Vor der Bundestagswahl: Dr.Harald Terpe (Bündnis`90/Die Grünen) zu möglichen Koalitionen und grüner Politik

Schwerin-News befragte den Bundestagsabgeordneten aus Rostock

Die Wurzeln der Grünen Partei liegen in der Umweltbewegung in der DDR, die insbesondere in den 1980er Jahren aufgrund der exorbitanten Umweltverschmutzung zwischen Mecklenburg und Sachsen entstand. Im revolutionären Wende-Herbst gründete sich dann eine Grüne Partei am 24.November 1989, nachdem sich die Grünen in der DDR bereits am 5.November mit einem Gründungaufruf an die Bevölkerung wandten.

Der Zusammenschluss mit Bündnis 90 erfolgte einen Tag nach der Bundestagswahl 1990 (bis auf den Landesverband Sachsen).

Zwar hatten Bündnis 90/Die Grünen bei den Landtagwahlen in M-V seit 1990 einen schweren Stand, konnten zuletzt aber bei den Kommunalwahlen punkten: 5 Prozent auf Landesebene / 9,3 Prozent in Schwerin.
Insbesondere auf Bundesebene sind Bündnis 90/Die Grünen ein „heiß begehrter“ Koalitionspartner.

Schwerin-News stellte Dr.Harals Terpe, Bundestagsabgeordneter aus Rostock, aus Anlass der baldigen Bundestagswahl einige Fragen …

„Ökonomie und Ökologie gehören ganz einfach zusammen !“

Fragen an den Bundestagsabgeordneten, Dr.Harald Terpe, Jahrgang 1954, promovierter Mediziner, früherer Oberarzt am Uni-Klinikum Rostock

> Frage: Bündnis 90/Die Grünen sind im Aufwind, im Bund, in M-V und in Schwerin. Bei den Europawahlen konnte sich Ihre Partei als drittstärkste politische Kraft behaupten.

Mittlerweile können Sie ja zwischen Ampeln-, Jamaika-, Schwarz-Grünen-, Rot-Grünen- oder Rot-Rot-Grünen-Koalitionen wählen. Wie fühlt man sich als von allen Seiten Umworbener?

Dr.H.Terpe– Dr. Harald Terpe: Was nützen uns irgendwelche plötzlichen Liebeserklärungen, wenn dahinter nur wahltaktische Spielchen stehen? Wir wollen auch bei der Bundestagswahl drittstärkste Partei werden. Das schaffen wir nur, wenn wir klar für Inhalte stehen und diese Spielchen nicht mitmachen.

> Frage: Ihr eigentlich gewünschter Koalitionspartner im Bund, die SPD, kommt aus dem 25 Prozent-Ghetto nicht heraus. Wären Sie auch für „Jamaika“ offen ?

– Dr. Harald Terpe: Ich sehe dafür überhaupt keine Basis. Union und FDP wollen den Wiedereinstieg in die Atomkraft. Insbesondere die FDP blendet doch die Energiewende und den Klimaschutz völlig aus. Die betreiben reinen Lobbyismus.

Union und FDP beabsichtigen zudem in einer Zeit, in der die Belastungen für die öffentlichen Haushalte durch dramatische Steuerausfälle und steigende Sozialausgaben zunehmen, die Steuern zu senken. Allein die Vorschläge der Union kosten bis zu 50 Milliarden Euro.

Das wird zu Lasten der Schwächsten in unserer Gesellschaft gehen. Die FDP plakatiert zwar„Arbeit muss sich wieder lohnen“. Aber wenn man das ernst meint, dann darf man den Mindestlohn nicht ablehnen.

> Frage: In Mecklenburg-Vorpommern „geht“ es für Bündnis 90/Die Grünen allmählich „voran“. Wie beurteilen Sie die Lage in M-V für Ihre Partei?

– Dr. Harald Terpe: Es stimmt, die Kommunalwahlen haben uns ein gutes Stück vorangebracht. Vielen ist klar geworden, dass wir engagierte Leute vor Ort haben und dass Ökonomie und Ökologie einfach zusammengehören.

SGajekJSuhrKlimawandel, Wirtschaftskrise und Armut zeigen doch: Die Art, wie wir wirtschaften, führt zu katastrophalen Ergebnissen. Die Neoliberalen haben abgewirtschaftet. Wir werden aber weiter kontinuierlich daran arbeiten müssen, die Menschen von unseren nachhaltigen Konzepten zu überzeugen.

> Frage: Angenommen es reicht – „irgendwie“ – für eine Regierungsbeteiligung von Bündnis 90/Die Grünen im Bund. Welche Ihrer Forderungen müssten dann unbedingt erfüllt werden?

– Dr. Harald Terpe: Mir geht es nicht darum, dass es „irgendwie“ reicht. Es muss inhaltlich stimmen. Klar ist: Wir machen nicht den Steigbügelhalter für neoliberale Politik. Einen Wiedereinstieg in die Atomkraft wird es mit uns nicht geben. Klimaschutz, Bürgerrechte und Armutsbekämpfung müssen künftig absolute Priorität haben.

