Thomas Heldberg, Mitglied des FDP-Landesvorstandes, zur aktuellen „Hartz IV“-Diskussion

Der Freie Demokrat über die Missstände in der Sozialstaatsbürokratie, über Einzelschicksale im „Hartz IV“-Bereich und über die Debatte seines Partei-Bundesvorsitzenden

„Wohin führt die Zukunft ? Sozialstaats- und Werte-Debatte ist dringend erforderlich.“
Mit diesem Diskussions- und Streitpapier setzt sich Thomas Heldberg, Jahrgang 1977, Diplom-Ökonom, Mitglied des Landesvorstandes der FDP in M-V, mit den Folgen des „Hartz IV-Urteils“ des Bundesverfassungsgerichtes, mit der Entwicklung des deutschen Sozialstaates und mit den Thesen vom FDP-Parteivorsitzenden Dr.Guido Westerwelle auseinander.

Nachgefragt bei Thomas Heldberg (FDP) …

„Die Lebensleistung des Einzelnen für sich und für die Gesellschaft muß stärker berücksichtigt werden …“

Herr Heldberg, die FDP erfährt zurzeit viel Gegenwind. Die Bundeskanzlerin widerspricht Ihrem Parteivorsitzenden hinsichtlich dessen Sozialstaats-Thesen energisch, Horst Seehofer´s CSU ohnehin, Gewerkschaften, SPD, Linke und Grüne werfen der FDP eine Spaltung der Gesellschaft vor.

Die harscheste Kritik an den Äußerungen Westerwelles hinsichtlich „spätrömischer Dekadenz“ bei einigen Sozialleistungsempfängern übte allerdings CDU-Vordenker Heiner Geißler in der „Welt“: „Die spätrömische Dekadenz bestand darin, dass die Reichen nach ihren Fressgelagen sich in Eselsmilch gebadet haben und der Kaiser Caligula einen Esel zum Konsul ernannt hat.“ Und Heiner Geißler ergänzte, dass der Vergleich von Guido Westerwelle ja zuträfe. Vor mehr als einhundert Tagen sei eben „ein Esel Bundesaußenminister geworden.“

Frage: Herr Heldberg, bei aller berechtigten Kritik an Missständen im Sozialstaatssystem: Müßten hier nicht die damals wie heute politisch Verantwortlichen einer General-Kritik unterzogen werden ? Missstände gibt es doch vor allem in der Sozialstaatsbürokratie, in der das „Elend“ nicht gelöst, aber verwaltet wird. Warum war die Kritik der FDP am Sozialstaat bisher so einseitig?

Thomas Heldberg, FDP-Landesvorstand M-VThomas Heldberg: Guido Westerwelle kritisierte nicht die Existenz des Sozialstaates und stellt schon gar nicht die Solidarität mit Menschen, die Schicksalsschläge erfahren mussten in Frage, sondern er kritisiert die mangelnde Treffsicherheit unseres Sozialstaates und die Politik, die das einfach hinnimmt und nichts daran ändern möchte.

Das betrifft vor allem Politiker von SPD und Grünen, die anscheinend über jedwede Kritik an dem von ihnen erschaffenen „System Hartz IV“ erhaben sind und lieber die unglückliche Wortwahl Westerwelles kritisieren, um vom wirklichen Handlungsbedarf abzulenken. Die Kritik Westerwelles ist aus meiner Sicht völlig berechtigt, wenn „Vater Staat“ im Jahr 2009 777 Milliarden Euro für Arbeit und Soziales ausgab und trotzdem mehr als zwei Millionen Kinder von relativer Armut betroffen sind.

Hierin liegt das größte Potenzial für nachhaltige Veränderungen. Es mangelt doch offensichtlich nicht an Geld. Es mangelt vor allem am richtigen Einsatz der durch die tägliche Arbeit der Steuer- und Sozialabgabenzahler erwirtschafteten finanziellen Mittel. Zudem wird ein Großteil dieser Gelder von der Bürokratie verbraucht. Die FDP hat deshalb das Liberale Bürgergeld als Alternative zu den derzeit von 45 Behörden verwalteten 138 verschiedenen Sozialleistungen vorgeschlagen. Darin sollen möglichst alle steuerfinanzierten Sozialleistungen zu einem Universaltransfer zusammengefasst werden.

