Tagung der Friedrich-Ebert-Stiftung Schwerin zur DDR-Geschichte am 4.Juli

Schwerin-News sprach mit Teilnehmer Arndt Noack, Mitbegründer der SDP 1989

FESBerlinAm Samstag wird in Schwerin in Sachen DDR-Vergangenheit diskutiert. Das Landesbüro M-V der Friedrich-Ebert-Stiftung lädt am 4.Juli 2009 in Schwerin zur Tagung „Von der friedlichen Revolution zur Wende. Was bleibt von der DDR ?“ ein.

Martin Klähn, Erstunterzeichner des Gründungsaufrufs des Neuen Forums, Hans-Joachim Hacker, seit Oktober Mitglied der SDP/SPD, heute Mitglied des Bundestages, sowie Pfarrer Arndt Noack, Gründungsmitglied der SDP in Schwante und gegenwärtig an der St.Petri-Gemeine in Benz auf Usedom tätig, werden dabei zu den Themenbereichen „Der Mauerfall – Von der friedlichen Revolution zur Wende“ sowie „Die DDR – Nur eine Fußnote der Geschichte“ referieren und diskutieren.

Dass die Auseinandersetzung um die DDR-Vergangenheit noch immer emotionalisiert, bewies die Diskussion um die umstrittenen Äußerungen von Ministerpräsident Erwin Sellering zum Charakter der DDR.

Schwerin-News stellte im Vorfeld der Tagung am Samstag Pfarrer Arndt Noack, der die SDP in Schwante mitbegründete, einige Fragen zur damaligen Gründung der SDP, zum Umgang der heutigen SPD mit der DDR-Geschichte und zum Umgang mit der DDR-Vergangenheit.

Pfarrer Noack fand trotz seiner gegenwärtig umfangreichen Verpflichtungen in seiner Gemeinde – Stichwort „Benzer Kirchensommer“ – noch etwas Zeit, diese zu beantworten.

> Frage: Herr Noack, Sie gehörten zu den Mitbegründern der SPD am 7.Oktober 1989 in Schwante – ein „Akt“, der von der SPD in der Bundesrepublik eher mit Zurückhaltung aufgenommen wurde. Wann fiel der Entschluß, eine sozialdemokratische Partei in der DDR wieder zu gründen ? Waren Sie von der Reaktion der westdeutschen Sozialdemokraten damals enttäuscht ?

– Arndt Noack: Markus Meckel und Martin Gutzeit schrieben das Initiativpapier bereits im Juli 1989. Vorgestellt wurde es dann in einer größeren Runde von Bürgerrechtlern bei einer Gedenkfeier zum 200. Jahrestag der Erklärung der Menschenrechte anlässlich der französischen Revolution am 26.August 1989 in Berlin.

Zur damaligen Reaktion der SPD in der Bundesrepublik: Nein, ich war nicht enttäuscht über die West-SPD; im Herbst`89 gingen wir ja noch von der Gründung einer eigenständigen Partei und vom Nebeneinanderbestehen von zwei demokratischen, deutschen Staaten aus. Am 8/9. November 1989 wurde ich in der SPD-Baracke in Bonn übrigens freundlich empfangen!

> Frage: Der frühere Bundeskanzler Willy Brandt meinte einst, dass sich Antifaschismus und Antikommunismus einander nicht aus- sondern einschließen.

Gerade seit Mitte der 1980er Jahre hatte man jedoch den Eindruck, als sei der Umgang für einige führende westdeutsche Sozialdemokraten mit den Protagonisten der SED äußerst freundschaftlich und eng … Hatten sich Sozialdemokraten der Bundesrepublik den Positionen der SED zu sehr angenähert, sich zu sehr von den Einheitssozialisten „umarmen lassen“ ?

– Arndt Noack: Im Prinzip hatte Willy Brand recht. Jedoch: Statt einer „Anti-Haltung“ ist freilich eine geistige Auseinandersetzung hilfreicher. Ich meine, dass das Konzept „Wandel durch Annäherung“ aufgegangen ist, auch wenn es, wie Sie andeuteten, hier nach wie vor unterschiedliche Positionen gibt.

Die Dokumente des Helsinki-Prozesses, der Grundlagenvertrag und das SED/SPD-Positionspapier „Der Streit der Ideologien und die gemeinsame Sicherheit“ waren Papiere, auf die sich letztendlich die Bürgerbewegung berufen konnte.

> Frage: Manfred „Ibrahim“ Böhme, der Spitzen-Kandidat der DDR-Sozialdemokraten zur Volkskammerwahl im März 1990, wurde kurz vor dem damaligen Urnen-Gang als Stasi-IM enttarnt. Welchen Einfluß hatte dieser im Rückblick auf die Arbeit der ostdeutschen Sozialdemokraten vom Wende-Herbst 1989 bis zum Frühjahr 1990 ?

– Arndt Noack: Auf Initiativpapier, Statut, und Grundaussagen des Programms hatte Ibrahim Böhme  keinen oder kaum Einfluss. Er kam ja auch nicht, wie wir anderen drei, aus philosophischen Diskussionszusammenhängen.

