Zwischen EURO-Krise und wirtschaftlichem Optimismus: Die Unternehmen in M-V

Nachgefragt bei der Vereinigung der Unternehmensverbände für M-V

Krisenstimmung, Angst um den Arbeitsplatz, EURO-Turbulenzen und Verarmung ganzer Bevölkerungsgruppen – kein Horror-Szenario aus irgendwelchen realsozialistischen Abhandlungen zur Entwicklung des „realen Kapitalismus“, nein, in den meisten Ländern der Europäischen Union leider eine traurige Tatsache, ob in Süd- oder Südosteuropa, ob auf den britischen Inseln oder selbst in einigen nordeuropäischen Staaten. Bedrückend ist dabei die hohe Jugendarbeitslosigkeit gerade in Portugal, Spanien oder in Italien.

Ist Deutschland, ist Mecklenburg-Vorpommern nun eine Insel der wirtschaftlichen Glückseligkeit. Glaubt man den bloßen Zahlen scheint die selbst verschuldete, globale Wirtschafts- und Finanzkrise an Deutschland vorbei gegangen zu sein. Die offizielle Arbeitslosigkeit in Deutschland beträgt rund 7,5 Prozent, jene in M-V rund 14 Prozent.

Alles in bester wirtschaftlicher Ordnung?!

Mit den offiziellen Zahlen und Statistiken ist das nur so eine Sache. Bereits der berühmte britische Premier und Literatur-Nobelpreisträger Winston Churchill meinte zu dieser Thematik: „Ich traue keiner Statistik, die ich nicht selbst gefälscht habe.“

Zwar hat Deutschland noch immer einen soliden Mittelstand – mittelständische Unternehmen und deren Azubis haben international einen hervorragenden Ruf und erhalten verdient nationale und internationale Preise für ihre Innovationen und Produkte – aber so unverwundbar ist die deutsche Wirtschaft auch nicht.

Vergessen werden gerade in den offiziellen Arbeitsmarkt-Statistiken auch diejenigen, die zurzeit keine nachhaltige Tätigkeit haben, die Empfänger von SGB II-Leistungen, die Ein-Euro-Jobber, die geringfügig Beschäftigten, die (unfreiwilligen) Vorruheständler, die noch im arbeitsfähigen Alter sind, die Umschüler (die oftmals nicht in gefragten Weiterbildungsmaßnahmen geparkt werden), die Scheinselbständigen und nicht zuletzt diejenigen, die zwar eine Arbeit haben, diese aber durch SGB II-Leistungen aufstocken lassen müssen. Rechnet man diese Menschen zur offiziellen Arbeitsmarktstatistik hinzu, ist die Lage hierzulande keineswegs „rosarot“.

Aber wie steht es nun um die Wirtschaft, die Unternehmen in MV? Nachgefragt bei Lothar Wilken, Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der Unternehmensverbände für M-V

„Augen auf bei der Berufswahl – und auch bei der Partnerwahl…“

Frage: Herr Wilken, die Wirtschaft in Deutschland, auch in M-V, trotzt der Krise. Jedenfalls geben das die offiziellen Zahlen her. Nach Ihrer unternehmerischen Ansicht: Wie ist die Situation der Unternehmen, speziell in M-V, wirklich?

Lothar Wilken: Tatsächlich ist die Stimmung der Unternehmen in Mecklenburg-Vorpommern für 2013 wieder optimistischer als die Wirtschaftsstimmung insgesamt in Deutschland. Die meisten unserer Firmen sind sehr gut aufgestellt, haben sich strukturell angepasst und in den Monaten der zurückliegenden Wirtschaftskrise gezielt weitere Märkte und Kunden gesucht. Initiative, Flexibilität und ein starkes Verantwortungsbewusstsein als Arbeitgeber kennzeichnen die Unternehmer im Land.

Dazu kommt, dass auch die Gewerkschaften in den schwierigen Zeiten ihren Beitrag geleistet haben. Sie haben den Betrieben nicht das Wasser abgegraben durch überzogene Lohnforderungen und damit geholfen, viele Arbeitsplätze zu sichern. Aber man muss auch sehen, dass wir vergleichsweise wenig exportierende Industrieunternehmen in Mecklenburg-Vorpommern haben.