Frage: Vor der Bundestagswahl 2009 stellte sich die FDP als Partei für alle Deutschen dar. Davon ist – und daran sind sicher nicht die Medien schuld – nichts mehr zu spüren. Inzwischen hat man den Eindruck die real existierende FDP spielt wieder die alte Melodie von der „Partei der Besserverdienenden“. Wurde eine notwendige Debatte über den Sozialstaat Deutschland mit einseitigen Inhalten geführt ?

Thomas Heldberg: Diese Kritik teile ich überhaupt nicht. Gerade für Familien mit kleinen Einkommen und Hartz IV-Empfänger hat die FDP sich sofort in der christlich-liberalen Regierung eingesetzt. Statt wie die Große Koalition zu Beginn ihrer Amtsperiode die Mehrwertsteuer um drei Prozent zu erhöhen, hat die FDP sich für die Erhöhung des Kindergeldes (4,2 Milliarden Euro) zum 1. Januar stark gemacht und Familien in der aktuellen Wirtschaftskrise zusätzliche finanzielle Spielräume gegeben.
Michael Schmitz, FDP-Kreisvorsitzender, inmitten einiger JuLis aus M-V.
Zudem wird das Hartz-IV-Schonvermögen auf 750 Euro pro Lebensjahr verdreifacht, um die im langjährigen Erwerbsleben angesparte Altersvorsorge der von Langzeitarbeitslosigkeit bedrohten Arbeitnehmer abzusichern. Die Menschen sollen aus unserer Sicht bei einem Schicksalsschlag eben nicht alles verlieren, was sie in ihren Arbeitsjahren für die Rente zurückgelegt haben.

Auch hier gilt: Leistung muss sich lohnen und wer arbeitet muss mehr haben bzw. davon behalten dürfen, als derjenige der nicht arbeitet. Selbst dieser absolut notwendige Schritt ist jahrelang am Widerstand der SPD in der Regierung gescheitert.

Frage: „Gleichmacherei“ wirft die FDP den Kritikern der von der FDP angestoßenen  „Hartz IV“- und damit Sozialstaats-Debatte vor. Betreibt die FDP nicht aber auch „Gleichmacherei“ hinsichtlich der Schicksale einzelner Hartz IV-Empfänger ?

Es gibt doch genügend Beispiele – angefangen vom engagierten Arbeitnehmer um die 60, der nach einer Firmen-Insolvenz mit 58 entlassen wurde aufgrund seiner „Alters“ keine Tätigkeit mehr findet, bis hin zum DDR-Widerständler, dessen Gesundheit vor der Wende ziemlich ruiniert wurde und ebenfalls in seinem Beruf dadurch keine Arbeit findet.

Muß sich die FDP nicht die deutliche Kritik von vielen Seiten gefallen lassen, da sie subtil unterstellte, dass Hartz IV-Empfänger potentielle „Drückeberger“ sind, die selbst schuld an ihrem Dasein sind ?

Thomas Heldberg: Alle von Ihnen genannten Personen haben trotz unterschiedlichster Schicksale eines gemeinsam: sie stecken in der Sackgasse Hartz IV fest. Die Große Koalition hat zudem die Rente mit 67 Jahren beschlossen, so dass ältere Menschen trotz langjähriger Arbeitsvita, die plötzlich von Langzeitarbeitslosigkeit betroffen sind, zukünftig in der Grundsicherung mit allen negativen Folgen ausharren müssen, anstatt flexibel in Rente gehen zu können.

Auch hier hat die FDP einen fairen Gegenvorschlag unterbreitet, der statt Gleichmacherei zu betreiben, die Lebensleistung des Einzelnen für sich und für die Gesellschaft stärker Dr.Guido Westerwelle, FDP-Bundesvorsitzender, Außenminister und Vize-Kanzler. Vom historischen Wahlerfolg 2009 zur Hartz IV-Debatte 2010.berücksichtigt.

