Aber Schweriner „radelten mit“
ARD und ZDF ziehen sich von den Live-Übertragungen der „Tour de France“ zurück – vor dem Hintergrund neuer Dopingfälle im Straßenradsport, wobei der „Fall Stefan Schumacher“ die prominentestes Enthüllung darstellt.
Eine ganze Sportart am Pranger, nur weil – wie in vielen anderen Sportarten auch – es mal mehr oder weniger Doping-Sünder gibt …
Damit wird auch seitens der öffentlich-rechtlichen TV-Anstalten jedes Augenmaß verloren. Nicht, weil die „Tour de France“ nicht mehr live gesendet wird, auf die kann man wirklich verzichten, sondern weil – durch undifferenziertes Bewerten der jüngsten Ereignisse im Radsport – auch potentielle Sponsoren für diese alte Sportart abgeschreckt werden und letztendlich jene darunter leiden, die für die Doping-Praktiken nicht verantwortlich sind: die Nachwuchs-Sportler und die vielen ehrlichen Leistungssportler.
Ein echtes Vorbild für sauberen, aufrichtigen Radsport ist auch der Schweriner Stefan Nimke, der kürzlich bei den Olympischen Spielen 2008 in Peking Bronze im Teamsprint gewann, und bereits 2000 mit Silber im 1000 Meter-Zeitfahren sowie 2004 mit Gold im Teamsprint und Bronze im 1000 Meter-Zeitfahren olympisches Edelmetall erkämpfte.
Auch im Radsport gibt es – trotz aller Negativmeldungen – noch „echten Sport“ mit ehrlichen „Sportsmännern“ und „Sportsfrauen“.
Vor 190 Jahren jedenfalls „erfand“ – offiziell – ein Freiherr zumindest so etwas „Ähnliches“ wie ein Fahrrad, und dieses Gefährt überstand blaublütige, braune oder ultrarote Zeiten letztendlich ebenso wie es übrigens auch im Hinblick auf die aktuellen Dopingvergehen sein wird ..
Und Schwerinerinnen und Schweriner radelten seitdem „immer vorne mit“ 😉
Geburtsstunden des organisiertes Radsportes in Deutschland und in Schwerin
Die Geburtsstunde des Radsportes allgemein schlug mit dem Patent, das sich Freiherr von Drais 1818 auf seine Maschine, ein Sitzgestell mit zwei Laufrädern, das man mit den Füßen in Bewegung setzte, geben ließ. Aus dieser „Lauf- und Rollenmaschine“ wurde das Fahrrad, zunächst das Hochrad, dann, mit der Erfindung der Antriebsverlegung auf das Hinterrad, das Niederrad, und wiederum mit der Erfindung des Luftreifens das moderne Fahrrad.
Im Jahr 1869 wurde in Deutschland das erste „Veloziped-Wettreiten“ veranstaltet – genau am 10.09.1869 in Altona. Das war kein Zufall, denn dort entstand auch als erster deutscher Radfahrverein der „Altonaer Bicycle-Club“.
Elf Jahre später – 1880 – wurde in München die erste Radrennbahn errichtet bzw. ebenfalls das erste Bahnrennen auf deutschem Boden veranstaltet.
Mit Gründung des „Deutschen Radfahrerbundes“ 1884 und der Eröffnung der ersten Berliner Radrennbahn fanden noch im gleichen Jahr die ersten deutschen Meisterschaften im Radsport statt.
Das erste deutsche „Radsport-Idol“ war der Frankfurter August Lehr (1871-1921). Er gewann die internationalen Meisterschaften des Jahres 1889 in London, die auf deutschem Antrag hin als Weltmeisterschaft anerkannt wurden. Auf dem Hochrad setzte sich Lehr gegen die favorisierten Engländer durch. Als Amateur setzte er sich noch im Jahr 1894 bei der WM in Antwerpen gegen den Holländer Jaap Eden durch, der noch ein Jahr zuvor Weltmeister im Eisschnellauf geworden war. 1894 triumphierte Lehr allerdings auf dem Niederrad. Noch Jahre später gehörte August Lehr zu den besten Berufsradfahrern auf der Welt.
Dem Vorbild Lehrs wollten auch einige Schweriner nacheifern … Im Jahr 1886 wurde der „Schweriner Radfahrverein“ unter maßgeblicher Initiative von Karl Gundlach, einem Kaufmann, gegründet. Am 23./24.Juni 1888 feierte der Verein mit der „Vereinigung der Mecklenburgischen Radfahrer“ sein Stiftungsfest. Insbesondere Radsportveranstaltungen bzw. – darbietungen auf dem Hochrad gehörten zum Repertoire dieses Vereines.
