Vor 75 Jahren: Nationalsozialistische Machtergreifung

Ein Rückblick auf die politischen Verhältnisse 1932/33 in Mecklenburg …

 

„Vor 75 Jahren: Der Anfang vom Untergang – Hitlers Machtergreifung.“, so lautet der Titel eines deutsches Nachrichtenmagazines aus Hamburg heute (14.1.2008) und erinnert an die Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler am 30.Januar 1933 und der damit verbundenen endgültigen Beseitigung der damaligen fragilen demokratischen Verhältnisse in Deutschland.

Doch wie waren damals die politischen Verhältnisse in Mecklenburg-Schwerin oder in Mecklenburg-Strelitz bzw. speziell im Schweriner Landtag ?!

Mit dem Ende der Amtszeit des integren Dr.von Reibnitz endete auch die Ära der sozialdemokratischen Staatsminister in Mecklenburg-Strelitz, die mit dem ersten Ministerium Hans Krüger 1919 begann und mit dem vierten Ministerium Dr.jur.Dr.phil.von Reibnitz 1931 endete.

Vor allem die Ausarbeitung und Verabschiedung einer demokratischen Verfassung bzw. die Sozial- und Wirtschaftsgesetzgebung waren Verdienste Strelitzer Sozialdemokraten, die ihnen viel Respekt und Anerkennung in der Strelitzer Bevölkerung einbrachten. 
Enttäuschend verliefen daher für die Sozialdemokraten die Wahlen zum sechsten ordentlichen Landtag in Mecklenburg-Strelitz am 13.März 1932.

Zwar konnten die Nationalsozialisten mit nur 24 Prozent nicht ihr erklärtes Ziel, stärkste Partei zu werden, erreichen, aber mit der rechtskonservativen Deutsch-Nationalen Volkspartei wurde mit 31 Prozent eine ähnlich demokratiefeindliche Gruppierung wie die NSDAP stärkste politische Kraft.

NS- und SED-Gegner H.LüdemannDie SPD erreichte in Mecklenburg-Strelitz nur noch 27 Prozent der Stimmen. Die Befürworterin der „Weimarer Demokratie“, die Staatspartei, erhielt mit 5 Prozent ebenfalls weniger als erwartet. Hingegen konnte der linke Gegner der parlamentarischen Demokratie, die KPD, ihren Stimmenanteil erhöhen und bekam 9 Prozent der Stimmen. Als „Parlamentarischer Staatsrat“ fungierte mit Fritz Stichtenoth ein Nationalsozialist.

Deutlich niederschmetternder war für die SPD hingegen das Ergebnis der Wahlen zum siebenten ordentlichen Landtag in Mecklenburg-Schwerin am 5.Juni 1932. Nicht so sehr die eigenen Verluste – nur noch 30 Prozent der Stimmen – waren für die Sozialdemokraten so  deprimierend; vor allem der klare Sieg der NSDAP mit 49 Prozent der Stimmen (1929 nur 4 Prozent der Stimmen) überraschte die SPD in Mecklenburg-Schwerin.

Zu diesen Wahlen und den darauf folgenden Reichstagswahlen schreibt Albert Schulz, damals  Rostocker Reichstagskandidat und engagierter Gegner sowohl einer nationalsozialistischen  als auch kommunistischen Diktatur, in seinen Erinnerungen: „Bei der Landtagswahl 1932 in  Mecklenburg-Schwerin erhielten die Nazis die Mehrheit der Stimmen und Mandate und  bildeten die Regierung. Wenige Wochen später folgte die Reichstagswahl im Juni. Unser  Rostocker Reichstagsabgeordneter Wilhelm Kröger war gestorben.

Ich wurde Reichstagskandidat. Bezirkssekretär und Bezirksvorsitzender wurde Willi Jesse. Aus dem erbitterten Wahlkampf mir ein Ereignis besonders im Gedächtnis. In Wismar sprach  ich in einer gut besuchten Wahlversammlung. Wir mußten durch ein Spalier der Polizei  gehen, um ins Lokal zu kommen. Plötzlich werde ich gewahr, daß ich meine Unterlagen für  mein Referat nicht mitgebracht habe, sondern irrtümlich andere Papiere.

