Flüchtlingsrat: Behördenentscheidung raubt Kindern die Zukunft
Schwerin, 09.02.2009 – In der Schule sprechen zur Zeit alle über die Berufswahl. Für die 17-jährige K.R. (Name geändert) hat das spannende Thema jedoch seit einigen Wochen seine Bedeutung verloren: Jeden Tag kann plötzlich die Polizei vor der Tür stehen. Dann muss K. mit ihren Eltern und den drei Geschwistern Deutschland verlassen. Denn: Familie R. soll nach Armenien abgeschoben werden. Das teilte die Ausländerbehörde Schwerin den Betroffenen im Dezember 2008 mit.
Die aktuelle Situation stellt für die vier Kinder der Familie R. eine schwere psychische Belastung dar. Sie sind in Deutschland aufgewachsen und sprechen Deutsch wie eine Mutterprache. Sie gehen hier zur Schule, spielen Fußball oder engagieren sich in der Computer-AG und sind fest in ihren Freundeskreis integriert. Die 17-jährige K. will an die bevorstehende Abschiebung am liebsten gar nicht denken: „Ich liebe meine Schule und meine Freunde sehr und auch den Ort, in dem wir leben. Armenien kenne ich nicht, denn ich bin hier aufgewachsen. Ich möchte hier meine Schule beenden und einen Beruf erlernen. Ich möchte in Deutschland leben und arbeiten“, sagt K. im Interview mit der Journalistin Delal Eren. Der 18-jährige Bruder ergänzt: „In letzter Zeit kann ich mich nicht auf meinen Unterricht konzentrieren, in der Schule denke ich darüber nach, zu welcher Uhrzeit man uns wegschicken wird.“ Und der Familienjüngste, 10 Jahre, erzählt über seine Wünsche für die Zukunft: „Ich will Polizist werden. Sie werden uns doch nicht wegschicken können, oder…?“.
Familie R. kommt ursprünglich aus Armenien, wo sie der kurdischen Minderheit der Jesiden angehört. 1999 flüchten die Eltern mit ihren vier Kindern – damals zwischen 9 Jahren und 7 Monaten alt – nach Deutschland. Seitdem leben sie in Mecklenburg-Vorpommern. Nach langjährigen Aufenthalten in Flüchtlingsheimen kann Familie R. 2006 endlich eine eigene Wohnung in Schwerin beziehen. Die Familie beginnt, auf eine glückliche Zukunft in Deutschland zu hoffen – doch dann kommt alles ganz anders. Im Interview erzählt die Mutter: „Wir haben ein neues Leben aufgebaut. Gerade, wo wir dachten, dass alles seinen Weg geht und wir wie Menschen leben könnten, bekommen wir nur noch wöchentliche Aufenthaltstitel und haben angefangen, mit der Furcht zu leben, dass wir jeden Moment abgeschoben werden könnten.“ Bemühungen der Eltern, eine Existenzgrundlage für sich und ihre Kinder zu schaffen, werden durch die jeweils nur einwöchige Duldung zunichte gemacht. „Zuerst galt der Aufenthaltstitel für drei Monate, danach wurde er dann nur wöchentlich erteilt. Deshalb haben mir dann auch die Arbeitgeber keine Arbeit gegeben. Ebenso hatte meine Frau eine Putzstelle gefunden, aber als unser Aufenthaltstitel nur noch wöchentlich erteilt wurde, hat man ihr gekündigt“, so der Vater gegenüber Eren.
Sorgen bereitet den Eltern jetzt vor allem die Zukunft der Kinder. Die beiden Ältesten stehen in Deutschland kurz vor dem Schulabschluss. Bei einer Abschiebung müssten sie ihre Schulausbildung in Armenien fortsetzen – einem Land, dessen Sprache sie nie gesprochen haben und nach Aussagen der Eltern auch nicht verstehen. Der Schulabschluss würde sich verzögern. Die Chancen auf einen guten Ausbildungsplatz oder Job sind gering. Vollkommen unklar ist auch, wovon Familie R. in Armenien leben soll. Eingliederungshilfen für Rückkehrer gibt es nicht. Das Land ist bitterarm und die Arbeitslosenrate hoch. Selbst wer Arbeit hat, ist wegen des niedrigen Lohnniveaus meist auf Hilfen angewiesen. Nach Angaben des Auswärtigen Amtes leben 35 Prozent der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze.
Der Flüchtlingsrat MV e.V. appelliert vor diesem Hintergrund an die zuständigen Behörden, ihre Entscheidung im Fall R. zu revidieren. „Es darf nicht sein, dass einige Ungenauigkeiten der Familie R. bei der Angabe von Namen oder Geburtsdaten schwerer wiegen als das Wohl der vier, gut in Deutschland integrierten Kinder“, sagt Doreen Klamann aus der Geschäftsstelle des Flüchtlingsrates MV e.V. „Hier gibt es nur eine einzige humane Lösung: Familie R. muss die Möglichkeit bekommen, in Deutschland zu bleiben“, so Klamann.