Freilich war er nicht nur ein bedauernswerte, sondern auch eine charismatische, um Zuneigung werbende, gewandte Persönlichkeit (Anmerkung: Willy Brandt hat ja eine gewisse Zeit auf ihn gesetzt.) und als diese von Nutzen. Die Enttarnung war natürlich von Einfluss auf die Glaubwürdigkeit der Partei.

MVHLüdemann> Frage: Zahlreiche Sozialdemokraten zwischen Mecklenburg und Sachsen gehörten zu den Gegnern einer diktatorischen Vereinigung mit der KPD 1946. Tausende wurden bespitzelt, aus öffentlichen Ämtern gedrängt, mußten nach Westdeutschland fliehen, wurden verhaftet und sogar ermordet.

Mitarbeiter und Aktivisten des SPD-Ostbüros, der gesamtdeutschen Widerstandsbewegung nicht nur von Sozialdemokraten gegen die sich etablierende stalinistische Diktatur in der sowjetischen Besatzungszone/DDR, wurden gnadenlos verfolgt.
Auch in den 1950er und 1960er Jahren gab es u.a. noch viele Schauprozesse wegen „praktizierten Sozialdemokratismus“ in der DDR.

Wird dieser Widerstand der Sozialdemokraten gegen die DDR-Diktatur heute, auch von der SPD selbst, aus Ihrer Sicht hinreichend gewürdigt ?

– Arndt Noack: Ich denke eher nein. Ich meine freilich auch, dass die Geschichte der SPD in dieser Frage nicht nur eine Widerstandsgeschichte, sondern auch eine Schuldgeschichte ist.

> Frage: Der Ministerpräsident von M-V, Erwin Sellering, entfachte mit seinen umstrittenen Äußerungen zum Charakter der DDR eine lebhafte Diskussion. Wie beurteilen Sie die Äußerungen Sellerings zur DDR-Vergangenheit ? Und: Wie würden Sie die DDR charakterisieren ?

17.Juni 1953– Arndt Noack: Ich habe die angesprochenen Diskussionen natürlich auch verfolgt. Die Äußerungen des Ministerpräsidenten sind in dieser Frage wenig hilfreich. Die DDR war nicht nur ein Unrechtsstaat, sondern ebenfalls eine Unrechtsgesellschaft. Die SED hatte auch alle gesellschaftlichen Bereiche auf sich hin geordnet. Die Einschränkung der geistigen Freiheit war tägliches Unrecht.

> Frage: Am 4.Juli veranstaltet das Landesbüro M-V der Friedrich-Ebert-Stiftung in Schwerin eine Tagung zur Thematik „Von der friedlichen Revolution zur Wende. Was bleibt von der DDR ?“. Sie werden dazu auf der Tagung referieren. Ganz kurz: Was bleibt für Sie die DDR ?

– Arndt Noack: Für mich war die Existenz der DDR vor allem eine Reihe von nützliche Lehren, wie eine gerechte Gesellschaft nicht funktionieren kann. Es kann nun einmal ohne geschichtliche Wahrheit – ohne Beschäftigung mit dem Stalinismus – kann es keine gerechte Gesellschaft geben.

Außerdem war die Annahme, dass das Sein das Bewusstsein bestimmt – Devise „Erst kommt das Fressen, dann die Moral“ – einfach falsch. Das Menschenbild des Sozialismus war insgesamt unrealistisch und zu schwärmerisch.

Die meisten Menschen sind nun einmal nicht edel und gut. Zudem versagte die Planwirtschaft völlig. Privates Eigentum, eine sozial orientierte Marktwirtschaft sind notwendig. Außerdem: Der praktizierte Militarismus in der DDR in allen gesellschaftlichen Bereichen hat eine demokratische Gesellschaft erst gar nicht zugelassen. Das sind nur einige Punkte, die ich hierzu nennen möchte.

Vertiefende Anmerkungen sind dann auf der Tagung möglich – und Fragen interessierter Teilnehmer natürlich erwünscht !

Marko Michels

F.: 1.Die FES veranstaltet am 4.Juli eine Tagung zur DDR-Geschichte. / 2. Vor 20 Jahren – ein Jahrhundert-Ereignis: Die Berliner Mauer wird friedlich überwunden. Dt.M. / 3.Hermann Lüdemann stand gegen Nazis wie Kommunisten: Von den Nazis im KZ inhaftiert, von den Kommunisten nach 1945 als SPD-Landesgeschäftsführer verleumdet und verfolgt. Im November 1945 wurde er von den Vertretern der sowjetischen Militäradministration aufgrund seiner Gegnerschaft hinsichtlich einer KPD-SPD-Vereinigung „amtsenthoben“. Pressestelle SH / 4.Zentren des sozialdemokratischen Widerstandes gegen eine Vereinigung mit der KPD 1945/46. mm / 5.Der 17.Juni 1953 – demokratisches Aufbegehren gegen die stalinistische Diktatur in der DDR. P/WA

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