Diese geringe Industriedichte macht die Wirtschat im Land zwar flexibler und weniger anfällig für krisenbedingte Konjunkturschwankungen. Gleichzeitig hat das aber insgesamt weniger Wertschöpfung zur Folge. Für Unternehmer, den Staat als Steuereinnehmer und Beschäftigte bedeutet das aber leider auch: Es gibt weniger Geld zum Verteilen.

Frage: Stichwort „Fachkräftemangel“… Wird mit diesem Begriff nicht eine Nachfrage signalisiert, die so gar nicht existiert. Gesucht werden doch rare Spezialisten aus den Bereichen Informatik, Biochemie, Ingenieurwissenschaften oder Elektronik sowie partiell in der Medizin/im Pflegebereich. Wie stellt sich die Nachfrage an Fachkräften in M-V konkret dar?

Lothar Wilken: Sie haben damit recht, dass das Fehlen von Ingenieuren besonders problematisch ist. Aber auch bei anderen Berufen, zum Beispiel im verarbeitenden Gewerbe – und dort insbesondere in allen metallverarbeitenden Bereichen – herrscht bereits heute ein Fachkräftemangel. Gesucht werden insbesondere Mechatroniker, Energie- u. Elektrofachleute. Insgesamt hat die Zahl offener Stellen, die der Bundesagentur für Arbeit in M-V gemeldet wurden, innerhalb des letzten Jahres um fast acht Prozent zugenommen!

Der Engpass drückt sich aber nicht nur in offenen Stellen aus. Immer häufiger können Aufträge nicht angenommen werden, weil zur Erfüllung der Auftragsbedingungen, wie Lieferzeiten oder Volumen, das notwendige Personal nicht gefunden werden kann. Das gilt auch für andere wichtige Branchen Mecklenburg-Vorpommerns.

Das Ernährungsgewerbe, die Gastronomie und Hotellerie sowie die breit aufgestellte Branche der Servicecenter suchen genau so dringend Fachkräfte wie der Gesundheits- und Sozialbereich, der Handel, sehr viele Dienstleister, das Transportgewerbe sowie der Garten- und Landschaftsbau. Wirtschaftlicher Aufschwung und demografischer Wandel befeuern auch in unserem Bundesland die Konkurrenz um gut ausgebildete Fachkräfte erheblich. Die Löhne steigen deshalb oft stärker als die Wirtschaftsleistung.

Frage: „Mindestlohn“, „Frauenquote“ und „Heimarbeit“ – auch das sollen Rezepte aus der Politik für mehr „Gerechtigkeit“ auf dem Arbeitsmarkt sein. Wie ist hier Ihre Meinung? Gerade, was die „Frauenquote“ betrifft, ist es doch meist so, dass Frauen nach wie vor eher „frauenspezifische“ Berufe wählen und für bestimmte Positionen daher gar nicht infrage kommen…

Lothar Wilken: Zum Mindestlohn haben wir eine eindeutige Position, die Sie nicht überraschen wird. Wir sind gegen einen gesetzlichen flächendeckenden Mindestlohn. Er würde viele Arbeitsplätze für Geringqualifizierte gefährden. Der Ausstieg aus der Arbeitslosigkeit wird erschwert. Die verheerende Wirkung von staatlichem Lohndiktat können wir in Frankreich mit seiner hochproblematischen Jugendarbeitslosigkeit beobachten.

Die Behauptung der Politik, dass Unternehmen absichtlich für gering qualifizierte Arbeit zu wenig zahlen, ist absurd. Löhne müssen immer aus der Wertschöpfung der entsprechenden Arbeit bezahlt werden. Daran führt kein Weg vorbei, es sei denn man will wieder zur Planwirtschaft zurück.

Deutschland wird von vielen Ländern beneidet um seine funktionierende Tarifpartnerschaft. Gewerkschaften und Tarifverbände handeln dabei Löhne und Gehälter in Kenntnis der ökonomischen Möglichkeiten von Betrieben und Branchen aus. Diese verfassungsrechtlich geschützte Tarifautonomie wird gegenwärtig von Politikern fast aller Parteien untergraben.

Dass wir das für unklug halten und nicht gutheißen, können Sie sich sicher vorstellen. Und da, wo Tarifverträge fehlen, können im Rahmen längst vorhandener rechtlicher Möglichkeiten, wie der Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen für ganze Branchen, tragfähige Lösungen gefunden werden. Wir brauchen also auch aus Rechtssicht keinen gesetzlichen Mindestlohn.