BGWir müssen mehr für ein gerechtes Bildungssystem tun und Familien mit Kindern stärken. Auch ein gesetzlicher Mindestlohn ist für uns wichtig.  Wir werden sehen, mit wem sich das realisieren lässt.

> Frage: Wir haben 2009 ein geschichtsträchtiges Jubiläumsjahr. Zuletzt sorgten die relativierenden Äußerungen des Ministerpräsidenten M-V, Erwin Sellering, zum Charakter der DDR und die Tatsache, dass rund 17000 ehemalige Stasi-Mitarbeiter im öffentlichen Dienst beschäftigt sind, für Diskussionen. Wie ist Ihre Meinung zum Charakter der DDR?

– Dr. Harald Terpe: Ich wende mich gegen jeden Versuch der Relativierung. Was Unrecht war, muss auch so benannt werden. Es gab in der DDR keine freien Wahlen, keine Gewaltenteilung, keine Meinungs- oder Versammlungsfreiheit, keine Möglichkeit zur kritischen Öffentlichkeit.

Da auch keine Verwaltungsgerichte existierten, waren die Menschen praktisch rechtlos gegenüber dem Staat. Dennoch müssen wir aufpassen, dass wir uns bei der Kategorisierung der DDR nicht in einer rein akademischen Debatte verrennen, die an den Menschen und ihren Erfahrungen vorbeigeht.

Viel wichtiger finde ich die ganz praktische Aufarbeitung. Da gibt es zum Beispiel, was den Geschichtsunterricht in den Schulen betrifft, noch erhebliche Defizite. Ich erlebe immer wieder, dass Schülergruppen, die mich in Berlin besuchen, so gar nichts über die DDR wissen.

> Frage: Wirtschafts- und Finanzkrise, Klima-Wandel, Steuerflucht, Dopingfälle, hohe Arbeitslosigkeit, Firmenpleiten, Bildungsnotstand, unzureichende Kinderbetreuung– das alles sind „Stichworte“ der zurückliegenden Monate, auch aus Deutschland. Ist die Welt noch zu retten, insbesondere mit Bündnis 90/Die Grünen?

– Dr. Harald Terpe: Die Krise ist Ausdruck einer Denkweise, die Ellenbogen und kurzfristige Profitinteressen über alles andere gestellt hat. Wir stehen an einer Zeitenwende und können es uns nicht leisten, so weiterzumachen wie bisher.

B90/Die GrünenDen Klimawandel erst wieder in guten Zeiten bekämpfen zu wollen, wäre genauso verantwortungslos, wie Menschen, die existenzielle wirtschaftliche Ängste haben, auf den nächsten Konjunkturaufschwung zu vertrösten und sie bis dahin allein zu lassen. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir GRÜNEN in dieser Situation die richtigen Antworten haben. Nur in unserem „Grünen Neuen Gesellschaftsvertrag“ verbinden sich Klima, Gerechtigkeit und Freiheit.

Die anderen Parteien spielen das gegeneinander aus. Ich sage: Alle drei gehören zusammen! Gerade in Zeiten der Krise wächst bei vielen Menschen das Bedürfnis nach Sicherheit. Umso wichtiger sind insbesondere verlässliche soziale Sicherungssysteme und ein soziales Netz, durch das niemand ins Bodenlose fällt. Dafür streiten wir insbesondere mit der Bürgerversicherung und unserer grünen Grundsicherung.

> Frage: Ihre Prognose für die kommenden vier Jahre …

– Dr. Harald Terpe: Das kommt darauf an, wie die Bundestagswahl ausgeht. Die Alternativen liegen klar auf dem Tisch. Geht es zurück zu den neoliberalen Rezepten von Westerwelle & Co., die uns in diese Krise geführt haben, dann wird der Klimawandel beschleunigt und die soziale Spaltung verschärft. Die nächsten vier Jahre werden ganz entscheidend.

Es wird auch finanziell sehr eng. Und die Frage stellt sich, wo wir die Prioritäten setzen. Verpulvern wir das Geld für Steuersenkungen oder investieren wir es nachhaltig in ein gerechtes Bildungssystem, in den Ausbau erneuerbarer Energien, in vernünftige Kinderbetreuung und nicht zu vergessen in den Schuldenabbau?

Die Fragen stellte: Marko Michels.

F.: 1.Dr.Harald Terpe, Bundestagsabgeordneter von Bündnis 90/Die Grünen aus M-V. H.T. / 2.Silke Gajek, Landesvorstandsprecherin von Bündnis 90/Die Grünen M-V. / 3.Jürgen Suhr, Landesvorstandssprecher von Bündnis 90/Die Grünen M-V. / 4.Landesgeschäftsstelle M-V von Bündnis 90/Die Grünen am Großen Moor in Schwerin. / 5.Bündnis 90/Die Grünen wurden bei der Europawahl 2009 drittstärkste politische Kraft in Deutschland.

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