Nun, es muß auch so gehen. Nach fünf Minuten erklärte der Polizeioffizier die Versammlung für aufgelöst … Das hinderte uns nicht, sofort eine neue öffentliche Versammlung des Reichsbanners für den nächsten Abend anzumelden, in der der Gauführer des Reichsbanners, Albert Schulz, sprach ! Wismar hatte einen sozialdemokratischen Oberbürgermeister und mehrere sozialdemokratische Stadträte.

Der für die Ortspolizeibehörde zuständige Stadtrat war anwesend, der örtliche Reichsbannerführer ebenfalls. Dieser meldete also sofort für den nächsten Abend 20.45 Uhr eine öffentliche Versammlung des Reichsbanners mit mir als Referenten an … Die Polizei agierte jedoch wie gehabt. Der Polizeioffizier war sicher entschlossen, diese Versammlung aufzulösen. Zu seiner Enttäuschung konnte er nicht. Ich hatte vor kurzer Zeit im Landtag in Schwerin eine ca. einstündige Rede gehalten, die sich mit dem Thema beschäftigte, über das ich reden wollte.

Albert SchulzZu Beginn meiner Ausführungen wies ich darauf hin, daß Reden im Reichstag und Landtag überall und ohne Zensur vorgetragen werden könnten. Der Polizeioffizier stand in meiner Nähe. Man konnte ihm die Wut ansehen, aber er war machtlos. Bei der Juli-Wahl 1932 hatten die Nazis in Mecklenburg-Schwerin noch einmal ihre Stimmen mehr als verdoppelt.
Wir verloren nur 7500 Stimmen. Mit Hilfe pommerscher Reststimmen wurden im Wahlkreis drei Sozialdemokraten gewählt. Darunter auch ich. Unser Spitzenkandidat war Dr.Julius Leber, Lübeck, der schon mehreren Reichstagen angehörte …“

Ergänzend ist hinzuzufügen, daß die Nationalsozialisten nur mit Hilfe von Unregelmäßigkeiten bei den Wahlen zum siebenten ordentlichen Landtag die Mehrheit erlangten. Etwa 3400 abgegebene Stimmen – fast ein ganzes Prozent – waren für ungültig erklärt worden. Die Nationalsozialisten lehnten mit ihrer Mehrheit im Schweriner Landtag eine Wahlüberprüfung aber ab.

Der Grund dafür war ziemlich simpel: Die NSDAP hatte nur eine Stimme mehr als die anderen Parteien zusammen. Der KPD hingegen fehlten nur 109 Stimmen für ihr fünftes, der DNVP nur 119 Stimmen für ihr sechstes Landtagsmandat. Mit einer Wahlüberprüfung hätte die NSDAP ihre Mehrheit verlieren können …

Neuer Ministerpräsident in Mecklenburg-Schwerin wurde nach der Wahl der Nationalsozialist Walter Granzow. Bei den anschließenden Wahlen zum Reichstag im November 1932 mußte die NSDAP zwar Verluste hinnehmen, blieb aber eindeutig stärkste politische Kraft.

Die SPD als nunmehr einzige große demokratische Partei versuchte vor allem im Parlament den Kampf gegen die Nationalsozialisten zu führen. Insbesondere der SPD-Fraktionsvorsitzende Carl Moltmann griff die Nazis gemeinsam mit Hermann Lüdemann,
Albert Schulz und Friedrich Wehmer offensiv an:

„Es ist für das deutsche Volk nicht tragbar, an Stelle der Demokratie, an Stelle des  allgemeinen gleichen Wahlrechtes irgendeinen `Fatzken` an die Spitze des deutschen  Reiches zu stellen, der Deutschland regieren soll. Das läßt sich das deutsche Volk nicht gefallen. Sie haben sicher einmal eine Zeitlang einige Leute betören können. Aber das deutsche Volk läßt sich eine solche Tyrannei, eine solche Diktatur nicht gefallen.“. –  Aber Moltmann sollte sich leider irren …

Und der Rostocker Sozialdemokrat Albert Schulz, nach 1945 Oberbürgermeister der alten Universitätsstadt, bemerkte an anderer Stelle:

