Vor 60 Jahren: Schwerins Bürgermeister Kruse abgesetzt

Der Name des Sozialdemokraten Albert Kruse steht für Aufbruch und Resignation der mecklenburgischen Landeshauptstadt Schwerin gleichermaßen.
Sein bewegtes, politisches Leben mit harten Schicks Rückschlägen und neuen Hoffnungen ist ein mecklenburgisches Schicksal des 20. Jahrhunderts, das so viel Leid und zugleich auch so viel Zuversicht vermittelte.

Geboren wurde Albert Kruse als Arbeitersohn am 11. Oktober 1895 in Mühlenhof/Kreis Parchim. Trotz hervorragender schulischer Ergebnisse war es ihm nicht vergönnt, ein Studium aufzunehmen. Das Geld der Eltern reichte nicht – und so entschloß sich der junge Albert für eine Lehre als Schuhmacher, die er 1913 bendete.

Früh engagierte er sich politisch, so trat er bereits 1913 der SPD und den „Freien Gewerkschaften“ bei. Die zunehmende Verelendung der Arbeiterschaft und der stetig zunehmende Reichtum einer kleinen Führungsschicht verbitterten den noch nicht volljährigen Albert Kruse. Dennoch war er kein Revolutionär, sondern eher ein Reformer, der an ein „friedliches Hineinwachsen“ in eine sozialere und gerechtere Gesellschaft glaubte. August Bebel, der legendäre SPD-Führer, wurde sein großes Vorbild.

Doch Albert Kruse war mehr als ein integrer Sozialdemokrat – er war auch ein deutscher Patriot. So entschloß sich Albert Kruse – trotzmancher Vorbehalte in seiner politischen Umgebung – 1915 freiwillig in den Kriegsdienst zu treten. Nach mehr als zwei Jahren wurde er 1917 – nach einer Verwundung – alsKriegsbeschädigter ehrenhaft aus der Armee entlassen. Kruse war zu 80 Prozent ein Invalide und konnte nur bedingt einer Arbeit nachgehen – ein Zustand, unter dem er besonders litt. Nachdem die Monarchie in Deutschland 1918 zusammenbrach und unter dem Druck der revolutionären Arbeiter/Soldaten die Republik ausgerufen wurde, ergaben sich für Albert Kruse neue Herausforderungen.

Aufgrund seiner immensen politischen Erfahrungen und seines herausragenden Intellekts trat er 1919 in den Staatsdienst. Daneben blieb er jedoch aktiver Sozialdemokrat und Gewerkschafter. Von 1926 bis 1932 war Kruse Mitglied der SPD-Fraktion im Schweriner Landtag. Seine Rededuelle gegen die plumpen und beleidigenden Angriffe der kommunistischen Abgeordneten um von Meyenburg und Wenzel sowie der Nationalsozialisten um um Hildebrandt und Steinfatt wiesen eine glänzende Argumentation und Rhetorik auf. Für Kruse waren „Nationalsozialismus und Kommunismus zwei Seiten der gleichen Medaille, des Totalitarismus“.

Nach dem Machtantritt der Nazis 1933 begann auch für Albert Kruse ein harter Leidensweg. Der Patriot und soziale Demokrat Albert Kruse galt nun als „Vaterlandsverräter“, als „Krimineller“: Er wurde aus dem Staatsdienst entlassen und mußte sich als Inhaber einer Pension in Schwerin-Mueß die Existenz sichern. Als „stark Verdächtiger“ wurde Kruse von den Nationalsozialisten intensiv überwacht; 1944 erfolgte sogar eine Internierung im Zuchthaus. Sein großer Lebenswille bzw. großes Demokratieverständnis ließen Kruse auch die Jahre der „braunen Diktatur“ überleben.
Der Zusamenbruch des Nationalsozialismus bestätigten Kruses Auffassung, dass Freiheit, Menschlichkeit und soziale Gerechtigkeit sich nach erbittertem Kampf gegen jede Form der Diktatur durchsetzen können. Albert Kruse gehörte nach 1945 zu den Mitbegründern der Schweriner SPD, wobei er als Stadtrat und Bürgermeister Schwerins ab Juni 1945 entscheidend mithalf, die Not der Bevölkerung zu lindern. Eine allzu enge Zusammenarbeit oder gar Verschmelzung mit der kommunistischen Partei lehnte er erbittert ab. Noch während der „Weimarer Republik“ hatten die Kommunisten mit ihren demagogischen Kampagnen, in denen die Sozialdemokraten mit „Sozialfaschisten“ gleichgesetzt wurden, die SPD bekämpft und verleumdet – eine Tatsache, die Kruse den Kommunisten nie verzieh.

Als Anhänger des SPD-Vorsitzenden der Westzonen, Dr.Kurt Schumacher, prophezeite Kruse einen Untergang der SPD in einer Einheitspartei mit den Kommunisten. Doch Druck und Einfluß der russischen Besatzungsmacht und der KPD-Landesleitung unter Gustav Sobottka, Bernhard Quandt und Kurt Bürger erzwangen die Vereinigung der beiden Parteien 1946, die nichts anderes bedeutete, als die Liquidierung der SPD. Kruse sah sich, wie nach 1933, wiederum gezwungen, gegen eine totalitäre Gesellschaftsform zu kämpfen – dieses Mal gegen die „rote Diktatur“ der Stalinisten. Albert Kruse wurde Mitarbeiter des SPD-Ostbüros der SPD und hielt Kontakt zur SPD-nahen Zeitung „Telegraf“ in Berlin (West), für die er – unter Pseudonym – auch Artikel über die Mißstände und die Stalinisierung der Gesellschaft in Mecklenburg verfaßte.

