“ nach russischem Vorbild ablehnte und den Kontakt zum SPD-Ostbüro in den Westzonen , der gesamtdeutschen Widerstandsbewegung der SPD gegen die SED-Diktatur bis 1971, suchte, eskalierten die Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Wismarer SED zwischen Karl Moritz und seinen Anhängern auf der einen Seite und den Kommunisten stalinistischer Gesinnung um deren führenden Repräsentanten Hans Klein auf der anderen Seite.
Am 25.Oktober 1948 wurde Karl Moritz auf einer Funktionärskonferenz der SED, in der „Kader- und Personalfragen der Partei“ im Vordergrund standen, als erster Kreissekretär abgesetzt.
Dennoch blieben die Kontakte zum SPD-Ostbüro bestehen, wobei auch ein anderer Wismarer Sozialdemokrat der damaligen Zeit, Willi Visser, ein wichtiger Verbindungsmann zum Ostbüro war.
Doch mit der Absetzung von Karl Moritz als Kreissekretär der Partei war der „Fall Karl Moritz“ für die KPD-Vertreter in der SED sowie für die sowjetische Militäradministration keineswegs abgeschlossen.
An dem aufrechten Demokraten Karl Moritz sollte ein Exempel statuiert werden.
Karl-Heinz Moritz, inzwischen verstorbener Sohn von Karl Moritz, äußerte sich in einem Gespräch 1997 über die 1948 erfolgte Verhaftung seines Vaters folgendermaßen:
„Am 31.10.1948 wurden mein Vater und ich verhaftet und nach Schwerin ins Untersuchungsgefängnis gebracht. Wir wurden jeder in Einzelhaft gehalten. Nach 14 Tagen entließ man mich ohne Angaben von Gründen.
… Mein Vater wurde dann in Schwerin den Vertretern des russischen Geheimdienstes überstellt und in die Sowjetunion gebracht.
Von einem sowjetischen Gericht wurde er wegen Nichtbefolgung der Befehle der sowjetischen Militäradministration zu 13 Jahren Arbeitslager verurteilt.
Die Gründe: 1. Nicht exakte Durchführung der Bodenreform, 2. `Agententätigkeit` für das SPD-Ostbüro. Im Arbeitslager am Eismeer von Workuta war mein Vater über fünf Jahre in Haft.
Nach dem Tod Stalins erfolgte eine große Amnestie in der Sowjetunion – und auch mein Vater wurde entlassen. Im Dezember 1953 traf er in Wismar ein …“
Nach seiner Haftentlassung wurde Karl Moritz von der SED in Wismar gesellschaftlich und politisch isoliert und – beschämenderweise – von der DDR-Staatssicherheit weiterhin observiert.
Mit einer Tätigkeit in einem HO-Industriewarengeschäft bestritt Karl Moritz zwischen 1945 und 1971 seinen Lebensunterhalt. Im Jahre 1972 starb er.
Sein Weggefährten nach 1945, u.a. Landrat Robert Brinkmann oder Willi Visser, mussten ebenfalls politische Konsequenzen ziehen.
Robert Brinkmann wurde aus seiner Funktion „entfernt“; Willi Visser floh – aufgrund einer ebenfalls drohenden Verhaftung 1948 – nach Westdeutschland.
Marko Michels
Aufnahmen: Landeshauptarchiv Schwerin