Thema Frauenquote…  Eine Quoten-Diskussion in Mecklenburg-Vorpommern gleicht einer abwegigen Phantom-Debatte. Damit kann man hier wenig anfangen. Die Frauen stehen, wie in anderen ostdeutschen Ländern, ganz selbstverständlich auf eigenen Beinen und tragen in ihren Berufen zum Familieneinkommen bei.

Der Anteil der Frauen in Führungspositionen ist hoch. Selbst der DGB hat in einer Untersuchung von 2011 den hohen Frauenanteil bei Führungskräften in Mecklenburg-Vorpommern belegt. Demnach gibt es in der ersten Führungsebene 30 Prozent Frauen und in der zweiten Führungsebene 47 Prozent. Das ist drei- beziehungsweise viermal höher als der deutsche Durchschnitt. Selbst der Frauenanteil bei Führungskräften im ostdeutschen Durchschnitt ist mit 30 und 44 Prozent etwas niedriger als bei uns.

Daher ist die lautstarke Quotenforderung aus unserer Sicht durchschaubarer Populismus, der leider auch vor der Bundes-CDU nicht Halt macht. Dass Bundesarbeitsministerin von der Leyen jetzt eine Frauen-Quote in das CDU-Wahlprogramm gehievt hat, wird von vielen kritisiert. Aus guten Grund, da solch starre Vorgaben nicht zu unserer sozialen Marktwirtschaft passen.

Die Unternehmen haben schon lange erkannt, dass Frauen in allen Bereichen stärker vertreten sein müssen. Aber wir haben tatsächlich ein Berufswahlproblem. Zu wenig Mädchen und junge Frauen wählen aus einem breiten Berufsspektrum. Noch entscheiden sich zu viele für eher traditionelle „Frauenberufe“. Wir arbeiten zusammen mit den Gewerkschaften beim jährlichen Girls‘Day und in vielen anderen Initiativen daran, das zu ändern.

Und wenn über geringere Chancen oder niedrigeres Einkommen von Frauen diskutiert wird, kann man nur raten: Augen auf bei der Berufswahl! Und fast möchte man ergänzen: Auch Augen auf bei der Partnerwahl, damit auch innerhalb der Familien eine gerechtere Lastenverteilung das berufliche Fortkommen von Frauen unterstützt. Deshalb ist der Ruf nach dem alles regelnden Staat und einer gesetzlichen Frauenquote unangebracht. Dagegen haben Unternehmen viel getan, um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu verbessern.

Fast alle Firmen bieten flexible Arbeitszeitmodelle und vielfältige Programme an, um Frauen auf dem Weg nach oben zu unterstützen.
So helfen Mentoring und Patenschaftsprogramme, aber auch flexible Tages- und Wochenarbeitszeit, Vertrauensarbeitszeit oder Tele-Arbeit. Der demografische Wandel und der zunehmende Fachkräftemangel werden diese Entwicklung weiter beschleunigen. Auch das spricht eindeutig gegen eine starre gesetzliche Frauenquote.

Frage:  Einige Worte zu den Azubis… Viele Auszubildende nehmen einerseits mit großem Erfolg an bundesweiten Vergleichen teil, gewinnen Preise und erhalten Auszeichnungen. Andererseits wird der Ausbildungsstand vieler Lehrlinge – nach dem Schulabschluss – seitens der Unternehmen bemängelt. Wie stellt sich die Situation real dar?

Lothar Wilken: Sie sprechen ein bei Unternehmern heiß diskutiertes Thema an. Die Anforderungen an die Ausbildungsfähigkeit junger Leute steigen. Rasanter technologischer Fortschritt in fast allen Wirtschaftsbereichen erzwingt geradezu gute Schulabschlüsse. In der Industrie spricht man schon von einer neuen technologischen Revolution, von „Industrie 4.0“, also einer Informatisierung der klassischen Industrie. Das mag für unsere mittelständisch geprägte Wirtschaft im Land noch futuristisch klingen, zeigt aber, wo der Trend hingeht.

Die Anforderungen an Auszubildende werden in keinem Beruf geringer. Hinzu kommt, dass es aufgrund dramatisch sinkender Schülerzahlen kaum noch Wahlmöglichkeiten zwischen starken und schwachen Schulabsolventen bestehen. Die Unternehmen müssen sich also auch auf Auszubildende einstellen, die in Mathe und Deutsch keine Glanzleistungen vorlegen können, die vielleicht nichts von Prozentrechnung verstanden haben.