Nach einer Denunziation eines kommunistischen Spitzels, der Kruses Tätigkeit für das SPD-Ostbüro der SED-Landesleitung meldete, verlor er seine Arbeit als Stadtrat und Bürgermeister bei der Schweriner Stadtverwaltung Ende 1947 und wurde als „Schumacher-Agent“ und wegen praktizierten „Sozialdemokratismus“ bzw. Kontakten zum SPD-Ostbüro aus der SED 1948ausgeschlossen sowie beruflich und sozial isoliert. 1950 zog er dann die persönlichen Konsequenzen, da auch eine Verhaftung seiner Person nicht ausgeschlossen werden konnte, und flüchtete nach westdeutschland. In der Bremer Verwaltung fand Albert Kruse dann eine neue berufliche Tätigkeit.

Hintergrund – das SPD-Ostbüro

Für die Sozialdemokraten in der sowjetischen Besatzungszone allgemein wie in Mecklenburg und Vorpommern speziell endete im April 1946 die politische und organisatorische Selbständigkeit nach dem zweiten Weltkrieg. Hatten viele Sozialdemokraten zwischen Mecklenburg und Sachsen nach 12 Jahren Unterdrückung und Verfolgung durch die Nationalsozialisten auf einen demokratischen Neubeginn gehofft, so wurden ihre Erwartungen durch das diktatorische Verhalten der KPD und russischen Militär-Administration schnell enttäuscht. Die erzwungene Vereinigung 1946 bendete die kurze, ganze 10 Monate umfassende, Eigenständigkeit der SPD in der sowjetischen Besatzungszone.

Peter Schulz, Regierender Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg a.D. und Sohn von Rostocks Oberbürgermeister von 1946 bis 1949 Albert Schulz, der selbst ein Gegner der Vereinigung war, 1947 wegen seiner sozialdemokratischen Gesinnung inhaftiert wurde und 1949 wegen einer erneut drohenden Verhaftung nach Westdeutschland floh, äußerte sich in seinen Erinnerungen zu den damaligen Ereignissen wie folgt:

“ … Wer als Historiker nachvollziehen will, wie damals der Druck ausgeübt wurde, wie er sich konkret auswirkte, wie die Gedrängten versuchten, ihm zu entgehen, oder sich ihm widersetzten, ist heute, in einer schwierigen Lage. Er muß versuchen, die Situation nachzuvollziehen, in der die Sozialdemokraten sich damals in Magdeburg, Leipzig und Rostock befanden.

Um es mit einem Bild aus der Leichtathletik auszudrücken: Sie waren in der Lage des Langstreckenläufers, dem irrtümlich vor dem wirklichen Ende der Strecke das erlösende Signal `letzte Runde` gegeben wird, und dem dann kurz vor Ende dieser Runde signalisiert wird, dass das leider ein Irrtum gewesen sei, dass das mörderische Rennen weitergehe.

Die Sozialdemokraten in Ostdeutschland hatten wie ihre Freunde in westdeutschland geglaubt, nach dem Ende der Nazizeit `durchatmen`zu können, es hinter sich zu haben – die Anspannung wich der Erlösung; und sehr bald wurde ihnen signalisiert, dass sie noch einmal ihre Freiheit einsetzen mußten, um ihren Idealen treu zu bleiben, dass der weg aus Bautzen zum Weg nach Bautzen werden würde, dass ihre Frauen wieder auf lange Zeit Angst um sie haben mußten, dass das Klingeln um 5 Uhr morgens nicht den Milchmann, sondern wieder die Männer in den Ledermänteln ankündigen würde …“.

Doch die mitteldeutschen Sozialdemokraten wie die SPD-Führung in den Westzonen um Kurt Schumacher wollten sich mit der Liquidierung der SPD in der sowjetischen Besatzungszone nicht abfinden.

So plante Schumacher – auf alte Traditionen der SPD während des Wilhelminismus und Nationalsozialismus zurückgreifend – bereits im Februar 1946, zwei Monate vor der Zwangsvereinigung, eine Widerstandsorganisation gegen die drohende kommunistische Diktatut einzurichten.

Der spätere Leiter des SPD-Ostbüros, Stephan Thomas, meinte zur Gründung: „Das Ostbüro wurde unter der direkten Leitung des SPD-Vorsitzenden Kurt Schumacher geschaffen und sollte als Instrument der SPD für die kommende Auseinandersetzung gegen den kommunistisch-stalinistischen Machtanspruch in ganz Deutschland dienen.“
Der letzte Leiter des SPD-Ostbüros (bis 1971) war übrigens der vor vier Jahren verstorbene Helmut Bärwald.

Widerstand gegen die kommunistische Diktatur auch in anderen Parteien

Widerstand gegen die drohende kommunistiche Diktatur nach 1945 gab es auch in den anderen Parteien.
Hans Krukenmeyer, der stellvertretende CDU-Vorsitzende in Mecklenburg, Siegfried Witte, nach 1946 mecklenburgischer Wirtschaftsminister, oder Werner Jöhren, nach 1946 CDU-Fraktionsvorsitzender im Schweriner Landtag und späterer Leiter des CDU-Ostbüros, mußten für ihren demokratischen Einsatz nach dem Krieg ebenfalls zahlreiche Schikanen durch die sowjetische Besatzungsmacht und die SED-Machthaber hinnehmen.

In der Liberal-Demokratischen Partei gehörten Arno Esch, der junge liberale Hoffnungsträger nach 1945, und der Jurist sowie Vorsitzende der LDP-Ortsgruppe Rostock, Paul Friedrich Scheffler, zu den Protagonisten liberal-demokratischer Politik in M-V nach 1945. Arno Esch mußte für seinen demokratischen Einsatz sogar sein Leben lassen …

 

Text: Marko Michels

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