„In Mecklenburg wütet der nationalsozialistische Terror. Durch Terror und Entlassung versuchen in Mecklenburg auch zahlreiche Landwirte, gewerkschaftlich organisierte  Arbeiter zu zermürben, sie zum Austritt aus ihren Organisationen zu veranlassen und sie  zu den Nazis zu pressen. Mecklenburgische Landarbeiter, die jahre- und jahrzehntelang auf ihrer Scholle saßen, werden und sind heute entlassen worden mit Frau und Kind, lediglich ihrer Gesinnung wegen.“

Doch die Appelle von Carl Moltmann, Albert Schulz, Hermann Lüdemann und anderen Demokraten verhallten beim Großteil der mecklenburgischen Bevölkerung ungehört. Damit ging die Regierungsgewalt legal und verfassungstreu an die Nationalsozialisten – der Weg in die politische, gesellschaftliche und militärische Katastrophe begann.

Wismarer SPD-Politiker Karl MoritzDie Verteidiger des parlamentarischen Systems, insbesondere die Sozialdemokraten, die konservativen Demokraten oder die Linksliberalen, mußten angesichts der Übermacht der demokratiefeindlichen Kräfte, welche von der NSDAP aber auch von der KPD symbolisiert  wurden, hinnehmen.

Viele soziale, konservative und liberale Demokraten, gerade auch in Mecklenburg-Schwerin, wurden während der nationalsozialistischen Diktatur grausam verfolgt, in Konzentrationslagern inhaftiert oder sogar getötet.

Auch nach dem 2.Weltkrieg 1945, mit Beginn der kommunistischen Diktatur in der sowjetischen Besatzungszone, späteren DDR, riss der Terror und die Verfolgung gegen Sozial-, Christ- und Liberaldemokraten nicht ab.

Albert Schulz, sowohl NS- als auch SED-Gegner, bereits von den Nazis inhaftiert, wurde auch nach Durchsetzung der SED-Diktatur in Haft genommen und als respektierter und anerkannter Oberbürgermeister Rostocks abgesetzt. Ähnlich erging es dem SPD-Landesgeschäftsführer 1945 in Schwerin, Hermann Lüdemann. Nach KZ-Haft bei den Nazis wurde er von den russischen Behörden im November 1945 seines Amtes enthoben – Grund: Ein Einsatz gegen die kommunistische Diktatur.

Der Schweriner Sozialdemokrat Hans-Joachim Roskam, bereits vor 1945 im KZ Fünfeichen inhaftiert, fand sich auch nach 1945 dort wieder und sollte dieses Lager nicht mehr lebend verlassen …

Doch wie halten wir es heute mit dem aufrechten und ehrlichen Einsatz für die Demokratie. Ist dieses tatsächlich „tiefe Überzeugung“ oder geht es nur um die Verwirklichung des eigenen Vorteils, um „ein materiell und finanziell üppig ausgestattetes Leben“ …

Wie meine einst der SPD-Vorsitzende Kurt Schumacher nach 1945: „Gefahr droht der Demokratie nicht von ihren linken oder rechten Feinden. Es sind diejenigen, die auf die Gunst der Stunde warten …“

„Karrieregeile Demokratisten“ als Ersatz für wirkliche Demokraten … Aufpassen, Deutschland und Mecklenburg-Vorpommern – auch im Jahre 2008 !

Marko Michels

Archiv-Fotos (3)

___

> Veranstaltungsempfehlung in Schwerin: Ein Gedenk-Konzert „Verfemte Musik“ findet im Perzinasaal der Stadtbibliothek Schwerin am 27.Januar 2008 statt. Werke von Viktor Ullmann, Izzy Fuhrmann und Petr Pokorny werden konzertiert. U.a. auch die Werke dieser Künstler wurden während der nationalsozialistischen Diktatur „verfemt“.  Am 27.Januar wird auch der 63.Jahrestag zur Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz begangen. Die amtierende Schweriner Stadtpräsidentin Marleen Janew wird zu der Veranstaltung im Perzinasaal eine Gedenkrede halten. mm

Das KZ Auschwitz-Birkenau> Anmerkung: Das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau war das größte deutsche Vernichtungslager während der NS-Diktatur. Es wurde 1941 gebaut. Bis zum Januar 1945 wurden dort 1,5 Millionen Menschen ermordet. – Am 27.01.1945 wurde es von sowjetischen Truppen befreit.  mm

Nach oben scrollen