Guido Westerwelle hat mit seiner Kritik am System der Sozialstaats-Bürokratie die Art von Politik angegriffen, die das Heil des Sozialstaates ausschließlich in seiner finanziellen Ausweitung sehen, ohne dessen Effizienz und Nachhaltigkeit für die Betroffenen zu hinterfragen und die Auswirkungen auf sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu beachten. Das System hat doch seine Bodenständigkeit verloren, wenn derjenige, der sozialversicherungspflichtig arbeitet, am Monatsende weniger hat, als derjenige der nicht arbeitet.

Frage: Was in der aktuellen Debatte vermisst wird, sind die Lösungsansätze. Wie kann es nach Ihrer Meinung gelingen, Arbeitssuchende, die schon ALG II empfangen, wieder dauerhaft in „Lohn und Brot“ zu bringen ?

Thomas Heldberg: Diese Herausforderung ist nicht einfach, besonders nicht in Mecklenburg-Vorpommern. Wir sind ein Dienstleistungs-, Landwirtschafts- und Tourismusland, in dem derzeit die wichtigste Industrie, die Werften, aufgrund der Wirtschaftskrise und fehlender Aufträge in Existenznot sind, große Investoren, wie DONG Energy wegen mangelnder politischer Unterstützung das Handtuch werfen und gut ausgebildete Jugendliche nach wie vor in andere Bundesländer oder ins Ausland abwandern.

Dr.Silvana Koch-Mehrin schaffte als FDP-Spitzenkandidatin 2009 das beste Wahlergebnis der FDP bei einer Europawahl.Für langfristig mehr dauerhafte und sozialversicherungspflichtige Beschäftigung im Land brauchen wir dringend Wirtschaftswachstum und vor allem Industrieansiedlungen. Ich rechne auch mit weiteren Festeinstellungen zu verbesserten Konditionen in der Tourismusbranche durch die Mehrwertsteuersenkung.

Die FDP will, dass für jeden arbeitsfähigen Hilfeempfänger die Aufnahme von Arbeit möglich, notwendig und attraktiv ist. Dazu wird derzeit neben dem bestehenden (nicht bedingungslosen) Liberalen Bürgergeld beispielsweise die Ausweitung von Hinzuverdienstmöglichkeiten zum ALG II und ein nur schrittweiser Anstieg von Sozialbeiträgen für Geringverdiener diskutiert.

Frage: Wie beurteilen Sie selbst die Sozialstaatsdebatte Ihres Parteivorsitzenden ?

Thomas Heldberg:
Unabhängig von der Angemessenheit bestimmter Vergleiche in der Wortwahl von Guido Westerwelles ist es aus meiner Sicht wichtig und richtig, dass endlich über die Ausgestaltung und vor allem über die Treffsicherheit des in seiner Geschichte noch nie so gut wie heute finanzierten Sozialstaats debattiert wird und politische Konsequenzen für die Zukunft daraus gezogen werden.

Christian Ahrendt, der FDP-Landesvorsitzende M-V und Schweriner Bundestagsabgeordnete.Bei der Debatte auf keinen Fall unter den Tisch fallen darf aber die gleichzeitig notwendige Wertediskussion auch am anderen Ende der Gesellschaft. Es ist skandalös, wenn einige Millionäre sich ihrer Verantwortung für die Gesellschaft durch Steuerflucht entziehen, einige Arbeitgeber sittenwidrige Hungerlöhne auf Kosten der Abgabenzahler zahlen und (Landes-)Banker sowie angestellte Manager in Kapitalgesellschaften Boni und Millionenabfindungen trotz Versagens und fehlender Nachhaltigkeit ihrer Entscheidungen erhalten können.

Aber auch hier hat Westerwelle in der Vergangenheit, z.B. bei seiner Rede im letzten Jahr auf dem Schweriner Rathausmarkt, bereits deutliche Worte gesprochen.

Die Fragen stellte: Marko Michels.

Fotos:

1. Thomas Heldberg:FDP/MV
2. Michael Schmitz: FDP/MV
3. Dr.Guido Westerwelle: FDP/MV
4. Dr.Silvana Koch-Mehrin: S.Koch-Mehrin
5. Christian Ahrendt: Christian Ahrendt/FDP

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