In der „Vereinigung der Mecklenburgischen Radfahrer“ schlossen sich die Radvereine aus beiden Teilen Mecklenburgs zusammen; diese schloß sich dem „Deutschen Radfahrerbund“ an. Allerdings trat die „VMR“ bereits 1892 aufgrund organisatorischer Querelen wieder aus diesem deutschen Radsport-Dachverband aus.
Innerstädtische Radsport-Konkurrenz
Im Jahr 1896 erhielt der „Schweriner Radfahrverein“ innerstädtische Konkurrenz: Es gründete sich der Radfahr-Verein „Greif zu“. Dieser erhielt mit dem Möbelfabrikanten Schultz seinen ersten Vorsitzenden. Im darauffolgenden Jahr lud der neue Verein sogar den Großherzog zum ersten Stiftungsfest ein. Dazu übermittelte der Vorsitzende Schultz in einem Schreiben vom 2.September 1897 folgendes: „ … Am Sonntag, den 5.d.Mts. feiert der Radfahrer Verein „Greif zu“ zu Schwerin sein erstes Stiftungsfest und erlaubt sich der unterzeichnete Vorstand Eu.(re) Hoheit, als den Protektor und Förderer des Sports zu den am Nachmittag vier Uhr auf der Chau(s)see bei Wiligrad stattfindenden Radwettfahrten ganz ergebenst einzuladen.
Eurer Hoheit gestatten wir und gleichzeitig die alleruntertänigste Bitte zu unterbreiten, dem Verein zu seinem Fahren um die Greifenmeisterschaft des Vereins einen Ehrenpreis, vielleicht in Form einer Greifennadel, zu stiften. Indem wir uns der angenehmen Hoffnung einen gütigen b(B)escheid zu erhalten, hingeben, verlassen wir Eu.(re) Hoheit alleruntertänigst treu gehorsamster Vorstand, i.A. H.Schultz, Vorsitzender, Marienplatz 2 …“
Ein weiterer Schweriner Radfahr-Verein wurde 1899 gegründet – der Verein „Wanderer“. Einige Schweriner Radsport-Anhänger, unter ihnen der Fahrradhändler Waldemar Haberecht, versuchten nach dem Austritt der „Vereinigung Mecklenburgischer Radfahrer“ aus dem „Deutschen Radfahrerbund“ einen neuen Radsport-Verein zu konstituieren, um mit diesem dem „DRB“ wieder beitreten zu können … Am 9.Oktober 1899 erfolgte dann letztendlich unter Führung des Schweriner Altmeisters im Radsport, Clemens Haberecht, die erstrebte Gründung des Vereins „Wanderer“, dem die Mitglieder von „Greif zu“ ebenfalls beitraten.
Der Schweriner Drogist Theodor Taddiken leitete in der Folgezeit als erster Vorsitzender diesen Verein bis 1932.
In den Jahren 1899 bis 1930 verzeichneten die „Wanderer“ eine äußerst positive Entwicklung. Bereits ein Jahr nach seiner Gründung gelang es ihm, in der kleinen mecklenburgischen Stadt Brüel in der Konkurrenz im „Korso“ den ersten Rang zu erkämpfen. Gerade in den ersten Vereinsjahren erlangten die „Wanderer“ auch bei zahlreichen auswärtigen Wettkämpfen erste Preise, so z.B. im „Korso- und Schulreigen“ bzw. bei Einzel- und Mannschaftsrennen. Im aufkommenden Saalradsport dominierte der „RVW“ ebenfalls in Mecklenburg. So nahm für den Verein im Jahr 1902 eine aus 8 Teilnehmern bestehende Niederradkunstreigen-Mannschaft an einer regionalen Konkurrenz in Goldberg teil und belegte bei ihrem Debüt überraschenderweise einen ersten Platz. Dieser Triumph brachte einen Aufschwung für den Saalradsport innerhalb des „RVW“. Neben dem Reigenfahren wurde deshalb auch das Radballspiel eingeführt. In Folge dessen schaffte sich der Verein 1906 8 Saalmaschinen an, die aufgrund ihrer Technik sowohl zum Reigenfahren als auch für das Radballspiel geeignet waren.
Erfolge und andere Herausforderungen
Zahlreiche sportliche Erfolge verzeichneten die „Wanderer“ zudem in der Folgezeit. So konnte der Senatspreis der Stadt Bremen im 8er Niederradkunstreigen (Klasse B) und der erste Preis auf den Vereins-Dauerfahrten nach Bremen gewonnen werden. Des weiteren wurden Einzel-Dauerfahrten zu den Bundestagen des „Deutschen Radfahrer-Bundes“ nach Stettin, Braunschweig, Görlitz und München unternommen, bei denen die Radfahrer des „RVW“ auch glänzend abschnitten.