Und den meisten Arbeitgebern ist klar, dass es nicht hilft zu jammern, sondern Wege zu finden, allen jungen Leuten, jedem Bewerber die Chance zu geben, eine erfolgreiche Ausbildung zu absolvieren. Aus Sicht der jungen Leute kann die Situation nicht besser sein. Heute hat jeder Schulabsolvent in Mecklenburg-Vorpommern die Möglichkeit, eine interessante Lehrstelle in seiner Region zu finden.

Frage:  „Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen…“, soll einst der Physik-Nobelpreisträger Niels Bohr gesagt haben. Dennoch: Wie ist Ihre Prognose im Hinblick auf die Entwicklung der Unternehmen in M-V in den kommenden Jahren?

Lothar Wilken: Zwei Trends sind glasklar: Die Altersstruktur der Beschäftigten führt zu einem stetigen Ausscheiden von Berufstätigen aus der Arbeitswelt. Für die frei werdenden Arbeitsplätze fehlt es an Nachwuchs. Also wird der Zwang zur Rationalisierung groß sein.

Wenn die Wertschöpfung aufeinander aufbaut und mindestens auf gleichem Niveau gehalten wird, bedeutet das aber auch mehr Karriere- und Einkommenschancen für viele Arbeitnehmer, gerade auch im verarbeitenden Gewerbe. Tourismus und Pflege sind wichtig, einfache Dienstleistungen notwendig. Aber nur darauf zu setzen wäre falsch.

Unsere Unternehmen sind in der Lage, auch auf Krisensituationen erfolgreich zu reagieren. Voraussetzung ist eine Stetigkeit bei den politischen Rahmenbedingungen. Wenn hier herumgespielt und geglaubt wird, der Staat könne zu stark eingreifen, kommt es zu Verwerfungen, die schwierig zu beherrschen sind. Auch während der Krise kam es zu keinen gravierenden Arbeitsplatzverlusten.

Heute ist bei vielen Unternehmen ein starkes Interesse für ausländische Märkte sichtbar. Das geht einher mit viel Produktinnovation und einer stärkeren Kooperation mit der Wissenschaft. Neue Bereiche entwickeln sich stark, zum Beispiel der technologische Kern der Gesundheitswirtschaft.

Der Tourismus wird immer stärker qualitätsorientiert und in bietet in allen Sparten wettbewerbsfähige Angebote. Dabei wuchern wir auch mit dem Pfund unserer einzigartigen Natur. Die Sehnsucht vieler Menschen, unsere Regionen nicht nur im Urlaub zu erleben, nimmt zu. Mecklenburg-Vorpommern wird also immer attraktiver als Land zum Leben und Arbeiten.

Und ich denke, dass weitere Ansiedlungen, wie die von Nestlé, kommen werden. Auch die Chancen für hoch spezialisierte Technologieunternehmen, zum Beispiel für Erneuerbare Energien, sind hier nicht schlecht. Deutlich wird aber – und das sieht man ja auch im maritimen Bereich – dass der Wettbewerbsdruck durch die Globalisierung ständig steigt. Auch für unsere mittelständisch geprägte Wirtschaft im Land.

Wichtig bleibt daher, die notwendigen Voraussetzungen und den Rahmen für erfolgreiche Unternehmen und attraktive Arbeitsplätze zu schaffen. Die europäischen Mittel, die wir in den zurückliegenden Jahren aus den EU-Strukturfonds erhalten haben, waren immens. Zeitweise entsprachen sie etwa einem Zehntel unseres Landeshaushaltes. Das wird sich künftig drastisch nach unten bewegen also müssen die öffentlichen Ausgaben genau so angepasst werden, insbesondere bei den Verwaltungskosten.

Noch nicht allen Politikern auf Landes- und Kommunalebene ist das wirklich klar. Unsere Straßen und Brücken werden zum Beispiel auf Verschleiß gefahren, ohne dass für Reparatur und Neubau genügend Mittel eingeplant werden. Das ist sehr kritisch, weil eine funktionierende Infrastruktur die Lebensader für alle Wirtschaftszweige, einschließlich des Tourismus, ist.

Unsere Verbände engagieren sich deshalb für die Gestaltung dieser und weiterer wichtiger Rahmenbedingungen. Wir sind optimistisch, dass die Unternehmen im Land sich auch künftig erfolgreich und stabil weiter entwickeln werden.

Vielen Dank und weiterhin bestes Engagement für den VUMV!

Die Fragen stellte M. Michels.

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