Regionale Straßenrennen wurden damals auf den Strecken Schwerin-Crivitz und Schwerin-Friedrichsthal ausgetragen – oftmals unter Beteiligung zahlreicher Vereine des „DRB“.
Überhaupt nahm der „RVW“ rege am nationalen Verbandsleben teil: So starteten die „Wanderer“ beispielsweise bei den Veranstaltungen in Stettin, Bremen, Görlitz, München, Franfurt/M., Hamburg und Braunschweig.
Im Herbst 1908 mußte der „RVW“ allerdings einen herben materiellen Rückschlag hinnehmen. Durch einen Brand im früheren Vereinsheim, der „Flora“, wurden sämtliche Saalmaschinen vernichtet, so daß sich der Verein neue Maschinen kaufen mußte, was die „RVW“-Kasse äußerst belastete.
Dank Eigen-Initiative, aber auch durch finanzielle Hilfe der Stadt Schwerin sowie des Großherzogs konnte der Verein acht neue Saalmaschinen erwerben.
1909 erhielten die „Wanderer“ innerstädtische Konkurrenz, den Radsport-Klub „Sport“, der allerdings nicht die Bedeutung und Resonanz wie vorher der „RVW“ oder „Greif zu“ erreichte.
Infolge des ersten Weltkrieges wurde die Sport-Tätigkeit des Vereins zwischen 1914 und 1918 unterbrochen. Zwei Vereins-Mitglieder des „RVW“ starben auf dem Schlachtfeld.
Die schwierige wirtschaftliche und soziale Lage nach Kriegsende hatte auch auf die Vereinsarbeit der „Wanderer“ negative Auswirkungen. So reiste der Verein nach 1918 nur bedingt zu auswärtigen Wettkämpfen.
Am 14.9.1919 konnte – trotz der angespannten Finanzlage – radsportliche Vorführungen in der Tonhalle in Schwerin veranstaltet werden. Ein weiterer organisatorischer Höhepunkt im radsportlichen Bereich der Nachkriegszeit war ebenfalls das Saalsportfest der Schweriner Radsport-Vereine in den Stadthallen 1921/22.
Eine deutlich positivere Entwicklung für den „RVW“ war erst nach 1923 zu verzeichnen: So richtete der „RVW“ eine eigene Jugendabteilung ein und rechtzeitig zum 25jährigen Vereinsjubiläum überreichte der Vereinsvorstand dem ersten Fahrwart noch weitere sechs moderne Saalmaschinen.
Im Jahr 1924 wies der „RVW“ auch einen erfreulichen Mitgliederbestand auf. 12 unterstützende, 75 ausübende Mitglieder und 6 jugendliche Mitglieder vertraten die „Wanderer“.
Weitere Aktivitäten
Neben dem Rennsport widmete sich der „RVW“ in jenen Jahren – wie erwähnt – dem Kunstreigen-, Schulreigen- und Radballsport.
Die „magische Zahl“ von 100 erreichten die Wanderer in puncto Mitgliederbestand im Jahr 1926: 73 aktiven Mitgliedern bzw. 5 jugendlichen Mitgliedern standen 22 passive Mitglieder gegenüber.
Angesichts des erfreulichen Zuwachses an neuen Mitgliedern sowie aufgrund weiterer sportlicher Erfolge feierte der Verein seine 25jährige Zugehörigkeit zum „Bund Deutscher Radfahrer“ in den Sälen der Stadthallen zu Schwerin in „ausgelassener Stimmung“.
Ab 1932 wurde der Verein von Richard Schröder übernommen. Dieser setzte die Tradition des Saal- und Rennsportes in Schwerin weiter fort.
Der Radsport hatte sich in der mecklenburgischen Landesmetropole fest etabliert und „führte“ letztendlich zu den vier Olympia-Medaillen des Stefan Nimke.
Marko Michels
(siehe Chronik M.Michels „Die Entwicklung des Schweriner Sportes von 1850 bis 1933“, mit Dokumenten und Fotos, Stadtsportbund Schwerin, Schwerin 2000)
F.: 1., 4. und 5.: Schwerins Rad-Ass Stefan Nimke (M.M.). / 2.Foto: Deutschlands Rad-Idol August Lehr auf dem Hochrad. (DOG). / 3.Foto: Triathlon ohne Radfahren – ein absolutes NO GO. (M.M.).